3. Dezember 2024, 14:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Rückkehr in den Sattel kann für erwachsene Wiedereinsteiger eine aufregende, aber auch herausfordernde Erfahrung sein. Oft steht der Wunsch nach einem sogenannten „Verlasspferd“ im Vordergrund. Darunter versteht man ein ruhiges, nervenstarkes Pferd, das in schwierigen Momenten Stabilität bietet. Doch ist das realistisch?
Pferdetrainerin Ramona Keim weiß: Nicht jedes Pferd eignet sich als Partner für unsichere Reiter, und auch vermeintlich entspannte Rassen wie Haflinger oder Kaltblüter sind nicht immer die Lösung. PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender ist selbst früher geritten und hat den Schritt zum Wiedereinstieg gewagt. Im Interview wollte sie von der Expertin wissen, wie Wiedereinsteiger das passende Pferd finden, warum der Charakter wichtiger ist als die Rasse und welche Rolle das Vertrauen zwischen Mensch und Pferd spielt.
„Ich würde ich nie zu einer bestimmten Rasse tendieren“
PETBOOK: Frau Keim, wenn man sich als erwachsener Wiedereinsteiger das passende Pferd für sich sucht, kommen meistens Ratschläge wie: „Fang mit einem Pferd an, das 15 Jahre alt oder sogar älter ist. Das sind gute Lehrmeister.“ Mir sind auch schon Kaltblüter empfohlen worden, weil sie weniger schreckhaft sein sollen. Im Internet sind es vor allem Isländer oder Haflinger, die als gute Wiedereinsteiger-Pferde genannt werden. Wozu raten Sie als Pferdetrainerin Ihren Kunden?
Ramona Keim: „Grundsätzlich würde ich nie zu einer bestimmten Rasse tendieren, weil es darauf ankommt, was der Wiedereinsteiger kann. Für erwachsene Anfänger finde ich ältere Pferde gut. Vielleicht sogar ein ausrangiertes Schulpferd. Aber auch in dem Fall sollte man das rasseunabhängig sehen. Ich rate dazu, den Charakter und das Wesen des Pferdes zu beobachten und das als Grundvorlage zu nehmen.
Als Anfänger sollte man darauf achten, dass es sich nicht um ein Jungpferd handelt, dass erst noch in die Pubertät kommt, sondern darauf achten, dass das Pferd schon einen gewissen Ausbildungsstandard hat. Der Satz ‚Ich bekomme nicht das Pferd, das ich möchte, sondern das, was ich brauche‘, fasst es meiner Meinung nach gut zusammen. “
„Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“
Den Charakter des Tieres lernt man erst kennen, wenn man sich für die Reitbeteiligung entschieden oder das Pferd schon gekauft hat. Bei einer Reitbeteiligung kann man noch zurücktreten und teilt dem Besitzer mit, dass es doch nicht passt. Beim Kauf besteht diese Möglichkeit oft nicht.
„Jeder hat mit jedem Pferd seine Gewöhnungsphase. Natürlich kann es vorkommen, dass im ersten halben Jahr alles super ist und plötzlich stellt man fest: Es passt doch nicht. Eine hundertprozentige Sicherheit, dass es zwischen Pferd und Mensch passt, gibt es nicht – bei niemandem. Egal, wie gut er sich auskennt. Trotzdem hilft es natürlich, dem Verkäufer viele Fragen zu stellen und einen Experten an seiner Seite zu haben, der das Pferd neutral beurteilen kann. Man selbst ist in solchen Momenten zu emotional, weil man das Pferd ‚süß‘ findet oder einem die Farbe so gut gefällt.“
Deshalb suchen viele Wiedereinsteiger nach sogenannten „Verlasspferden“. Wie häufig kommen solche Pferde vor? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich bei ängstlichen Erwachsenen tatsächlich so zeigen und entspannt bleiben?
„Ja, es gibt Verlasspferde. Sehr häufig sogar. Das hat allerdings etwas mit Vertrauen zwischen Pferd und Reiter zu tun. Mein Pferd und ich brauchten ebenfalls Zeit, uns einander zu gewöhnen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Vertrauen aufbauen, heißt, genau zu wissen, wer sich wie verhält.
Bei ängstlichen Erwachsenen möchte ich keine Prognose abgeben. Denn es gibt Pferde, die sind und bleiben nervenstarke Verlasspferde, weil sie vom Wesen her so sind. Dann gibt es Pferde, die sind eine gewisse Zeit ein Verlasspferd, hinterfragen dann aber die Führungsqualitäten der Person. Grundsätzlich sollte kein ängstlicher Wiedereinsteiger ohne einen Reitlehrer mit einem Pferd agieren. Wenn man ein Verlasspferd hat und möchte, dass das so bleibt, sollte das eigene Handling immer wieder begutachtet und korrigiert werden. Selbst wenn man ängstlich ist – je besser das Handling, umso strukturierter wird man in seinem Verhalten.“
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„Es ist wichtig, zu erkennen, welche Schwächen man hat“
Kann aus jedem Pferd ein „Verlasspferd“ werden?
„Nein. Denn dabei spielt der Grundcharakter und die Grundnervenstärke eine Rolle. Es gibt zwar Rassen, die den Ruf haben, tiefenentspannt zu sein, wie eben Kaltblüter. Aber auch da gibt es Exemplare, auf die das zutrifft. “
Wie erkenne ich als Wiedereinsteiger, welches Pferd zu mir passt?
„Um das herauszufinden, sollte man zunächst abwägen, was man kann und wofür man das Pferd haben möchte. Eine Liste hilft dabei, sich darüber klar zu werden, wie weit man im Reiten war bevor man damit aufgehört hat. Es ist wichtig, zu erkennen, welche Schwächen man hat und welche Stärken. Wer immer nur Freizeitreiter war und sich nicht mit der Biomechanik eines Pferdes auskennt, sollte nicht alleine losziehen und sich ein Pferd kaufen. Denn das geht mit hoher Wahrscheinlichkeit schief. Es hilft, einen empathischen Trainer oder einen anderen Pferdeexperten an seiner Seite zu haben, der einen beim Pferdekauf begleitet. Fragen, die man im Vorfeld ebenfalls für sich klären sollte, sind, welche Reitweise zu einem passt und wie viel Budget man zur Verfügung hat.“