17. Oktober 2024, 15:03 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Die internationale Tierschutzorganisation Vier Pfoten ist mittlerweile seit 30 Jahren in Deutschland aktiv. Was sich seitdem für die Tiere verbessert hat und was nicht, erklärt Deutschland-Direktor Volker Gaßner PETBOOK im Interview.
Hätte man Menschen vor 30 Jahren noch gesagt, dass man aus ethischen Gründen keine Daunenkissen benutzt, kein Fleisch isst oder nicht in den Zirkus geht, wäre man sicher belächelt worden. Noch heute wünschen sich zwar viele Menschen mehr Tierschutz, doch am liebsten ohne Verzicht. Wie das aussehen soll, wissen viele nicht. Und dass Tiere eigentlich Lebewesen mit denselben Rechten wie Menschen sind, denen wir diese genommen haben, ist immer noch ein unbequemer Gedanke. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Organisationen wie Vier Pfoten sich seit nunmehr 30 Jahren für mehr Rechte für unsere tierischen Mitgeschöpfe einsetzen.
PETBOOK sprach mit dem neuen Deutschland-Direktor Volker Gaßner über das Jubiläum, High- und Lowlights und welche Schritte Vier Pfoten in den nächsten Jahren noch gehen will.
Vier Pfoten Deutschland startete mit nur 6 Mitgliedern
PETBOOK: Herr Gaßner, wie hat sich die Tierschutzarbeit 30 Jahre nach der Gründung von Vier Pfoten verändert?
Volker Gaßner: „Für uns hat sich die Tierschutzarbeit in den letzten 30 Jahren stark professionalisiert. Vier Pfoten Deutschland ist 1994 mit gerade einmal sechs Personen gestartet. Heute sind wir eine starke Tierschutzorganisation mit allein in Deutschland rund zweihundert Mitarbeitenden und mehr als zweitausend Ehrenamtlichen.
Da wir eine globale Stiftung sind, arbeiten international noch weit mehr Menschen für Vier Pfoten. Hierzulande betreiben wir neben unserem Büro in Hamburg, ein Büro im Berliner Regierungsbezirk sowie die Schutzzentren Bärenwald Müritz und die Tierart Wildtierstation in Rheinland-Pfalz.
Gibt es noch dieselben Themen wie am Anfang oder haben sich viele neue Themen- und Arbeitsfelder eröffnet?
„Tierleid hat viele Gesichter. Während uns zum Beispiel die Tiere in der Landwirtschaft oder die Wildtiere in Zirkussen damals wie heute beschäftigen, stellen uns heute das Internet und die Sozialen Netzwerke wie Facebook und Co., vor andere Probleme.
So werden zum Beispiel vermehrt Heimtiere und exotische Tiere über Social-Media-Plattformen angeboten und verkauft. Sie werden selten artgemäß gehalten, kommen aus Qualzuchten und sind ihr ganzes Leben lang krank. Und das alles, obwohl der Facebook- und Instagram-Mutterkonzern Meta den Handel mit Tieren in seinen Statuten eigentlich nicht gestattet.“
Vier-Pfoten-Gründer wollte eine Welt, in der Tieren mit Respekt begegnet wird
Der Gründer von Vier Pfoten ist mittlerweile leider verstorben. Wie schwer war es, seine Fußstapfen zu füllen?
„In die Fußstapfen anderer sollte man erst gar nicht treten wollen. Ich habe einen großen Respekt vor Menschen, die eine Vision entwickeln und sich in ihrem täglichen Handeln genau dieser verpflichtet fühlen. Bei Vier Pfoten war die Vision unseres Gründers Heli Dungler eine Welt, in der Menschen den Tieren mit Respekt, Mitgefühl und Verständnis begegnen. Dieser Vision fühle ich mich verpflichtet.
Ich möchte gemeinsam im Team starke Projekte und Kampagnen entwickeln, um Druck auf Politik und Konzerne aufzubauen, damit es Tieren in menschlicher Obhut besser geht und sie nicht mehr unter schlechten Haltungsbedingungen leiden müssen.“
Welches ist Ihr Lieblingsprojekt?
„Ich finde es großartig, dass wir in unseren Schutzzentren Bärenwald Müritz und Tierart etlichen Tieren ein Zuhause geben können, die aus Zoos, Zirkussen und privater Haltung aus unvorstellbaren Bedingungen gerettet wurden. Zum Beispiel Bären, die als Attraktion für Restaurantbesucher in kleinen Stahlkäfigen auf nacktem Beton gehalten wurden.
Diesen Tieren bieten wir nach oft jahrelangem Leiden eine artgemäße Umgebung, in der sie ihre Instinkte wiederentdecken und ihr natürliches Verhalten ausleben können – umherstreifen, sich zurückziehen, Höhlen graben, im Teich baden oder in die Winterruhe gehen.“
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9 von 10 Deutsche wünschen sich mehr Tierschutz
Sie sprechen von einer stabilen Basis für den Tierschutz, wobei es vor allem um drei Säulen geht. In welchem der Bereiche – gesellschaftlich, rechtlich und wirtschaftlich – gibt es die meisten positiven, in welchem die meisten negativen Entwicklungen?
„Wir finden richtig gut, dass sich in der Gesellschaft ein Bewusstsein für mehr Tierwohl entwickelt hat. Laut einer Umfrage der EU-Kommission wünschen sich neun von zehn Deutschen mehr Tierschutz. Immer mehr Menschen achten auf die Herkunft ihres Essens und stellen ihren Speiseplan auch auf eine vegetarische oder vegane Ernährung um.
Das hat auch die Wirtschaft erkannt und bietet immer mehr vegetarische und vegane Optionen an. Das führt wiederum dazu, dass eine Umstellung der Ernährung erleichtert wird. So ist der Fleischkonsum in Deutschland beispielsweise seit Jahren rückläufig. Wenn die Gesellschaft für Tierschutz-Themen sensibilisiert ist, hat dies auch Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Bei der Gesetzeslage zum Schutz des Tierwohls ist noch viel Luft nach oben. Auch wenn wir in den vergangenen Jahren bei vielen Gesetzesänderungen Druck zur Verbesserung des Tierwohls gemacht haben und mit Politiker:innen im Dialog waren, sind Tiere heute noch sehr weit entfernt davon, ausreichend geschützt zu sein. Es ist schade, dass die Novellierung des Tierschutzgesetztes nur schleppend vorangeht. Der aktuelle Gesetzesentwurf hat noch viel zu viele Leerstellen. Mit dem aktuellen Stand können und dürfen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht zufrieden sein. Das betrifft etwa Amputationen bei Tieren in der Landwirtschaft oder die Anbindehaltung bei Rindern. Derzeit wird das Tierschutzgesetz seinem Namen nicht gerecht.“
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Vier Pfoten: »Kämpfen gegen eine fast übermächtige Lobby
Was war bislang der größte Erfolg von Vier Pfoten?
„Tierschützer leben eher von den vielen kleinen als von dem einen großen Erfolg. Immerhin kämpfen wir gegen eine fast übermächtige Lobby, die die Interessen der Wirtschaft vertritt. Aber gerne nenne ich hier ein paar Highlights: Einen wichtigen und großen Erfolg hatte Vier Pfoten im Jahr 2002, als nach unserer jahrelangen Kampagnenarbeit der Tierschutz als Staatsziel in das deutsche Grundgesetz aufgenommen wurde.
Unsere Aufklärungskampagne zum Thema Kastenstand in der deutschen Schweinemast hat dazu geführt, dass die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung im Jahr 2020 deutlich im Sinne des Tierschutzes verbessert wurde. Ein weiterer großer Erfolg ist, dass es auf deutschem Boden keine Pelztierfarmen mehr gibt. Und erst in diesem Jahr haben wir gemeinsam mit vielen anderen Organisationen das Luxus-Label Max Mara dazu gebracht, in kommenden Kollektionen keinen Pelz mehr zu verwenden.“
»Leiden von Wildtieren in Zirkussen Thema der ersten Stunde für Vier Pfoten
Und welches ist die größte Niederlage oder Enttäuschung gewesen?
„Leid lässt sich nicht gegeneinander aufwiegen. Man kann schon sagen, dass das Leiden von Wildtieren in Zirkussen ein Thema der ersten Stunde für Vier Pfoten Deutschland war. Heute – 30 Jahre später – müssen noch immer Tiger und Löwen durch brennende Reifen springen. Elefanten müssen auf einem Bein stehen, in viel zu kleinen Käfigen leben und die Tiere werden in viel zu kleinen Wagen durch die Gegend gefahren.
Es ist schon bedrückend, dass Deutschland hier trauriges EU-Schlusslicht ist, diese unsägliche Haltung von Wildtieren zulässt und damit großes Tierleid produziert und duldet. Ein wirksames Tierschutzgesetz könnte dies ändern.
Ein weiteres Thema sind Lebendtiertransporte in Drittstaaten. Auch hier hat sich die Situation für die Tiere kaum verbessert. Während dieser Höllenfahrten leiden die Tiere unter Stress, Erschöpfung, Überhitzung und Verletzungen.
Mit der Wahl einer Bundesregierung unter grüner Beteiligung und dem selbst ernannten ‚obersten Tierschützer‘ Cem Özdemir als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft hatten wir große Hoffnung, dass ein Tierschutzgesetz auf den Weg gebracht werden könnte, das Tiere wirklich schützt. Der Stand des aktuellen Gesetzesentwurfes ist allerdings eher enttäuschend.“
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»Tierschutz hört nicht an den Grenzen Deutschlands auf
Wie geht es mit Vier Pfoten weiter?
„Momentan arbeiten wir verstärkt daran, dass das erneuerte Tierschutzgesetz seinen Namen auch verdient. Dafür üben wir Druck auf Wirtschaft und Politik aus, sind aber auch mit der Politik im Gespräch und bieten unsere Expertise an. Wir wollen damit für Heimtiere, Tiere in der Landwirtschaft und Wildtiere gleichermaßen bessere Bedingungen schaffen.
Tierschutz hört jedoch nicht an den Grenzen Deutschlands auf, weshalb wir uns als internationale Tierschutzorganisation weiterhin weltweit für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Tieren unter direktem menschlichem Einfluss einsetzen.
Auch in den nächsten 30 Jahren werden wir für eine Welt kämpfen, in der Menschen Tieren mit Respekt, Mitgefühl und Verständnis begegnen.“