20. August 2023, 9:58 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Pferde begleiten Menschen seit Jahrtausenden. 60 Millionen von ihnen leben weltweit – ob als Arbeits- oder Lasttiere, als Gefährten für Hobby-Reiter oder Geldmaschinen im professionellen Reitsport. Doch obwohl sie für viele Menschen einen hohen Stellenwert einnehmen, sind Pferde weltweit in Not. Im Interview verrät ein Tierschützer, wie es um die Reittiere steht.
Am 20. August ist Weltpferdetag. Über die Tiere gibt es viele Dinge zu schreiben, mit denen sie das Leben von Millionen von Menschen bereichern. Doch das Leid und die Einsamkeit einer Großzahl der Pferde – sei es als Arbeitstiere oder im Reitsport – geht dabei unter. Die Welttierschutzgesellschaft e. V. weiß um die vielfältigen Realitäten von Pferden weltweit. Tierschützer und Pressesprecher Christoph May verrät im PETBOOK-Interview, wie es um den Tierschutz der Huftiere hierzulande steht und welche Hilfe sie im Ausland benötigen. Er erklärt außerdem, inwiefern der Klimawandel das Wohlbefinden der Pferde gefährdet.
»Trotz Tierschutz bestehen Gesundheitsprobleme vieler Pferde weiter
PETBOOK: Pferde werden seit Jahrtausenden als Last- und Nutztiere eingesetzt, erste offizielle Reitturniere sollen in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert veranstaltet werden. Aktuell gibt es eine Großzahl internationaler Bemühungen unterschiedlicher Tierschutzorganisationen. Wie schätzen Sie den Status quo im Tierschutz für Pferde ein? Christoph May: „Leider gibt es trotz dieser Bemühungen noch immer diverse Problembereiche. In Deutschland werden Pferde hauptsächlich als Hobby oder im Sportbereich gehalten. Diese Haltung unterscheidet sich massiv von dem, was wir aus unseren Einsatzbereichen im Tierschutz kennen. International, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern, sehen wir Pferde vor allem als Arbeitstiere oder im Einsatz für den Tourismus, was in Deutschland nur noch teilweise stattfindet. Allerdings ist es nicht mehr so häufig zu beobachten wie früher.
Die Herausforderungen sind also je nach Land und Region sehr unterschiedlich. Vielerorts sind Bemühungen vorhanden, Verbesserungen zu bewirken, doch das reicht noch nicht. Allzu oft leben Pferde – auch in Deutschland – noch immer unter schlechten Bedingungen. Große Problembereiche, die wir sehen, sind Überlastung, fehlende Berücksichtigung der natürlichen Bedürfnisse wie Auslauf und Kontakt zu anderen Pferden, aber auch die Vernachlässigung von Pferden.“
Trotz der Präsenz des Tierschutzes hierzulande scheint es demnach immer noch einige Probleme in der Pferdehaltung zu geben.
„Verschiedene Studien und immer wieder veröffentlichte Berichte belegen die Problematiken bei der Pferdehaltung. Vor allem im Reitsport weisen Studien eine sehr große Anzahl von Gesundheitsproblemen der Tiere nach. Natürlich gibt es diese Probleme auch in Privathaltungen. Denn obwohl Bemühungen vorhanden sind, die Haltung von Pferden tiergerechter zu gestalten, gilt dieser Standard eben noch nicht überall. Es gibt immer noch einen großen Nachholbedarf, die Rahmenbedingungen in Ställen zu verbessern. Da mangelt es hierzulande auch an konkreten gesetzlichen Vorgaben, wie sie für andere Tiere in menschlicher Haltung gelten.“
Boxenhaltung berücksichtigt Bedürfnisse der Pferde immer noch nicht
Welche Probleme sehen Sie primär in der heutigen Boxenhaltung vieler Sport- aber auch Freizeitpferde?
„In ihrem natürlichen Lebensraum würden Pferde sich fast den ganzen Tag bewegen. Als Dauerfresser ist ihr Verdauungssystem so angelegt, dass sie fast durchgängig in kleinen Portionen Nahrung zu sich zu nehmen. Diese Bedürfnisse kann Boxenhaltung eben nicht immer gewährleisten. Das betrifft vor allem im Reitsport eingesetzte Pferde. Sei es im Hinblick auf Auslauf, weil Bedenken bezüglich der Gruppenhaltung auf der Weide und potenzieller Verletzungsgefahr bestehen und die Futteraufnahme nicht mehr kontrollierbar ist. Die Empfehlung lautet dagegen sechs Stunden Auslauf täglich. Natürlich ist auch der Kontakt zu Artgenossen essenziell, der in der Boxenhaltung nicht oder nur eingeschränkt stattfinden kann. Unseren Beobachtungen zufolge berücksichtigt Boxenhaltung die Bedürfnisse der Pferde immer noch nicht entsprechend.“
Der Verdauungstrakt von Pferden ist darauf ausgerichtet, nahezu dauerhaft kleine Mengen an Futter aufzunehmen und zu verarbeiten. Ist es in der modernen Pferdehaltung überhaupt möglich, diesem Bedürfnis gerecht zu werden?
„Es ist allgemein bekannt, dass Pferde oftmals aus Kostengründen nur kleine Futterportionen erhalten, um übermäßige Verschwendung zu vermeiden – besonders nachts. Dann reicht das Futter für zwei Stunden, die restlichen sechs bis sieben Stunden der Nacht haben die Tiere aber eben kein Futter. Das kann zu einem Problem und sogar zu körperlichen Schäden führen. Denn Pferde haben besondere Mägen, die sehr klein sind, und einen langen Darm. Eine natürliche, kontinuierliche Nahrungsaufnahme, die für die Gesundheit der Pferde förderlich ist, kann daher in vielen Fällen nicht gewährleistet werden.“
Wie bewerte Sie die Darstellung von Pferden und Pferdehaltung in den sozialen Medien?
„Die Darstellung von Tierleid in den sozialen Medien ist ein großer Problembereich, der uns als Tierschutzverein beschäftigt. Praktiken, die nicht den Bedürfnissen der Tiere entsprechen, werden häufig unkritisch vorgelebt. Pferde sind da keine Ausnahme. Ich denke da zum Beispiel an zu frühes Anreiten junger Pferde oder den unsachgemäßen Einsatz von Hilfsmitteln wie Ausbindern, Sporen und scharfen Gebissen. Werden solche Praktiken in den sozialen Medien kritiklos vorgelebt, werden sie weiterhin als normal wahrgenommen, was Verbesserungen der Pferdehaltung im Wege steht.“
Auch interessant: Pferde in Gruppenhaltung kooperieren besser mit Menschen
Tierschutz in Indien: streunende Pferde ertragen großes Leid
Sie unterstützen ein Projekt im indischen Bergort Udagamandalam (Ooty). Was ist die Problematik vor Ort?
„Gemeinsam mit einer unserer Partnerorganisationen, Worldwide Veterinary Service India, kümmern wir uns um Pferde, die für Kutschfahrten genutzt oder für Ausritte verliehen werden. Probleme entstehen dadurch, dass diese Pferde vor allem während der Tourismussaison eingesetzt werden, dann aber außerhalb dieser Zeit oder abends verwahrlosen, weil sich niemand um sie kümmert. Dann sind sie häufig sich selbst überlassen, streunen im dichten Straßenverkehr durch den Ort.“
Welchen Gefahren sind streunende Pferde ausgesetzt?
„Diese Pferde bewegen sich durch einen städtischen Bereich, wo es kaum Flächen zum Grasen gibt. Als Dauerfresser sind Pferde darauf angewiesen, eine kontinuierliche Nahrungsquelle zu haben. Deshalb bedienen sie sich häufig an Dingen, die nicht für sie geeignet sind. Ein großes Problem sind Koliken, die auch auf die Aufnahme von großen Mengen Plastik zurückzuführen sind. Es kommt zu Magen- und Darmverschlüssen, die ohne operative Eingriffe tödlich enden.“
Mit welchen Maßnahmen setzen Sie sich vor Ort für die Pferde ein?
„Man muss sich immer vor Augen halten, dass die Pferde in Ooty den Lebensunterhalt der lokalen Bevölkerung erwirtschaften. Hier ist es ähnlich wie in fast allen Fällen, in denen Tiere so eingesetzt werden. Die Gefahr, dass Tiere mehr leisten müssen, als sie eigentlich können, ist hoch. In der Folge sind die Pferde anfälliger für gesundheitliche Probleme und umso dringlicher auf eine regelmäßige tiermedizinische Versorgung angewiesen. Doch dafür fehlen den Menschen oft die Mittel.
Hinzu kommt:In Indien ist die tiermedizinische Versorgung für Pferde noch unterentwickelt und spielt zudem in der Ausbildung der Tierärztinnen und Tierärzte keine große Rolle. Diese Lücken wollen wir gemeinsam mit unserer Partnerorganisation vor Ort füllen. Wir suchen die Pferdehalterinnen und Pferdehalter auf, informieren sie und bieten Unterstützung an. Zur Versorgung – auch der streunenden Tiere, deren Halterinnen und Halter nicht immer ausfindig zu machen sind – sind wir mit mobilen Kliniken unterwegs, wo die Tiere untersucht und behandelt werden können.
Zudem engagieren wir uns mit Trainings für die Verbesserung der Kenntnisse von lokalen Tierärztinnen und Tierärzten bei der Behandlung von Pferden. In diesem Rahmen finden etwa auch Hufschmiedekurse statt.“
Studie belegt Pferde in Gruppenhaltung kooperieren besser mit Menschen
PETBOOK Interview 25 Jahre Welttierschutzgesellschaft – so hat sich die Arbeit der Tierschützer verändert
Indische Rasse Die Geschichte der legendären Marwari-Pferde
Pferde weltweit von Klimawandel betroffen
Sehen Sie im Hinblick auf den Klimawandel und sich verändernde Wetterbedingungen eine zusätzliche Beeinflussung des Wohls von Pferden?
„Absolut. Bedingt durch den Klimawandel entstehen ganzneue Herausforderungen für die Gesundheit und den Tierschutz der Pferde. Auch hierzulande rücken Krankheiten, wie das West-Nil-Virus, vor. Dieses Virus kann auch Pferde betreffen und schwere Verläufe haben. Für neue Krankheiten wie diese muss das Bewusstsein geschaffen werden, damit sie erkannt und Tiere richtig behandelt werden.
Auch das Thema der Futterbereitstellung kann zum Problem werden. Vor allem während vergangener Hitzesommer und Dürreperioden kam es bereits zu Engpässen der Heuversorgung. Ein Pferd benötigt ungefähr zehn Kilogramm Heu pro Tag, das addiert sich schnell. Insofern kann ein lokaler Mangel die Gesundheit der Pferde beeinflussen, wenn sie nicht mehr ausreichend gutes Futter bekommen. In solchen Situation wird auch Heu minderwertiger Qualität verfüttert, das kann von Milben befallen sein und die Pferde krank machen.
Ein weiterer Nebeneffekt des Klimawandels auch hierzulande ist die Zunahme von Waldbränden. Hier sind Pferdeställe besonders betroffen, da sie sich oft in ländlichen Gebieten, in der Nähe von Wäldern, befinden. Diese Gefahren können klimabedingt zunehmen. In unseren Einsätzen weltweit sehen wir uns bereits immer häufiger Wetterextremen ausgesetzt, die dann schnelle Nothilfen nötig machen, etwa für die Evakuierung der Tiere bei Fluten oder die Bereitstellung von Futtermitteln in Dürrezeiten – in den letzten Jahren haben wir dies mehrfach auch für die Pferde in Indien geleistet. Es gilt also für uns als Tierschutzorganisation mittlerweile, sich neben der laufenden Tierschutzarbeit zunehmend auch für schnelle Maßnahmen zu wappnen.“