23. Mai 2024, 13:58 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Mittlerweile bieten viele Tierärzte auch Online-Sprechstunden an. Aber kann man über einen Videocall überhaupt den Gesundheitszustand von Hund oder Katze vernünftig beurteilen? Und muss man nicht ohnehin zum „echten“ Arzt, wenn was ist und zahlt dann doppelt? Wie viele Tierbesitzer war auch die PETBOOK-Redaktion skeptisch, was die Telemedizin für Haustiere angeht. Dabei gibt es tatsächlich einige Situationen und gute Gründe, die für einen Videocall mit dem Tierarzt sprechen.
Es war Himmelfahrt und ich war auf einer Dienstreise, als mein Mann mich verzweifelt versuchte, anzurufen. Der Hund hatte sich mehrmals auf dem Bett übergeben – blutig. „Meinst Du, sie hat Gift gefressen? Soll ich zur Tierklinik? Aber es ist doch Feiertag!“ Fragen über Fragen ergossen sich aus dem anderen Ende der Leitung, nachdem ich 45 Minuten und sechs verpasste Anrufe später endlich zurückrief. Genau in solchen Momenten wäre eine Online-Sprechstunde beim Tierarzt sinnvoll gewesen. Denn genau hier soll die Telemedizin eine Lücke schließen, mit der fast jeder Haustierbesitzer schon einmal konfrontiert gewesen ist.
Was ist eine Online-Sprechstunde beim Tierarzt?
Telemedizin ist nichts Neues. Im Humanbereich gibt es sie schon lange. Viele Krankenkassen bieten mittlerweile Online-Gespräche mit Ärzten oder Experten an. Vor allem, wenn der eigene Hausarzt schon geschlossen hat oder an Sonn- und Feiertagen haben Patienten so die Möglichkeit, sich fachkundigen Rat zu holen. Vieles lässt sich tatsächlich schon per Video klären – so ist es auch bei Haustieren.
Seit einiger Zeit kann man für Hund, Katze und Co. auch Termine beim Tierarzt online buchen. Der Veterinär kann dann eine erste Einschätzung geben. Vor allem frischgebackene Hunde- oder Katzeneltern sind anfangs noch unsicher. Denn ab wann sollte man sich Sorgen machen und ab wann zum Arzt? Allein der Gedanke, das Tier jetzt einzufangen und mit dem Auto zum Tierarzt bringen zu müssen, stellt für viele eine Hürde dar. Ein Videoanruf geht bequem von Zuhause und erspart Tier und Halter erst einmal Stress.
Welche Tierärzte bieten Online-Sprechstunden an?
Mittlerweile finden sich viele verschiedene Angebote für Online-Termine mit Tierärzten auf dem Markt. In der App „Dogorama“, die viele vor allem für Giftköder-Meldungen nutzen, können die Mitglieder jederzeit einen Tierarzt sprechen – auch zu Zeiten, in denen normale Praxen bereits geschlossen haben. Auch der Tierversicherer Petolo bietet Mitgliedern diese Option (PETBOOK berichtete).
Daneben gibt es extra Portale wie Dr. Fressnpaf oder die Haustierdocs, bei denen man auch ohne App oder eine Mitgliedschaft Sprechstunden bei Tierärzten per Videocall buchen kann.
Wie funktioniert ein Online-Termin beim Tierarzt?
PETBOOK fragte bei den Haustierdocs, einem unabhängigen, bundesweitem Telemedizin-Portal und Netzwerk niedergelassener Tierärzte in Deutschland an und wollte wissen, wie eine Terminvereinbarung konkret funktioniert. „Sobald man auf der Website ist, sieht man sofort, wie viele Tierärzte gerade online sind“, erklären Tanja und Stefan Kreutz, Gründer der Telemedizin-Plattform.
„Wir arbeiten im Prinzip wie in einem Notdienst. Das heißt, wir versuchen das Ganze möglichst regional zuzuspielen. Wenn man seine Postleitzahl eingibt, zeigt das System sofort die Ärzte in der Nähe an.“ Wer einen Notfall hat und nicht erst nach einem Tierarzt suchen will, könne auch auf „schnelle Hilfe“ gehen. Dann entscheide das System anhand der Postleitzahl, welcher Tierarzt am nächsten gelegen ist.
Voraussetzung ist auch hier, dass man sich als Nutzer zuvor mit seiner Adresse registriert und auch Zahlungsdaten hinterlässt. Das ist allerdings bei allen Anbietern der Fall. Im besten Fall registriert man sich daher bereits bevor ein Notfall eintritt.
Warum es sich lohnt
Vor allem Tierbesitzer, die im Stadtgebiet wohnen, fragen sich, ob sich das Angebot der Telemedizin auch lohnt. Denn in der Regel liegen im Umkreis gleich mehrere Tierarztpraxen. In Großstädten wie Berlin haben verschiedene Kliniken und Praxen einen Notfalldienst.
Doch jeder, der schon einmal einen vermeintlichen Notfall hatte, weiß, wie stressig die Situation sein kann. Vor allem nachts überlegt man sich zweimal, ob man in die Klinik fährt. Die kann selbst in Berlin mehrere Kilometer weit weg sein. Für Leute ohne Auto eine Herausforderung.
Wer ländlicher wohnt, hat es oft noch schwerer. Zwar findet man in der Regel Tiermediziner in der Umgebung, die gerade Notdienst haben, diese Angaben sind aber nicht immer aktuell. Oft landet man in Warteschleifen oder klingelt im schlimmsten Fall Veterinäre aus dem Bett, die eigentlich vorletzte Woche im Nachtdienst waren.
In 80 Prozent der Fälle braucht man nicht in die Praxis zu fahren
Auch wenn es oft beängstigend ist, wenn der Hund nachts plötzlich erbricht oder zittert. In vielen Fällen handelt es sich tatsächlich nicht um „echte Notfälle“, so die Erfahrung von Tanja und Stefan Kreutz. So wäre laut den Gründern von Haustierdocs in 80 Prozent der Fälle ein Gang in die Praxis nicht nötig.
„Wenn du aber zu den 20 Prozent gehörst, die ein Notfall sind, werden dem Tierarzt automatisch die nächstgelegenen offenen Notdienste in deiner Nähe angezeigt“, so Tanja Kreutz. „Dann überweist er dich in die nächste Tierklinik und gibt den Kollegen dort auch schon Bescheid, damit die sich vorbereiten können.“
Oft ginge es um Fälle wie Erbrechen oder Durchfall. Darunter sind auch durchaus mal gefährliche Situationen: „Etwa, wenn Hund was falsches gefressen hat, wie Ibuprofen, Schokolade oder auch mal Damenbinden.“
Tiere sterben auf dem Parkplatz
Die Ankündigung in der Klinik ist ein wichtiger Punkt. Oft lautet die erste Frage bei der Anmeldung nämlich: „Haben Sie vorher angerufen?“ In den meisten Tierkliniken könne man aber gar nicht mehr anrufen, merkt Stefan Kreutz an. „Die haben meist den Anrufbeantworter laufen oder gehen nicht mehr ans Telefon, weil die so überlaufen sind.“
Zwischendurch sei die Lage in den Kliniken so dramatisch, dass in Großstädten wie Frankfurt am Main die Tierkliniken an Wochenenden total überfüllt seien. Da viele Tierärzte am Wochenende geschlossen haben, gehen Tierbesitzer auch mit Kleinigkeiten in die Klinik, weil sie es oft nicht einschätzen können, und verstopfen so die Notfallpraxen. „Es ist so voll, dass viele draußen im Auto warten müssen und ihnen dadurch manchmal wirklich Tiere im Kofferraum sterben“, sagt Stefan Kreutz. Telemedizin sei daher eine Sache, mit der man den Notdienst entlasten könne.
Online-Sprechstunden lohnen sich auch für Tierärzte
Auch für Tierärzte lohnt sich die Online-Sprechstunde. Denn in der Regel erhalten die Veterinäre im Voraus ihr Geld, während sie in der Praxis oft Rechnungen monatelang hinterherlaufen müssen. Auch Tierärztinnen im Mutterschutz können so noch eine Weile aktiv bleiben und Tierbesitzern mit ihrer Fachkompetenz helfen.
„Zudem gibt es vielleicht auch erfahrene Tierärzte, die eigentlich schon in Pension sind, aber Lust haben, das einfach noch mal zu machen“, sagt Kreutz. So könne man durch Telemedizin wichtige Ressourcen in der Tiermedizin reaktivieren.
Weniger Stress für Tier und Halter
Auch wenn man keinen Notfall hat, kann sich eine Online-Sprechstunde lohnen. Vor allem, wenn man ein Tier hat, dass unglaublichen Stress beim Tierarztbesuch empfindet. Dann verhalten sich die Patienten oft ganz anders als zu Hause und zeigen nicht das typische Krankheitsbild. Im Videochat kann sich der Tierarzt ein Bild von dem Haustier in seiner gewohnten Umgebung machen.
Für eine erste Beurteilung reicht es oft aus, die Tiere per Kamera zu sehen. Zudem besteht die Möglichkeit, Bilder von den Symptomen mitzuschicken. Zusammen mit einem ersten Gespräch lässt sich oft gut einschätzen, ob ein Gang zum Tierarzt oder in die Klinik wirklich nötig ist und kann Katze (und Mensch) im Zweifel viel Stress sparen.
Was kostet der Online-Termin beim Tierarzt?
Je nach Plattform variieren die Preise, wobei sich seriöse Anbieter immer die Gebührenordnung der Tierärzte (GOT) orientieren. In manchen Versicherungen ist der Service inbegriffen. Bei der App Dogorama zahlt man für den Videochat mit dem Tierarzt 23,49 Euro in den regulären Zeiten, außerhalb dieser sowie Sonn- und Feiertags 33,49 Euro. Für Club-Mitglieder ist die erste Sprechstunde im Jahr kostenlos.
Dr. Fressnapf nimmt 21,90 Euro für ein Beratungsgespräch von 15 Minuten. Bei den Haustierdocs kostet die tierärztliche Beratung 26,95 Euro im Tagesdienst und 86,95 Euro im Notdienst und 86,95 Euro im Notdienst (nachts sowie an Sonn- und Feiertagen, inkl. gesetzl. Notdienstgebühr von 59,50 Euro).
Bei vielen Tierkrankenversicherungen könne man die Kosten für den Videochat mit dem Tierarzt einreichen, erklärt Kreutz. „Die Allianz, Uelzener und Barmenia übernehmen diese Kosten. Da gibt es aber noch einige andere, die das auch tun.“
Wie lange wartet man auf einen Termin?
Wie schnell man einen Termin per Online-Call bekommt, hängt auch davon ab, wie viele Tierärzte beim Service gerade zur Verfügung stehen. Dr. Fressnapf gibt Nutzern etwa gleich den ersten Blick an, wann der nächste Termin frei wird (in der Regel fünf bis zehn Minuten).
Bei den Haustierdocs hätte man die Sicherheit, dann man in fünf bis maximal 15 Minuten einen Videoanruf mit dem Tierarzt erhält, versichert Stefan Kreutz. „In der Regel liegen unsere Response-Zeiten unter fünf Munten.“
Telemedizin Wie sinnvoll ist ein Besuch beim Tierarzt via Internet? Experten klären auf
Halbes Jahr nach Anhebung So wirken sich die höheren Tierarztgebühren aus
Ehrenamtliche Tiermediziner Diese Vereine kümmern sich um Tiere von Hilfebedürftigen
Auch Experten-Sprechstunden möglich
Neben der Abdeckung von Notfällen oder Beratungsgesprächen werden auch Sprechstunden mit Experten immer gefragter. So kann man Dr. Fressnapf auch schon eine professionelle Ernährungsberatung buchen. Auch die Haustierdocs wollen ihr Repertoire dahin gehend erweitern. So soll man zukünftig die Tierärzte nach Tier und Fachgebiet wählen können.
Das ist vor allem für Tierbesitzer interessant, die nicht automatisch alle möglichen Spezialisten in der näheren Umgebung haben. Wir in Berlin dagegen können uns glücklich schätzen, dass wir mit mehreren Kliniken und Praxen im Notdienst, eher die Qual der Wahl haben. Zum Glück blieb uns dies aber mit Yumi – zumindest dieses Mal – erspart.
Dank ein paar Fotos und dem Erbrochenen konnte ich schließlich den Grund ausmachen, warum sich der Hund plötzlich blutig übergeben musste: Sie hatte einer unserer getrockneten Chilis gefunden und im Ganzen verschluckt. Zum Glück war es nur eine kleine Frucht – etwa so groß wie eine Beere –, die durch das Erbrechen schnell wieder nach draußen befördert wurde, bevor sie größeren Schaden anrichten konnte. Hier hätte sicher auch der Tierarzt im Online-Termin Entwarnung gegeben.