18. September 2022, 16:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wenn das Pferd einem beim Führen zu nahe kommt oder sogar rempelt, fragen sich viele Pferdehalter, worauf dieses Verhalten zurückzuführen ist. Das Anstupsen ist nämlich kein Zeichen der Zuneigung. Es kann im Gegenteil sogar relativ gefährlich werden. PETBOOK gibt Tipps, wie man Pferden beim Führen das Rempeln abgewöhnen kann.
„Er rückt mir beim Führen immer so nah auf die Pelle. So als wollte er mir auf den Schoß springen“ – wenn Pferdemenschen solche Aussagen machen, zeigt sich das ungute Gefühl, dass sie in solchen Momenten mit ihrem Pferd haben. Zu Recht. Denn wenn uns die kräftigen Tiere beim Führen schon leicht mit der Schulter berühren, ist Vorsicht geboten. Ebenso, wenn das Pferd sogar rempelt. Erschreckt sich ein rempelndes Pferd, kann es uns leicht umreißen und sogar mit der Hinterhand treffen. Doch warum verhalten sich Pferde so?
Übersicht
Warum rempelt ein Pferd?
Für Pferde steht Sicherheit an erster Stelle. Wenn wir mit ihnen unterwegs sind, möchten sie sich auf uns verlassen können. Deshalb testen sie unsere Führungsqualitäten nach dem Prinzip: „Wer bewegt wen?“ Die Antwort auf die Frage erwarten sie aber nicht erst, wenn wir mit ihnen im Gelände spazieren gehen, sondern während der gesamten gemeinsamen Zeit. Denn Training findet nicht erst auf dem Reitplatz oder im Gelände statt, sondern in jeder Interaktion.
Führt man das Tier neben sich und es kommt mit der Schulter so nahe, dass wir ihm ausweichen und unseren Weg damit verlassen, ist das aus Pferdesicht ein weiteres Indiz für unsere mangelnden Führungsqualitäten. In einer Gefahrensituation, zum Beispiel wenn sich im Gelände ein Motorrad von hinten nähert, würde es die Flucht ergreifen und vermutlich zu seiner Herde rennen, um wieder in Sicherheit zu sein. Rempelt es sogar, kann es für Mensch und Tier gefährlich werden.
Was kann man dagegen tun, wenn das Pferd rempelt?
Damit es nicht gar erst so weit kommt, dass das Pferd rempelt, sind wir zunächst einmal selbst gefragt. Denn Pferde sind in besonderem Maße von unseren Emotionen abhängig. Wir sollten also versuchen, grundsätzlich Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen. Ein positives Mindset und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sind die Basis-Zutaten für ein erfolgreiches Training.
Ist die eigene Stimmung gut, kann man sich der Grunderziehung des Pferdes widmen. Die beginnt bei Alltagsroutinen wie dem Putzen. Stellt sich das Pferd währenddessen anders hin als man es von ihm möchte, ist eine emotionslose, ruhige Korrektur gefragt. Zu den „Benimm-Regeln“ gehört natürlich auch, dass nicht gebissen, gerempelt, geschnappt oder geschubst wird.
Wie lässt sich erreichen, dass das Pferd nicht mehr rempelt?
Entscheidend ist das „Wer bewegt wen“. Das Pferd sollte grundsätzlich eine Armlänge Abstand zu uns halten, das ist unsere Individualdistanz, unser Raum, in den es nicht eindringen darf.
Es sei denn, wir fordern es explizit dazu auf. Die Einhaltung der Distanz dient der eigenen Sicherheit. Denn in einer Gefahrensituation, wenn das Pferd nervös ist, birgt ein zu geringer Abstand zwischen Pferd und Mensch Verletzungsrisiken.
Dieser Abstand wird in jeder Situation trainiert – bei der Futtergabe, bei der Freiarbeit und ganz besonders beim Führtraining.
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Das richtige Führtraining
Um das Führtraining zu üben, begibt man sich mit seinem Pferd in eine ablenkungsfreie Umgebung. Das kann der Reitplatz, Roundpen oder die Reithalle sein.
Der Kopf des Pferdes befindet sich neben unserer Schulter und sollte eine Armlänge Abstand halten. Diese Position nennt man Führposition. Sie ist sinnvoll, damit das Pferd seinen Menschen nicht umrennt, sollte es sich erschrecken. Zudem lässt sich frühzeitig erkennen, wenn sich die Mimik des Tieres ändert.
Dann fixiert man einen Zielpunkt und geht los. Wichtig ist, dem Pferd beizubringen, die Führposition in jedem Tempo zu halten. Deswegen baut man im Laufe des Trainings immer wieder Tempowechsel ein oder läuft eine Acht. Unterschreitet das Pferd die Distanz, nähert sich mit der Schulter oder rempelt, richtet man in der Bewegung die Fingerspitzen gegen die Schulter, um den Abstand wiederherzustellen.
Reagiert das Pferd darauf nicht und drängelt weiterhin, wird es durch eine Übung beschäftigt. Die meisten Pferdemenschen schicken ihr Pferd in diesem Fall rückwärts. Diese Lektion bietet mehrere Vorteile.
Anschließend wird das Führtraining wieder aufgenommen. Hält das Pferd den gewünschten Abstand und bleibt in der richtigen Position, wird es nicht durch weitere Übungen „gestresst“, sondern der „Spaziergang“ fortgesetzt. Diese Maßnahme ist die Belohnung für richtiges Verhalten. Natürlich darf zusätzlich gelobt werden. Die meisten Pferde motiviert stimmliches Lob, einige mögen auch Streicheleinheiten.
Gut zu wissen: Pferde benötigen zwischen 100 und 1000 Wiederholungen, bis Übungen perfekt sitzen. Deshalb sollte jeder kleinster Schritt in die richtige Richtung positiv bestätigt werden.
Rückwärtsschicken mit verschiedenen Druckstufen
Das Pferd in den verschiedenen Druckstufen rückwärts schicken zu können, ist eine hilfreiche Lektion, um es im Gelände beschäftigen zu können, wenn es sich mal erschrickt.
Die Druckstufen beim Rückwärtsschicken am Seil
Druckstufe 1:
Man positioniert sich vor dem Pferd mit vorgebeugtem Oberkörper, mit einer Armlänge Abstand. Die Handfläche, in der man das Seil hält, in Richtung Pferdemaul gerichtet, als wenn man sagen möchte: „Komm mir nicht näher! Bleib!“ Geht das Pferd bereits jetzt einen Schritt zurück – prima! Dann sofort den Druck wegnehmen, in dem man sich wieder gerade hinstellt und sein Pferd lobt.
Druckstufe 2:
Gleiche Position wie oben, mit dem Seil in der Hand Richtung Brust pendeln, eventuell leicht berühren. Geht das Pferd rückwärts – Druck sofort wegnehmen (s. Stufe 1).
Druckstufe 3:
Gleiche Herangehensweise wie Stufe 2. Jetzt pendelt das Seil nicht mehr nur vor der Brust, sondern man gibt mit dem Seil einen Impuls gegen die Brust. Reagiert das Pferd – Druck wegnehmen.
Das erste Ziel ist, dass Druckstufe 1 ausreicht. Deshalb bei jeder Wiederholung dem Pferd die Chance geben, bereits auf Stufe 1 zu reagieren. Den kleinsten Versuch des Pferdes, richtiges Verhalten zu zeigen, sollte man unbedingt belohnen, damit es motiviert bleibt. Denn wenn ständig nur weiter Druck aufgebaut wird, kommt vom Pferd Gegendruck. Genauso wie Aggression immer eine Gegenaggression bewirken wird. Gelassenheit hingegen führt auch zu Ruhe beim Pferd.
Das zweite Ziel ist, dass das Pferd nicht nur einen, sondern mehrere Schritte zurückgeht. Drittens sollte es lernen, dies schnell tun zu können. Bei allen Schritten bitte bedenken, dass viele Wiederholungen notwendig sind und die Übung an unterschiedlichen Orten generalisiert werden sollte, um dauerhaft gegen das Rempeln beim Pferd vorzugehen.
Ist das Pferd absolut nicht bereit rückwärtszugehen, kann es auch mal notwendig sein, es mit mehr Energie zurückzuschicken, damit es wieder zuhört und eine feinere Kommunikation danach wieder möglich ist.
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Fazit: Das Pferd darf nicht rempeln
Das Fluchttier Pferd würde sich dem Raubtier Mensch im Normalfall nicht anschließen. Deshalb ist es Aufgabe des Menschen, dem Pferd Kontrolle und Sicherheit zu vermitteln, damit es in Gefahrensituationen nicht seinem Instinkt folgt und davonrennt.
Unsere Hauspferde möchten es ihrem Menschen grundsätzlich erst mal recht machen. Sie müssen dafür aber zunächst Vertrauen aufbauen können. Vertrauen bedeutet, einschätzen zu können, was gewünscht ist und wie die Reaktion anderenfalls aussehen wird.
Deshalb setzt man dem Pferd sinnvolle Grenzen und besteht in jeder Situation darauf, dass diese eingehalten werden. Klare Regeln geben Pferd und Mensch Sicherheit im Umgang miteinander.
Zu diesen sinnvollen Grenzen zählt, dass es nicht rempeln darf, weil sonst Unfallgefahr besteht. Ein gutes Führtraining vermittelt dem Pferd, Abstand zu halten und sich auf den Menschen zu konzentrieren. Wichtig dabei: Jede Übung muss so kleinschrittig aufgebaut sein, dass sie für das Pferd nachvollziehbar ist. Dafür ist Praxiswissen, Geduld und liebevolle Konsequenz notwendig. Doch am Ende lohnt es sich für beide Seiten.