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Schwertwal in Belgien gestrandet

Wie wahrscheinlich sind Orcas in der Nordsee? Experte gibt Antwort 

Orca in der Wasseroberfläche des Meeres schwimmend
Schwertwale leben vor allem im Nordpazifik, Nordatlantik und den Polarmeeren. Aber wie kam dann ein Orca in die Nordsee? Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

31. Oktober 2023, 14:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Ende Oktober strandete ein Orca an der belgischen Nordseeküste und verstarb. Das Vorkommen eines Schwertwals in der Nordsee gilt als außergewöhnlich. PETBOOK sprach mit einem Delfinexperten darüber, wie wahrscheinlich es ist, Orcas in der Nordsee zu begegnen und wie die Tiere dorthin gelangen.

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Orcas leben vor allem im Nordpazifik, Nordatlantik und den Polarmeeren – in der Nordsee würde man die Tiere eher nicht vermuten. Daher gleicht es einer kleinen Sensation, wenn ein Schwertwal an der Nordseeküste strandet. So geschehen am 30. Oktober 2023 am Strand des Ferienortes De Panne in Belgien. Wie das Tier dorthin gekommen ist, ist noch unklar. Es ist allerdings kein Einzelfall. So strandete 2022 – ebenfalls im Oktober – ein Orca an der niederländischen Nordseeküste und starb.

PETBOOK sprach mit dem Diplom-Biologen und Delfinexperten Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz darüber, wie wahrscheinlich es ist, einem Orca in der Nordsee zu begegnen und wie es zu den Strandungen kommt.

Strandung ist „überraschender Einzelfall“

Es ist kein Jahr her, da strandete ein Orca am Strand von Cadzand in den Niederlanden, der ebenfalls an der Nordsee liegt. Trotzdem sei eine Strandung von Schwertwalen an der Nordseeküste ein „extrem seltener und überraschender Einzelfall“, ordnet Ulrich Karlowski im Gespräch mit PETBOOK den Vorfall ein. Es sei jedoch schon auffällig, dass fast genau zur selben Zeit wie letztes Jahr ein vergleichbarer Todesfall von einem Orca aus der Nordsee auftrete, räumt der Biologe ein.

Von dem Orca aus 2022 wisse man, dass er definitiv schwer krank gewesen sei. Man konnte sogar die Identität des Tieres feststellen. Es handelte sich um ein 20 Jahre altes Weibchen aus der Gruppe der Gibraltar-Orcas. „Soweit man das erfasst hat, war dieses Weibchen das erste Tier der Gibraltar-Orcas, das so weit nördlich hoch geschwommen ist“, erklärt Karlowski.

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Zuerst müsse man Herkunft und Todesursache klären

Unter welchen Umständen der jetzt in Belgien gestrandete Orca in die Nordsee gelangte und ob auch er krank war, müsse zunächst eine Untersuchung klären. Die Aufnahmen der Strandung zeigen zumindest, dass der Schwertwal völlig abgemagert ist. Um Genaueres zu sagen, müsse man nun herausfinden, woran das Tier gestorben ist und wo es herkam, erklärt Karlowski.

Aufschluss über die Herkunft des Orcas könnte die Finne geben – so nennt man die Rückenflosse von Walen. „Die Isländer haben sehr gute Identifikationsdatenbanken für Finnen“, so Karlowski. „Die haben zum Beispiel herausgefunden, dass die Orcas, die 2020 vor Genua im Mittelmeer aufgetaucht sind, zu den Orcagruppen in Island gehören. Das war damals die weiteste jemals aufgezeichnete Orcawanderung von über 5000 Kilometern.“

Wie gelangen Orcas in die Nordsee?

Eigentlich seien Orcas in der Regel als Familienverband unterwegs, erklärt der Delfinexperte. Bei der Strandung in Belgien und der im vergangenen Jahr handele es sich jedoch um Einzeltiere, die sich aus noch unbekannten Gründen von ihrem Sozialverband abgesondert hätten und dann nicht mehr zurechtgekommen seien.

Wie genau es dazu kam, sei momentan noch reine Spekulation, betont Karlowski. So könnte der Orca durch einen Sturm von der Gruppe getrennt worden sein. Es sei aber auch denkbar, dass das Tier sich von selbst abgesondert habe. Orcas sind neugierig und vor allem die Jungtiere recht unternehmungslustig.

Karlowski hält es jedoch für wahrscheinlicher, dass das Tier krank war und sich deshalb vom Sozialverband absonderte, weil es nicht mehr mit dem Rest der Gruppe mithalten konnte.

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Wie wahrscheinlich ist es, einem Orca in der Nordsee zu begegnen?

Auch wenn die zwei letzten Strandungen den Eindruck erwecken, es könnte öfter mal passieren, dass Schwertwale in die Nordsee gelangen, wurden zwischen 1841 und 2016 tatsächlich nur 9 Orcas verzeichnet, die an der Nordseeküste starben. Das ergab eine Studie der Stiftung der Tierärztlichen Hochschule Hannover von 2021.

„Die Wahrscheinlichkeit, einem Orca in der Nordsee zu begegnen, geht gegen null“, sagt Karlowski. Es gebe dort einfach keine Nahrungsgrundlage für die Tiere. „Man soll aber nie ‚nie‘ sagen“, fügt der Biologe hinzu. Denn durch die Erderhitzung und der Ozeane sei schon seit einigen Jahren eine Art Verschiebung der Artenvorkommen im Gange. Von den Tropen hin zu den subtropischen und von den subtropischen in nördlichere Regionen.

„Ganze Ökosysteme geraten durcheinander, weil sich die Zusammensetzung verschiebt“, führt Karlowski aus. „So finden wir Arten aus südlichen Regionen jetzt auch in der Nordsee. Sollten sich dort beispielsweise die Herings- oder Kabeljaubestände erholen, könnte es durchaus interessant für Orcagruppen sein, immer mal wieder in die Nordsee rein zu schwimmen.“

Das würde passieren, wenn Orcas in die Nordsee kommen würden

Würde die Nordsee für Orcas als Nahrungsraum lukrativer werden, hätte dies unterschiedliche Folgen – je nachdem, um was für eine Orca-Gruppe es sich handelt. Denn die Tiere jagen im Sozialverband und haben sich auf bestimmte Beute spezialisiert – das sind nicht immer Fische.

So gibt es Orcagruppen, die gezielt Jagd auf marine Säugetiere wie Seehunde oder kleinere Wale machen. „Die würden sich dann natürlich gütlich tun an den heimischen Meeressäugetieren, die wir noch haben“, so Karlowski. Das betreffe vor allem Schweinswale und Robben. „Da würde wirklich eine Menge bei uns durcheinandergeraten, wenn diese Top-Prädatoren sich hier ansiedeln würden.“

Keine Gefahr für heimische Meeressäuger würden hingegen die Island-Orcas darstellen, denn diese seien auf Fische spezialisiert. „Aber natürlich würde sich dadurch die Nahrungsgrundlage für andere Meeresräuber verändern, wenn ein so großer Räuber in das Ökosystem eindringt und große Mengen wegfrisst. Dann bleibt für die anderen weniger übrig.“ Doch Karlowski beruhigt: Dass sich Orcas dauerhaft in der Nordsee ansiedeln, wird sicher nicht passieren.

Bleibt also abzuwarten, was die Untersuchungen des Walkadavers ergeben und ob sich ein ähnliches Ereignis im nächsten Jahr um die gleiche Zeit ein drittes Mal wiederholt.

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Quellen

Themen Meerestiere Wale
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