5. Dezember 2022, 17:08 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Uwe Weinzierl ist vielen Pferdehaltern wohl aus Fernsehen und TV ein Begriff. PETBOOK befragte den Pferdeflüsterer in einem Interview über seine Philosophie des Natural Horsemanship und seiner Philosophie, dass Pferde den Menschen nicht lieben können.
„Wie sollen uns Pferde lieben?‘ Wir sind hässlich! Wir stinken! Und wir sind Aasfresser!“ Uwe Weinzierl (64) liebt es, mit seinen Aussagen zu provozieren. Der Pferdetrainer arbeitete lange Zeit als Kabarettist, spielte Theater und machte Musik. Sein Herz für Pferde entdeckte er erst spät – mit Anfang 30. Weit gebracht hat er es trotzdem. Weinzierl ist „Verladekönig” (Cavallo, 2011), „Der Mann, der die Pferde versteht“ (NDR-Doku) und Buchautor („Der Pferdeversteher – Wie ich zum Horseman wurde und was Sie daraus lernen können“ sowie „Das Roundpen-Praxisbuch – Freiheitsarbeit mit Pferden“). PETBOOK sprach mit Pferdeversteher Uwe Weinzierl über seine Arbeitsweise, über die „Verzärtelung“ von Pferden und über die Wünsche seiner Kunden.
PETBOOK: Uwe, du bist Anhänger des Natural Horsemanship. Das ist eine Philosophie, die der US-Amerikaner Pat Parelli 1981 nach Europa gebracht hat. Ziel ist es, Menschen zu lehren, wie ein Pferd zu denken und das Tier zu geistiger Mitarbeit zu motivieren. Was verbindest du aus heutiger Sicht mit Natural Horsemanship?
Uwe Weinzierl: Horsemanship ist wie Tangotanzen: Es muss klar sein, wer führt und wer fühlt. Pat Parelli hat mit den 7 Spielen ein tolles, einfaches System entwickelt und ich hatte nie das Bedürfnis, daran Verbesserungen vorzunehmen. Viele Pferdetrainer finden die 7 Spiele veraltet. Ich sehe das nicht so. Die 7 Spiele sind die ideale Basis, um Anfänger an Horsemanship heranzuführen. Ich unterrichte sie jetzt seit 30 Jahren und bleibe dabei.* Natürlich habe ich irgendwann gemerkt, es gibt noch so viele andere, die es auch gut machen. Thomas Günther (Pro Ride Horsemanship) hat mir die Arbeit von Clinton Anderson näher gebracht. Anderson ist in Deutschland weniger bekannt als Parelli. Das liegt daran, dass er nie einen Fuß nach Europa gesetzt hat. 200 Millionen Amerikaner waren ihm Kundschaft genug. Anderson ist ein Meister der bildhaften Vereinfachung. Er sagt: ‚Reiten ist wie Autofahren. Es geht nur um Gas, Bremse, Lenkung‘.
*Anm. der Redaktion: Uwe Weinzierl bezieht sich hier auf die 7 Spiele nach Pat Parelli. Diese sind Verhaltensweisen nachempfunden, die Pferde untereinander zeigen. Ziel ist es, dass der Mensch in unterschiedlichen Situationen und Aufgabenstellungen mit dem Pferd kommunizieren kann.
Ohne Druck kommt Natural Horsemanship nicht aus. Kritiker bemängeln, dass viele Horsemanship-Trainer Pferde lediglich dressieren. Was sagst du deinen Kunden, wenn sie komplett ohne Zwang arbeiten möchten?
„Ich sage ihnen, dass ich ihr Pferd nicht in den Hänger streicheln kann. Das Pferd muss den Hänger nicht lieben. Es muss lediglich vor mir Respekt haben und mir Vertrauen. Es gibt nur 2 Gründe, warum Pferde nicht auf den Hänger gehen – entweder sie haben zu viel Angst, dann fehlt das Vertrauen. Oder sie haben kein Bock auf das dunkle Loch und gehen deshalb nicht – dann haben sie keinen Respekt. In beiden Fällen vermittele ich dem Pferd, du musst leider da rein und ich mache es dir unbequem, wenn du nicht gehst. Die Unbequemlichkeit kann man auf unterschiedliche Weise ausüben. Zum Beispiel, indem ich das Pferd ein paar Runden um mich herum galoppieren lasse. Bewegungssgtress. Dann biete ich ihm wieder an, in den Hänger zu gehen, wo es seine Ruhe hat. Wenn es nicht einsteigt, lasse ich es wieder laufen. Im Grunde ist es das Prinzip: ‚Mach das erwünschte Verhalten bequem und das Unerwünschte unbequem‘.“
Wie sehen die einzelnen Steps aus, um ein Pferd mit Verladeproblemen tatsächlich auf den Hänger zu bekommen?
„Man kann dem Pferd nicht erklären, dass es unter Umständen lebensrettend ist, in den Hänger zu gehen. Sondern man macht ihm klar, du musst den Weg des geringsten Widerstands gehen. Du wirst auf dem Sandplatz keine ruhige Minute mehr haben, bis deine Hufe auf der Rampe sind. Und sobald ein Huf die Rampe berührt, ist Entspannung. Dann wird der Druck weggenommen. Damit es lernt, oh, das ist komfortabel. Im nächsten Step reicht es nicht mehr aus, nur zwei Hufe auf die Rampe zu stellen, dann müssen es vier sein. Ansonsten muss das Pferd wieder laufen. Wenn auch das geklappt hat und alle 4 Hufe auf der Rampe sind, fordere ich von dem Pferd, ganz in den Hänger zu gehen.“
Auch interessant: Was man tun sollte, wenn das Pferd beim Führen rempelt
Was einfach klingt, hat bei vielen Pferdebesitzern und Trainern schon zu ernsten Verletzungen geführt…
„Richtig. Deshalb verteidige ich meinen persönlichen Raum mit allem, was ich habe. Mein Stick* wird zu einem mobilen Stromzaun. Ich bin tatsächlich noch nie beim Hängertraining von einem Pferd umgerannt worden. Wir alle möchten immer zurück zur Natur und mit der Natur leben, sind dann zutiefst erschrocken, wenn ihnen eine Katze mit einem schreienden, flatternden Vogel im Maul entgegenkommt. Die Natur ist aber eben so. Bevor ich hierhergefahren bin, haben wir auf der Weide 3 Junghengste zusammengeführt. Was da ablief, sowas habe ich vorher noch nicht gesehen. Da war wirklich der Versuch, sich gegenseitig etwas anzutun!“
„Am Ende passiert dann außer ein paar Bisswunden nicht viel, weil dann doch einer nachgibt. Die steigen sich an, der eine beißt in die Mähne, mit allem, was er hat. Der andere tritt so feste es geht und nach 5 Minuten ist das Thema erledigt, weil der, der verloren hat, seiner Wege geht und Abstand hält. Nach 3 Tagen würdest du nicht mehr denken, dass da jemals ein Krieg zwischen denen getobt hat. Es wurde geregelt und dann ist es durch. Dann reicht es, die Ohren anzulegen, die Zähne zu fletschen und dann ist der andere weg. Das ist nun mal die Natur, die kann man sich schönreden oder sie so akzeptieren, wie sie ist. Ich bin für letzteres.“
*Anm. der Red.: Der Horsemanstick, den Uwe Weinzierl hier beschreibt, dient in der Bodenarbeit als Armverlängerumg. Während eine Gerte eine peitschende Wirkung entfalten kann, ist der Stick starr. Meist wird an seiner Spitze ein Seil, der sogenannte String, befestigt.
https://oembed/petbook/affiliate/6bd8bfe6b82c33f4c46ba531e9924f4cd9e0168dcff50f5eab2ff7f46ff2fe0e/5cfe814a-868f-47cf-a245-7ec02dfaf9cd/embed
Deine persönliche Philosophie ist, dass uns Pferde nicht lieben und wir für sie beliebig austauschbar sind. Wissenschaftlich ist das nicht erwiesen. Warum vermittelst du das deinen Kunden?
„Mir geht es in erster Linie um Wahrhaftigkeit und Authentizität. Diese Verzärtelung der Pferde missfällt mir. Ich möchte Kunden von vornherein klarmachen, wie ich denke. Damit sie nicht versehentlich auf meinen Hof kommen, aber meine Einstellung gar nicht teilen. Ich setze Pferden Grenzen – und zwar nach dem Prinzip „So wenig Druck wie möglich, aber so viel wie nötig“. Man muss am Anfang diesen kleinen Tod sterben, um hinterher fein mit dem Pferd kommunizieren zu können. Das ist wie bei den Hengsten, die später friedlich an der Raufe stehen.“
Wie sehen uns Pferde deiner Meinung nach?
„Menschen sind die natürlichen Feinde der Pferde. Aus Pferdesicht sind wir ekelhaft. Wie sollen uns Pferde lieben? Wir sind hässlich! Wir stinken! Und wir sind Aasfresser! Das Fluchttier liebt seinen Killer nicht. Natürlich darf man sein Pferd lieben, man darf aber nicht erwarten, dass man etwas zurückbekommt. Je besser ein Pferd gehalten wird, desto weniger braucht es den Menschen. Die Offenstallhaltung ist aus meiner Sicht ohnehin alternativlos.“
Welches Ziel möchten deine Kunden mit deiner Hilfe erreichen?
„Sie möchten nach Feierabend oder am Wochenende auf ihrem Pony ausreiten. Das muss gut ausgebildet sein und möglichst schreckfrei sein. Das reicht völlig aus, mehr braucht man nicht. Man kann natürlich eine Reitkunst daraus machen, aber man kann es auch einfach tun, ohne es kompliziert zu machen. Die meisten meiner Kunden sind völlig zufrieden, wenn ihr Pony dann anhält, wenn sie es wollen. Außerdem bin ich der Meinung, Training muss Spaß machen und sollte nicht zu verbissen sein. Da kommt vermutlich wieder der Kabarettist in mir durch.“