18. April 2023, 17:01 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Horsemanship steht für ein Training basierend auf Körpersprache. Die Methode ist vor allem durch den Pferdetrainer Uwe Weinzierl bekannt geworden, der nach diesem Prinzip arbeitet. In der aktuellen Staffel „Die Pferdeprofis“ (Vox) erntete Weinzierl dafür starke Kritik, weil er ein Pferd beim Training unter Druck setzte und das Tier in Stress geriet. PETBOOK sprach mit Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivan Gabor darüber, wann Horsemanship dem Pferd schaden kann.
Es sieht beeindruckend aus, wie das Pferd seiner Besitzerin folgt, sich auf Kommando hinlegt oder nur durch eine Kopfbewegung des Menschen die Gangart ändert. Im Horsemanship ist vieles möglich, was man sich vor 40 Jahren in Europa noch nicht vorstellen konnte. Umso erschreckender ist, dass vor allem Horsemanship-Fans laut einer Studie der „Equine Behaviour and Training Association“ häufig Stresssymptome und Angst bei Pferden gar nicht erkennen. Stattdessen wird von selbst ernannten Experten mit Hilfsmitteln wie Knotenhalfter, Kappzaum, Bodenarbeitsseil und Horsemanstick viel Druck ausgeübt, um das Pferd an Schreckreize zu gewöhnen, auf den Pferdehänger zu zwingen oder um ihm unerwünschtes Verhalten abzugewöhnen. Oft mit dem Ergebnis, dass das Tier so sehr in ein Verhalten hineingezwungen wurde, dass es sich innerlich aufgibt. PETBOOK sprach mit der Biologin und promovierten Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor darüber, was gutes Horsemanship-Training auszeichnet und was nicht, welche Wirkung Hilfsmittel haben und wie man den richtigen Trainer findet.
PETBBOK: Vivian, was bedeutet für Dich Horsemanship?
Dr. Vivian Gabor: Horsemanship wird gerne als Methode gesehen. Das ist schade, denn eigentlich ist Horsemanship ein schöner Begriff für die Pferd-Mensch-Beziehung, die übrigens auch im klassischen Reiten verwendet wird. Für jeden Umgang mit dem Tier gilt der Grundsatz: Beziehung vor Erziehung.
Bei einer guten Beziehung zum Pferd ist Stress und Druck nicht mehr erforderlich
Im Horsemanship heißt es „So wenig Druck wie möglich, aber so viel wie nötig.“ Mal ganz allgemein gesprochen: Welche Praktiken im Horsemanship sind nicht pferdegerecht oder sogar tierschutzrelevant?
Dazu sollte man zunächst definieren: Was bedeutet Druck? Ist Druck ein Leitgedanke, ein Pferd in unserer Umgebung zu schützen? Wenn ich ihm vermitteln will: ‚geh nicht auf die Straße‘, dann muss ich mit dem Halfter Druck ausüben. Aber nur so wenig wie möglich.
Was die Tierschutzrelevanz betrifft – im Tierschutzgesetz wird sehr klar definiert, dass vermeidbare Leiden und Schäden nicht erlaubt sind. Darauf müssen wir alle im Umgang mit unseren Tieren achten. Wir sollten eine Empathie dafür entwickeln, wann wir Druck ausüben, weil wir es gerade möchten und wann dieser Druck ausschließlich zum Schutz für das Pferd ist. Um auf eine vernünftige Art und Weise Druck auszuüben, ist zunächst ein Kommunikationstraining mit dem Pferd nötig. Das gilt für alles, was wir mit ihm machen – Reiten, Verladen, Anreiten. Wenn wir auf eine gute Beziehung mit dem Pferd achten, dann ist hoher Stress und Druck nicht mehr erforderlich. Pferdegerecht ist, dass wir uns in das Lebewesen Pferd hineinversetzen. In dessen Gedanken, Gefühle und Verhalten – das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt für eine gut funktionierende Beziehung. Wenn ich verstehe, warum ein Pferd Angst hat, kann ich in seinem Sinne handeln und nur dann wird es mir vertrauen.
Wenn ein Pferd beispielsweise auf die Berührung mit einer Tüte an seinem Hals ängstlich reagiert und flüchten will, wird ihm beim Horsemanship die Tüte so lange an seinen Hals gehalten, bis es stehen bleibt und die Berührung akzeptiert. In dem Moment, in dem das Pferd das gewünschte Verhalten zeigt, wird die Tüte kurzzeitig nicht mehr an seinen Hals gehalten. Der Drucknachlass ist die Belohnung für das Pferd. Wie beurteilst Du diese Herangehensweise?
Nach der Lerntheorie ist das eine negative Verstärkung. Das Pferd kann dadurch lernen, dass Stehenbleiben die richtige Handlung ist. Es kann aber auch das Gegenteil passieren. Nämlich, dass es durch eine solche Reizüberflutung überfordert ist. Ich gehe in meinem Training mit dem Pferd anders vor.
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Das Pferd muss lernen, dass es sich selbst helfen kann
Wie sieht Deine Vorgehensweise aus?
Ich arbeite viel kleinschrittiger. Das bedeutet, ich gehe in den Gewöhnungseffekt durch eine Wiederholung unterhalb der Reizschwelle. So kann ich den Reiz nach und nach erhöhen. Dafür nutze ich das Kopfsenken, um das Pferd in einen entspannten Zustand zu bringen. Das Kopfsenken des Pferdes trainiere ich vorher in einer reizarmen Umgebung.
Wie trainierst Du das Kopfabsenken und warum ist das so wichtig?
Ich nehme dafür die klassische Konditionierung. Das Pferd wird im Schulterbereich angetippt und ich helfe ihm zum Beispiel durch minimalen Druck am Halfter, den Kopf abzusenken. Die Haltung des Körpers beeinflusst die Botenstoffe, in dem Fall die Serotoninausschüttung im Gehirn. Wichtig ist, dass das Pferd lernt, es kann sich selbst helfen. Denn sonst kommt es in die sogenannte erlernte Hilflosigkeit, die ist beim Menschen vergleichbar mit einer Depression.
Unter welchen Umständen ist die oben genannte Methode richtig, das Pferd so lange mit der Tüte am Hals zu konfrontieren, bis es diese akzeptiert?
Wenn das an den Hals halten der Tüte schnell dazu führt, dass das Pferd eine Lösung findet, ist das in Ordnung. Es darf nicht in eine Starre verfallen, in der Adrenalin und Cortisol, also Stresshormone, ausgeschüttet werden. Darauf müssen wir achten. Wenn die Mimik und Muskulatur entspannt sind, die Kaumuskulatur und die Ohren entspannt sind, dann kann man davon ausgehen, dass die Tüte nicht mehr relevant ist. Aber selbst da können Pferde innerlich resigniert haben, abgetaucht sein. Das Verhalten kennt man zum Beispiel von Schul- und Therapiepferden. Die sehen entspannt aus, sind aber innerlich schon schädlich abgestumpft.
„Pferden dürfen in unserem Beisein keine Todesangst haben.“
Welche Fehler werden bei der Gewöhnung an ein Objekt oder eine Situation häufig gemacht?
Es wird nicht schrittweise geübt. In der Natur würde ein Schreckreiz immer nach Sekunden verschwinden, weil die Pferde vor dem Angreifer fliehen. Sie haben immer Möglichkeiten, ihren Stress zu lösen. Wenn wir das nicht berücksichtigen und der Stress anhält, kann das Pferd lernen, wenn es erstarrt und den Reiz erträgt, verschwindet dieser. Irgendwann explodieren sie dann trotzdem. Das Vertrauen muss an erster Stelle stehen. Pferden dürfen in unserem Beisein keine Todesangst haben. Deshalb gehe ich mit ihm schrittweise auf die Angstsituation zu und übe zunächst in einem geschützten Bereich, bevor man sich an den unbekannten Bereich herantraut.
Beim Anreiten hängt man zum Beispiel Kanister an das Pferd oder man setzt sich direkt in den Sattel. Wie ist diese Art des Trainings zu bewerten?
Ich sehe das Anreiten kritischer, wenn Pferde verschnürt oder Objekte an den Sattel gebunden werden. Das Tier gerät in Todespanik und wir stehen 10 Minuten daneben und schauen, wie das Pferd klarkommt. Oder es setzt sich jemand beim Anreiten auf das Tier, der sich halten kann, ohne dass mal darüber nachgedacht wird, dass da ein Trauma durch eine Reizüberflutung geschehen kann. Das ist keine Grundlage eines positiven Anreitens. Wenn im TV gezeigt wird, dass es normal ist, Kanister an Pferde zu hängen, ohne Erklärungen und Warnhinweise dazuzugeben, kann das fatale Folgen haben, weil Menschen es vielleicht direkt an ihrem Pferd nachmachen wollen. Leider vergessen viele Pferdebesitzer, dass sie die Verantwortung für ein Lebewesen haben und dafür entsprechende Kenntnisse über dessen Bedürfnisse und Verhalten benötigen. Wir sind in der Pflicht, uns fortzubilden.
„Die Pferdeprofis“ ist kein Format, das eine Fortbildung ersetzt
Mit dem „TV-Format“ sprichst Du die Pferdeprofis an. Die aktuelle Staffel bewerten einige Zuschauer kritisch, um es mal vorsichtig zu formulieren …
Bei so einem Shitstorm schreit meiner Meinung nach der Sender ‚Juhu‘. Ich kann beide Seiten verstehen – den Sender, der sich freut und den Zuschauer, der die Handlungen kritisiert. Die Frage ist, was ist zu tun? Bei „Die Pferdeprofis“ ist mir bewusst, dass es sich um ein Format handelt, das keine Fortbildung ersetzt. Schlimm finde ich diese Menschen, die in den aktuellen Shitstorm einsteigen und dabei selbst zu Unmenschen werden. Von solchen Menschen bleibe ich lieber weg. Ich möchte auch nicht wissen, wie die zu ihren Pferden sind. Versteh mich nicht falsch, das ist keine Rechtfertigung, Dinge kritisch zu diskutieren, die bei „Die Pferdeprofis“ gezeigt werden, aber es soll doch bitte konstruktiv, sachlich und ohne Unmenschlichkeit diskutiert werden.
Lass uns mal genauer auf die Hilfsmittel schauen, die man in der Horsemanship-Szene und bei den Pferdeprofis verwendet. Was bewirkt das Knotenhalfter beim Pferd, wenn man damit Druck ausübt?
Rein physikalisch betrachtet, verursacht gleich viel Druck auf weniger Fläche eine höhere Intensität. Das bedeutet, mit einem breiten Stallhalfter kann ich nicht so viel Druck wie mit einem schmalen Band (Knotenhalfter) ausüben. Das Pferd hat sensible Gesichtsnerven. Mit den Knoten wird auf diese Nerven Druck ausgeübt. Die Intensität und Stärke eines Hilfsmittels bestimmt der Mensch. Ich nutze Knotenhalfter nicht gerne, weil sie sich oft verschieben.
„Ein guter Trainer erklärt, warum er etwas macht und wie“
Welches Hilfsmittel bevorzugst Du?
Ich nutze ein Taomero. Das verschiebt und verzieht sich nicht. Damit reite ich auch. Das Equipment muss passen.
Manche Experten sagen, ein Knotenhalfter sollten grundsätzlich nur Profis anwenden. Was kann passieren, wenn ein Laie mit einem Knotenhalfter arbeitet?
Ein guter Trainer erklärt, warum er etwas macht und wie. Methodik und Didaktik eben. Training bedeutet, etwas über einen gewissen Zeitraum mit Nachhaltigkeit und Tiefe zu vermitteln. Pferdetraining kann man sich nicht aneignen über TV-Formate oder Social Media. Der Sender will Quote und der Influencer Reichweite. Ob ein Trainer gut ist, lernt man nur durch den persönlichen Kontakt. Ein Experte braucht 10.000 Stunden, um Experte zu sein. Trotzdem weiß man nie, wie er sich weitergebildet hat.
Um bei den Hilfsmitteln und den „Pferdeprofis“ zu bleiben: neben dem Knotenhalfter wird häufig der Kappzaum eingesetzt. Ist der Kappzaum für Anfänger besser geeignet als das Knotenhalfter?
Beim Kappzaum gibt es Varianten, die hochgradig über dem Nasenrücken Einfluss nehmen. Ich kann nur sagen, Vorsicht vor scharfen Zäumungen! Da appelliere ich wieder an die Eigenverantwortung, wer einen Kappzaum einsetzt, muss dafür sorgen, dass er gut sitzt und ihn richtig anwenden. Für die feine Gymnastizierung ist der Kappzaum besser geeignet als das Knotenhalfter. Trotzdem kann mit jedem Hilfsmittel Schaden angerichtet werden, wenn man es nicht richtig einsetzt. Der Trainer ist in der Verantwortung seinem Schüler zu zeigen, wie ein Hilfsmittel wirken kann und was man vermeiden, beziehungsweise fördern möchte.
Man sollte Koryphäen wie Monty Roberts nicht einfach nachmachen
Im Horsemanship findet das „Join Up“ von Monty Roberts nach wie vor Verwendung. Kritiker behaupten, beim „Join Up“ würde man den Willen des Pferdes brechen, weil man es so lange durch den Roundpen scheucht, bis es aufgibt und sich dem Menschen zuwendet. Wie siehst Du das aus wissenschaftlicher Perspektive?
Wenn ein Fluchttier minutenlang unter Stress gehalten wird, den es nicht lösen kann, fördern wir, dass es in die erlernte Hilflosigkeit kommt und nicht mehr selbstwirksam ist. Ein Roundpen birgt die Gefahr einer Überforderung des Pferdes. Man muss schon wissen, was man tut. Der Mensch muss angeleitet werden. Es ist nur wenig Druck nötig, um den Raum mit Energie zu besetzen. Das ist keine Kritik an Monty Roberts. Ich möchte damit nur sagen, man kann diese Koryphäe nicht einfach nachmachen, sondern braucht jemanden, der zeigt, wie es richtig funktioniert. Wenn man es falsch macht und das Pferd zu viel unter Druck setzt, bringt es das negativ mit dem Menschen in Verbindung. Eine verantwortungsvolle Kommunikation mit dem Pferd muss gelernt werden. Eigentlich wäre es cool, wenn es dafür einen Simulator gebe. Wir lernen das alle an unserem Pferd und das ist so schade, dass das Tier darunter leiden muss.
Wie sieht Deine Arbeitsweise aus?
Ich arbeite mit Vertrauensübungen und Entspannungstechniken. Wenn das Kopfabsenken des Pferdes in einer ruhigen Umgebung trainiert wurde, kann ich die erlernte Verhaltensweise abrufen, wenn das Pferd unter Stress ist. Es muss aber auch erst mal das Vertrauen haben, um den Kopf zu senken. Das Hinterhandweichen ist eine weitere Vertrauensübung, die ebenfalls mit Wohlwollen durchgeführt werden sollte. Ich gehe einen Schritt zurück, wenn sie gut gewichen sind. Die Tiere lernen, mich zu lesen. Sie lernen, mich abzuschätzen. Ich gebe ihnen Übersetzungskarten für eine gemeinsame Sprache. Das Pferd kann meine Entspannung als Wert erkennen. Im Training geht es darum, einen Wechsel von Anspannung und Entspannung schaffen.
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„Druck ist nicht grundsätzlich negativ“
Von den 7 Spielen nach Pat Parelli haben die meisten Pferdefans schon etwas gehört. Dabei erklärt man dem Pferd in 7 Schritten, wie der Mensch mit ihm kommunizieren möchte. Ein Bestandteil dieser Kommunikation ist die negative Verstärkung in Form von Druck – und Drucknachlass. Kann man mit einem Pferd nicht anders kommunizieren oder haben wir Menschen keine anderen Ideen?
Druck ist nicht grundsätzlich negativ. Im Gegenteil – es ist nicht verantwortungsvoll, keine Grenzen zu setzen. Das funktioniert weder bei Kindern noch bei Pferden. Genau wie Kinder müssen auch Pferde lernen, mit der Welt zurechtzukommen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen diese zu erklären. Druck und Stress sind Bestandteile davon. Um lernen zu können, dürfen Druck und Stress aber nur sekundenweise und bewältigbar sein.
Was Parelli und andere Systeme betrifft – die Menschen, die solche Systeme formulieren, sind Meister ihres Tuns. Es muss immer auch das Körpergefühl geschult werden, nicht nur die Technik. Denn sonst kann jede Ausbildungsmethode Schaden anrichten. Der Mensch muss sich in dem Gefühl schulen, etwas anzuwenden. Ich verstehe, dass Menschen Rezepte haben wollen, das kann aber nicht den guten Pferdemenschen ausmachen. Bei Parelli ist ein sehr komplexes System dahinter. Das sieht man von außen nicht. In Richtung des Meisters kommt man aber nur mit Erfahrung und nicht dadurch, dass man versucht, es sich möglichst einfach zu machen.
Dr. Vivian Gabor ist Biologin und promovierte Pferdewissenschaftlerin. Sie forscht an der Uni Göttingen im Bereich des Pferdeverhaltens mit dem Spezialgebiet des Pferdelernens. Sie betreibt ein Ausbildungszentrum für Pferd und Mensch und bietet bundesweit reitweisenübergreifende Lehrgänge in der Arbeit vom Boden und vom Sattel aus an. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Optimierung der Pferd-Mensch Kommunikation.