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Kontrovers diskutiert

Ist Reiten Tierquälerei? Expertin ordnet ein

Reiten Tierquälerei
PETBOOK geht der Frage nach, ob es sich beim Reiten um Tierquälerei handelt. Foto: Getty Images / AnnaElizabethPhotography

19. Dezember 2024, 6:09 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Ob Reiten Tierquälerei ist, sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen, besonders wenn erschreckende Bilder aus dem Pferdesport die Runde machen: blutige Seiten, gequälte Zungen oder Pferde, die durch brutale Trainingsmethoden gefügig gemacht werden. Kritiker sehen im Reiten eine Form von Missbrauch, während Befürworter auf die jahrtausendelange Tradition und die positive Wirkung guten Reitens auf das Tier verweisen. PETBOOK-Autorin Nadja Müller hat über 25 Jahre Erfahrung in Reitsport und Ausbildung und ordnet die verschiedenen Ansichten im Folgenden ein.

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Anfang Dezember 2024 wurde die britische Dressurreiterin Charlotte Dujardin vom Tribunal des Weltreiterverbands (FEI) für ein Jahr von Turnieren und Wettbewerben gesperrt und zu einer Strafe von 10.000 Franken verurteilt. Im Sommer war ein altes Video von ihr aufgetaucht, in dem sie während einer Trainingsstunde ein Pferd, das um sie herum geritten wird, mit mehr als 20 Peitschenschlägen traktiert. Der Missbrauch eines Pferdes, ein Verhalten, das den Pferdesport in Verruf bringt und der Verstoß gegen den FEI-Verhaltenskodex lauteten die drei Vorwürfe gegen Dujardin. Sie ist kein Einzelfall. Immer wieder gibt es hässliche Bilder aus dem Pferdesport, welche die Frage aufkommen lassen, ob Reiten generell Tierquälerei gleichkommt.

Missbrauch von Pferden ist nichts Neues

Blaue Zungen, die von harschen Gebissen gequetscht werden, Hände, die an den Zügeln zerren und den Pferdehals unnatürlich aufrollen, blutige Seiten von stechenden Sporen. Und das nur in der Disziplin der Dressur. Wer in den Springsport schaut, den Pferderennsport unter die Lupe nimmt oder die Gangpferdereiterei – Stichwort: Tennessee Walking Horses und Big Lick – wird ähnliche, schlimme Bilder finden.1, 2

So abgeklärt es klingt: Der Missbrauch des Pferdes ist nichts Neues. Zwang und Gewalt im Pferdetraining gehören in manchen rückständigen Ställen sogar fast zum guten Ton. Aber eine entscheidende Sache hat sich geändert: die öffentliche Wahrnehmung. Durch Social Media verbreiten sich hässliche Bilder rasend schnell. Die kritische Öffentlichkeit ist alarmiert und schon stehen die Tierschutzorganisationen parat und sehen die Zeit für extreme Forderungen gekommen: Sie wollen ein Verbot des Reitsports, denn Reiten muss Tierquälerei sein!3

Was sagt das deutsche Tierschutzgesetz?

Ist das so? Ist Reiten wirklich Tierquälerei? Das deutsche Tierschutzgesetz verbietet es, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (§ 1 TierSchG). Die juristische Praxis definiert die Begriffe folgendermaßen: Schmerzen sind vermeidbare physische oder psychische Belastungen, Leiden sind länger anhaltende oder wiederkehrende Zustände, die das Wohlbefinden eines Tieres beeinträchtigen und Schäden stellen körperliche Verletzungen oder dauerhafte Beeinträchtigungen dar.

Allerdings gibt es die Einschränkung „ohne vernünftigen Grund“. Ein solcher kann laut Gesetz in der Nutzung von Tieren für Ernährung, Forschung oder Kultur bestehen. Verboten bleiben rohe, grausame oder absichtlich quälende Handlungen. Das Gesetz lässt also durchaus Spielraum, was als Tierquälerei gelten kann und was nicht, vor allem, wenn man Reiten als Kulturgut betrachtet.

Ja, Reiten kann Tierquälerei sein

Nach dem Tierschutzgesetz, dem gesunden Menschenverstand oder individuellen, ethischen Maßstäben: Gewisse Formen des Reitens können in der Tat Tierquälerei sein. Nicht nur, wenn dem Reiter der Geduldsfaden reißt und er sein Pferd im Affekt verprügelt. Es gibt auch systematische Tierquälerei in Form von Trainingsmethoden. So etwa die Rollkur, wenn dem Pferd mit den Zügeln der Kopf an die Brust gezogen und es in dieser Position geritten wird. Dies ist für das Pferd – ein Fluchttier, dessen Wohlbefinden davon abhängt, alles im Blick behalten zu können – besonders schlimm.

Das Ziel der Rollkur: spektakulärere Gänge antrainieren. Die Verbände sind dabei Teil des Problems. Schließlich hat die FEI das Reiten von zehn Minuten in Rollkurposition als Vorbereitung auf eine Turnierprüfung erlaubt. Später ist selbst diese Frist heimlich gestrichen worden. Auch Ausrüstungsgegenstände können dem Pferd Schmerzen bereiten. So etwa scharfe Gebisse, gern in Kombination mit verschiedenen Hebelwirkungen eingesetzt oder Schlaufzügel, die den normalen Zügel mit einer Flaschenzugwirkung versehen. Dadurch kann der Reiter den Druck über die Zügel noch weiter maximieren.4 

Leistungsdruck, die Notwendigkeit mit Pferden Geld zu verdienen, vielleicht auch Egomanie sind möglicherweise Hauptgründe für derartige perverse Auswüchse im Pferdetraining. Das Pferd muss auf Knopfdruck funktionieren und man benötigt die absolute Kontrolle, jederzeit. Neben der Sportreiterei geraten auch die Freizeitreiter unter Druck. Hier sind Unwissen, Übergewicht (bei Mensch und Pferd) und Vernachlässigung häufige Kritikpunkte.

Das Pferd ist nicht zum Reiten geboren 

Neutral betrachtet muss man feststellen: Auch, wenn ein Reiter bequem auf dem Pferderücken Platz findet und das Pferd von seiner Erscheinung fast prädestiniert scheint, ihn zu tragen: Rein anatomisch ist es dafür nicht ausgestattet. Der Rückenmuskel, auf dem der Reiter sitzt, ist aufgrund seiner Faserstruktur nicht für die Tragearbeit geeignet. Er ist ein Bewegungs-, kein Haltemuskel, stabilisiert den Körper und überträgt die Kraft von der Hinterhand auf die Vorhand.

Gutes Training versetzt das Pferd aber dennoch in die Lage, einen Reiter schadenfrei zu tragen. Dafür muss aber der gesamte Bewegungsapparat samt Muskeln und Verspannungen auf eine gewisse Weise zusammenspielen. Wer reiten und seinem Pferd nicht schaden will, der muss es also auf die Belastung vorbereiten und systematisch trainieren.

Kann Reiten dem Pferd Spaß machen?

Und genau hier schließt sich der Kreis, warum Reiten nicht per se Tierquälerei darstellt. Gutes, also pferdegerechtes Reiten stärkt den Körper des Pferdes – es kann Schmerzen und Verschleiß vorbeugen und hält das Pferd auch im hohen Alter fit und geschmeidig. Gute Beispiele gibt es zuhauf – aber eben meist nicht im Fernsehen. 

Hinzu kommt: Pferde sind Lauftiere und benötigen Bewegung, um mental ausgelastet zu sein und körperlich gesund zu bleiben. Reiten ist die einfachste Art, einem Pferd diese Bewegung zu verschaffen. Gerade, wenn es im beengten Deutschland nicht auf hektargroßen Flächen im Herdenverband gehalten werden kann. Reiter lieben es, auf ihren Pferden über die Wiesen und durch den Wald zu fliegen – und sehr viele Pferde genießen diese Art der Freiheit genauso, die Lust an der Bewegung und der Schnelligkeit, gemeinsam Strecke zu machen. 

Da Pferde harmoniebedürftige, kooperative Tiere sind, machen sie – wenn das Training fair ist – in der Regel gern mit. Wenn die Haltung stimmt, sie alle ihre Bedürfnisse – Gesellschaft, Bewegung, Luft und Licht – befriedigen können, dann ist der Mensch eine Bereicherung im Pferdeleben, eine willkommene Abwechslung, die Stimulation bringt. Und dazu gehört auch das Reiten. Das Bild des geschundenen, versklavten Pferdes unter der Fuchtel des jähzornigen Reiters wird dieser Art der Partnerschaft und Verbindung nicht gerecht. 

Auch interessant: PETBOOK-Autorin testet heilpädagogisches Reiten: »Ein gutes Gefühl, so verstanden zu werden

Das Pferd zeigt uns selbst, wie wohl es sich unter seinem Reiter fühlt

Übrigens: Die Antwort auf die Frage, ob Reiten Tierquälerei ist oder nicht, kann am besten das Pferd selbst geben. Es spricht mit seinem Körper und seiner Mimik eine sehr deutliche Sprache, auch und gerade unter Zwang. 

Gutes Reiten ist mit einem Wort: harmonisch. Pferd und Reiter bewegen sich im Einklang, nicht gegeneinander. Die Bewegungen des Pferdes sind federnd und elastisch, die Augen wach, der Schweif wird ruhig getragen.

Schlechtes Reiten ist das Gegenteil. Die Bewegungen sind verkrampft und hart, der Schweif rotiert, die Augen liegen in Falten und das Weiße ist zu sehen. Manchmal ist das Maul gebleckt und schäumt über die Maßen, weil das Pferd den Speichel nicht abschlucken kann.

Harmonisches Reiten bedeutet übrigens auch, dass nicht der Reiter das Pferd mit Gebiss und Zügeln unter Kontrolle halten muss, sondern sich das Pferd selbst im Griff hat. Dem Pferd diese mentale Entspannung mitgeben zu können, ist mit langem Training verbunden. In der Praxis bedeutet das schlicht, dass der Reiter in der Lage ist, sein Pferd in allen Gangarten am langen Zügel zu reiten. 

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Ein Reitverbot bedeutet das Aussterben der Pferderassen

Setzen die Extremisten ihren Kopf durch und wird tatsächlich ein Reitverbot verhängt, dann sollte man sich über eines im Klaren sein: Ohne Reitsport gibt es keine Pferdezucht. Pferde sind – abhängig von der Rasse – Spezialisten mit einzigartigen Fähigkeiten. Das Quarter Horse ist nicht nur ein starker Sprinter auf der Distanz einer Viertelmeile (daher der Name „Quarter“), manche Zuchtlinien haben einen ausgeprägten Cowsense und sind für die Arbeit am Rind gemacht.

Das Englische Vollblut ist auf Schnelligkeit gezüchtet, das Arabische Vollblut auf Ausdauer (und Menschenbezogenheit). Der spanische PRE ist mit seinem kompakten Körperbau prädestiniert für Dressurlektionen der hohen Schule.

Pferderassen sind so unterschiedlich wie ihre ursprünglichen Einsatzzwecke. Dürfen sie nicht mehr geritten werden – was nun mal der Hauptzweck der Zucht ist –, werden Zuchtbemühungen aus wirtschaftlichen Gründen schlicht wegfallen. Und damit stirbt die Rassenvielfalt unter den Pferden. Das kann niemand ernsthaft wollen.

Fazit: Auch, wenn es anstrengender ist, als pauschal alle Reiter über einen Kamm zu scheren und als Tierquäler zu beschimpfen: Die Diskussion benötigt eine Differenzierung. Reiten ist nicht per se Tierquälerei, sondern kann dem Pferd sogar zum Vorteil gereichen. Ein Reitverbot dient weder den Menschen noch den Pferden.

Quellen

  1. st-georg.de, „FEI: Sperre gegen Charlotte Dujardin für ein Jahr wegen „exzessiven“ Peitscheneinsatzes“ (aufgerufen am 16.12.2024) ↩︎
  2. pferde.de, „Endlich: Die Qual der Tennesse-Walking-Horses wird verboten“ (aufgerufen am 16.12.2024) ↩︎
  3. agrarheute.com, „Peta: Tierrechtler verurteilen Reiten als Tierquälerei“ (aufgerufen am 16.12.2024) ↩︎
  4. xenophon-klassisch.org, „St. Georg 10/2018: Schafft die internationale LDR-Regel ab!“ (aufgerufen am 16.12.2024) ↩︎
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