23. Januar 2023, 15:13 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Jedes Jahr im Januar findet in Berlin die Internationale Grüne Woche statt, auf der Züchter und Landwirtschaftsbetriebe unter anderem die neuesten Trends in der Tierhaltung vorstellen. PETBOOK war vor Ort und machte sich ein eigenes Bild darüber, wie es um den Tierschutz auf der Messe für die ausgestellten Haus- und Nutztiere steht.
Die Internationale Grüne Woche Berlin ist eine jährlich stattfindende Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau, die mitten im Januar 2023 stattfindet. Neben einer Vielzahl an ländertypischen, aber auch internationalen Produkten, kulinarischen Köstlichkeiten und Pflanzen können die Besucher auch Tiere zum Teil hautnah erleben. Dazu gehören nicht nur Nutztiere wie Schweine, Kühe oder Ziegen. Es gibt auch eine Heimtierhalle mit Katzen, Hunden, Kleintieren und sogar Exoten.
Nach nahezu drei Jahren fand die Grüne Woche 2023 wieder in Präsenz auf dem Berliner Messegelände statt. Die PETBOOK-Redaktion war am 20.1. vor Ort und sprach mit den Ausstellern vor Ort über die Entwicklungen und Probleme in der Haltung von Haus und Nutztieren. Zudem wollten wir wissen, wie es um den Tierschutz auf der Messe steht. Immerhin präsentieren Tierhalter und Züchter dort auf engem Raum verschiedene Rassen und Tierarten und es finden täglich gleich mehrere Vorstellungen statt.
Eine Ausstellung auf der Messe bedeutet Stress für die Tiere
Im Vergleich zu anderen Haustiermessen ist die Grüne Woche für Tiere mit einer besonders hohen Lärmbelastung und hohem Besucherdruck verbunden. In den Hallen finden regelmäßig Shows mit Moderation und lauter Musik statt. Die Hunde bellen und in manchmal wird es so laut, dass man sich regelrecht anschreien muss, um noch etwas zu verstehen. Für Tiere, deren Wahrnehmung noch einmal viel sensibler ist, stellt dies eine enorme Belastung dar.
In der Heimtierhalle merkt man den Tieren diesen Stress zwar an, aber ihre Halter tun viel dafür, diesen so gering wie möglich zu halten. So wirken die Katzen zwar nervös, werden aber rund um die Uhr von ihren Besitzern oder Helfern betreut, gestreichelt und bespaßt. Besucher dürfen nur schauen, aber nicht anfassen. Die meisten Tiere haben Rückzugsorte im Gehege. Im Vergleich zu anderen Messen sei dies ein Luxus, wie uns Katzenzüchterin Jeannette Timm erzählt. Dort gebe es normalerweise nur kleine Boxen, in denen die Tiere ausgestellt werden.
Jeannette Timm züchtet seit 2005 und stellt auf der Grünen Woche ihre Thaikatzen aus. Dafür habe sie extra Tiere gewählt, von denen sie glaubt, dass sie mit dem Stress gut umgehen können. Nachts nimmt sie die Tiere wieder mit nach Hause. Zudem wechsele sie die Tiere ab. Auch die anderen Züchter verfahren ähnlich. Bei den Hunden kümmern sich rund um die Uhr mehrere Halter um die Tiere und informieren die Besucher. Tier und Mensch steht eine Art Backstage-Bereich am Stand zur Verfügung, in den man sich zurückziehen kann. Auch den Kaninchen, die sonst in Einzelkäfigen präsentiert wurden, stehen dieses Jahr ein großzügiges Gehege mit Versteckmöglichkeit zur Verfügung.
Qualzuchten gibt es dieses Jahr nicht zu sehen
Während vor über fünf Jahren auf der Grünen Woche noch Rassen wie Möpse, Französische Bulldoggen und auch Nacktkatzen ausgestellt wurden, sieht man im Jahr 2023 keine sogenannten Qualzuchten in den Hallen. Dabei käme es hier nicht auf die einzelnen Rassen, sondern auf die Merkmale an, betont Dr. Achim Gruber, Leiter des Instituts für Tierpathologie am Fachbereich Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin, in einem Gespräch mit PETBOOK. Später spricht er in seinem Vortrag auf der Pressekonferenz der Deutschen Tierärztekammer über die dramatischen „Folgen von Defektzucht und Inzucht bei Hunden, Katzen und anderen kleinen Gefährten“.
Bei den Haustieren sei der Trend in den letzten zehn Jahren immer weiter in Extreme, wie kürzer, größer oder kleiner gegangen. Dies sei für die Tiere oft mit erheblichem Leid und Schmerzen verbunden. Vor allem beliebte Hunderassen wie Möpse oder Französische Bulldoggen seien besonders krank. „Es ist ein Skandal, dass man diese Tiere in Deutschland kaufen kann“, sagt Dr. Gruber. Dass diese Rassen auf einer internationalen Messe nicht mehr zu sehen sind, kann man daher durchaus als positiv bewerten.
Leider erhalten die Besucher außer den Vorträgen und Informationsmaterial der Tierärztekammer kaum Aufklärung über Tierschutz auf der Grünen Woche. Ein Teil der Vorträge ist zudem nicht öffentlich zugänglich und nur der Presse vorbehalten.
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Und wie sieht es bei den Nutztieren auf der Grünen Woche 2023 aus?
Im Vorfeld hatten Aktivisten der Tierschutzorganisation Peta anlässlich der Grünen Woche 2023 am Freitag auf dem Messegelände mit Tiermasken demonstriert und sich mit Kunstblut überschütteten, wie „rbb24“ berichtete. Peta erklärte, die Besucher würden getäuscht, weil die Tierhaltung beschönigend dargestellt werde. Zudem würden in den Messehallen Tiere gehalten, die dort Stress ausgesetzt seien.
Bei einem Besuch der Tierhalle, in der Nutztiere wie Esel, Pferde, Kühe, Schafe und Ziegen, präsentiert werden, fällt als Erstes auf, dass das Angebot dieses Jahr viel geringer ist. So gibt es wegen der aktuellen Schweine- und Geflügelpest keine Hühner oder Ferkel zu sehen. Dadurch fallen die Ställe und Ausstellungsflächen für die anderen Tiere dieses Jahr etwas großzügiger aus. Trotzdem wirken Kühe, Zeigen und Schafe hier wie auf dem Präsentierteller. Auch die Boxen der Pferde sind fast alle von Besuchern einsehbar.
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Die meisten Tiere, die auf solchen Messen gezeigt werden, haben bereits Erfahrungen mit Ausstellungen. Zumindest am Freitag wirken die meisten Tiere nicht sonderlich gestresst – futtern Heu, säugen ihre Kälbchen oder dösen aneinandergekuschelt. Was auffällt, ist allerdings der Umgang mit den Tieren durch die Besucher. Ungefragt werden Hände in Gehege gesteckt, Tiere gestreichelt, gelockt und permanent angestarrt. Es fehlt jegliche Aufklärung über den respektvollen Umgang mit Tieren. Nicht einmal Hinweisschilder wie „Bitte nicht Füttern“ gibt es.
Auf der Webseite der Grünen Woche heißt es zwar „Interessierte können sich vor Ort jederzeit von Fachleuten an den Ausstellungsständen alles rund um artgerechte Pflege und Haltung erklären lassen“. Jedoch ist es in der Heimtierhalle gar nicht so leicht, einen Zuständigen am Gehege ausfindig zu machen, während bei Hunden und Katzen die Halter ständig vor Ort sind und aufpassen, dass Besucher die Tiere nicht einfach anfassen oder bedrängen.
Schlussendlich muss man sich fragen, wie sinnvoll es überhaupt ist, lebende Tiere auf einer Messe auszustellen. Sicher macht es die Thematik Nutztiere in der Landwirtschaft für viele nahbarer, wenn sie lebende Kühe und Schweine vor Ort sehen. Vielleicht sorgt es bei dem einen oder anderen auch für mehr Empathie. Allerdings liegt der Fokus auf der Grünen Woche dabei weniger auf dem Einzeltier, sondern auf dem Produktionsweg und schließlich dem Produkt selbst. Dies sorgt mitunter für skurrile Szenen, wenn unmittelbar neben Kuh und Ziege am Nachbarstand das Spanferkel seine Runden am Spieß dreht.