28. November 2024, 12:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten deckt in einem Bericht grausame Bedingungen in Südafrikas Tigerfarmen auf. Knochen und Felle sind begehrte Handelsgüter in Asien. Mittlerweile ist die Nachfrage so groß, dass die Tiere zu Tausenden kommerziell gezüchtet werden. PETBOOK sprach mit der Tierschutzorganisation über das Ausmaß der Großkatzenindustrie und welche Rolle Europa dabei spielt.
Spätestens seit Dokumentationen wie „Tiger King“ wissen viele über das riesige Geschäft mit Großkatzen Bescheid. Was allerdings weniger bekannt ist: Tiger und Löwen werden nicht nur als exotische Tiere gehalten – viele ihrer Körperteile sind beliebte Handelsgüter, etwa für traditionelle Medizin. Die Nachfrage ist vor allem aus asiatischen Ländern mittlerweile so groß, dass es ein lukratives Geschäft ist, Knochen, Zähne und Fell der Großkatzen anzubieten. Der weltweit größte Exporteur ist dabei Südafrika.
Doch Tiger sind dort überhaupt nicht heimisch. Um den Bedarf zu decken, „produziert“ das Land Tausende von Tieren in Tigerfarmen unter grausamen Bedingungen. Dies deckte nun ein umfangreicher Bericht der Tierschutzorganisation Vier Pfoten auf. PETBOOK sprach mit Vanessa Amoroso, Leiterin für Wildtierhandel bei Vier Pfoten über das Ausmaß der Großkatzenindustrie in Südafrika und welche Rolle Europa dabei spielt.
Die meisten Tiger werden in Großkatzenfarmen geboren
Viele der Daten, die in dem Bericht der Tierschutzorganisation vorgestellt werden, stammen von der Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (kurz CITES genannt). Demnach wurde Südafrika als der weltweit größte Exporteur von Tigern und anderen Großkatzen und ihren Teilen identifiziert.
Die Analyse der CITES-Handelsdatenbank zeigt außerdem, dass die meisten Großkatzen und Großkatzenteile, die aus Südafrika exportiert werden, von Tieren stammen, die in kommerziellen Großkatzenfarmen aufwachsen, heißt es im Bericht. Die Tiere werden in Gefangenschaft geboren und sterben dort auch.
Sobald Tiere zu alt und groß sind, werden sie für Trophäen gejagt
„Von der Geburt bis zum Tod sind sie in jeder Phase mit Ausbeutung konfrontiert“, erzählt Vanessa Amoroso PETBOOK. „Die Weibchen werden intensiv gezüchtet. Ihre Jungen werden früh weggenommen, damit sie sich wieder fortpflanzen können.“ Die Jungen würden dann zum Kuscheln, Selfies und Spazierengehen verwendet. Sobald die Tiere zu alt und zu groß werden, werden einige für Trophäen gejagt. „Ihre Knochen und Felle können dann für traditionelle Medizin oder Luxusgüter verarbeitet werden.“
Sowohl Berichte von Vier Pfoten als auch Studien deuten darauf hin, dass viele Tiger, die in Südafrikas Tigerfarmen aufwachsen, für den Handel mit Knochen und Körperteilen bestimmt sind. So dokumentierte ein Bericht aus dem Jahr 2024 Interviews mit Arbeitern. Diese waren in zwei stillgelegten Anlagen für in Gefangenschaft gehaltene Löwen tätig. Nach ihren Aussagen sollen Löwen und Tiger dort gemeinsam gehalten worden sein. Wenn sie bei der Jagd getötet wurden, wurden ihre Knochen gereinigt und anschließend an asiatische Knochenkäufer verkauft.
Über 100 besorgniserregende Tigeranlagen
Wie viele Tiger in Südafrika in Farmen leben, sei schwer zu sagen, schreiben die Tierschützer in ihrem Bericht. Man rechnet mit etwa 10.000 Großkatzen, die in Gefangenschaft leben. Dabei hat eine Studie aus 2023 und 2024 von Vier Pfoten über 100 besorgniserregende Tigeranlagen in ganz Südafrika kartiert.
In diesen Farmen sollen innerhalb von drei Jahren Tiger gehalten worden sein. Die jüngste Analyse der weltweiten Tigerbeschlagnahmungen über einen Zeitraum von 19 Jahren zwischen 2000 und 2018 zeigt, dass Proben, Teile und Produkte von mindestens 2359 Tigern bei 1142 Vorfällen in 32 Ländern und Territorien beschlagnahmt wurden.
1396 Kilogramm Knochen in letzten 20 Jahren exportiert
Laut der CITES-Datenbank erteilte Südafrika in den letzten 20 Jahren Exportgenehmigungen für 3545 lebende Großkatzen und 34.246 Teile von Großkatzen. Überdies wurden auch 1396 Kilogramm Knochen, 0,5 Kilogramm Haare, 450 Kilogramm Skelette und 1753 Milliliter Proben exportiert. Damit sei Südafrika der weltweit größte Exporteur von lebenden Tigern und ihren Teilen. Und das, obwohl es keine von der CITES registrierten Zuchteinrichtungen für die Großkatzen gibt.
Denn eigentlich haben die meisten Großkatzenarten im Rahmen des CITES-Gesetzes das strengste Schutzniveau. Doch in Südafrika ist der kommerzielle internationale Handel mit in Gefangenschaft gezüchteten Arten im Allgemeinen erlaubt. Das liege zum einen an dem „Flickenteppich von Provinzvorschriften in Bezug auf Tiger und anderen Großkatzenarten“, wie die Tierschützer in ihrem Bericht schreiben. So gebe es nur sehr wenige und in einigen Fällen keine Vorschriften für die Haltung, Zucht, den Verkauf, die Jagd, die Tötung, die Verbringung oder den Handel mit lebenden Tigern oder Teilen davon.
Einzigartige Gelegenheit für kriminelle Netzwerke
Zum anderen habe sich Südafrika aktiv dafür entschieden, die Umsetzung der relevanten Raubkatzenbeschlüsse und -resolutionen, die bei CITES getroffen wurden, zu ignorieren. Denn solche Beschlüsse und Resolutionen sind für die Länder nicht rechtsverbindlich.
Damit habe das Land allerdings eine einzigartige Gelegenheit für kriminelle Netzwerke geschaffen, kritisiert Vier Pfoten. Diese seien nun in der Lage, Tiger und andere Großkatzen innerhalb Südafrikas zu töten und zu verarbeiten und ihre Teile zurück nach Asien zu schmuggeln.
Im Gegensatz zu anderen bedrohten Tierarten arbeite die Großkatzenindustrie mit einem Angebot an Tieren, das den Behörden und der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, mit Ausnahme der Züchter selbst. Diese Situation wird durch die industrielle Zucht noch verschärft. Denn diese stellt sicher, dass Hunderte von Tieren zu jeder Zeit verfügbar sind, was eine beständige und meist unregulierte Quelle für illegale Aktivitäten darstellt.
Markt verzeichnet Rekordexporte
Südafrika verzeichnete in den letzten Jahren Rekordexporte und momentan wächst der Markt weiter. Vor allem die hohe Nachfrage nach Tigerprodukten in Asien, insbesondere in China und Vietnam, treibt den Handel voran. Um den großen Bedarf zu decken, erlaubte Südafrika ab September 2024 aktiv die Zucht von Tigern und anderen Großkatzen im industriellen Maßstab sowie die Existenz der größten Tigerfarmen außerhalb Asiens.
Der Trend mit Tigern zu handeln, habe sich zudem auf viele andere Länder ausgeweitet. Mittlerweile würden auch andere große Raubkatzen ins Visier genommen, schreiben die Tierschützer im Bericht. Um den Bedarf an Knochen, Zähnen und Klauen zu decken, werden auch Tigerknochen als Löwenknochen verkauft und umgekehrt. Letztendlich erkennt der Endverbraucher den Unterschied nicht.
Handelswege gehen auch durch Europa
Doch der Handel mit Tigern und deren Teilen betrifft nicht nur Afrika oder Asien. „Der kommerzielle Handel mit Raubkatzen und ihren Teilen findet nach wie vor in ganz Europa statt“, stellt Vanessa Amoroso klar. „Ob sie in Zirkusshows auftreten, als Haustiere gekauft oder getötet und für die traditionelle Medizin verarbeitet werden – der Mangel an Regulierung in europäischen Ländern stellt ein großes Risiko für Arten wie Tiger dar.“
So wisse keine Behörde, wie viele Tiger derzeit in der Europäischen Union gehalten werden oder was mit ihnen während ihres Lebens oder nach ihrem Tod geschieht. „Wir kämpfen dafür, das mit unserer Kampagne #RuthlessTrade zu ändern“, so die Leiterin.
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Verdachtsfälle online melden
Im April 2023 veröffentlichte die EU-Kommission die EU-Tigerleitlinien. Diese sollten den kommerziellen Handel mit Tigern innerhalb und aus der EU im Wesentlichen beenden. „Sie ist jedoch nicht rechtsverbindlich“, erklärt Amoroso. Es bräuchte auch die EU-Länder, die diese Leitlinien in nationales Recht umsetzen.
Um Unterstützung dafür aufzubauen und die breite Öffentlichkeit aufzuklären, habe die Tierschutzorganisation das Big Cat Reporting Tool entwickelt. Damit könne man alle verdächtig gehaltenen Raubkatzen online an die Organisation melden. Dadurch hat man im letzten Jahr die Tigerdame Charlotta gerettet.
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„Wir bleiben hoffnungsvoll“
Zwar habe man in Südafrika noch keine lebenden Tiger gerettet, doch die gesammelten Beweise für illegale kriminelle Aktivitäten wurden in einem ungeschwärzten Bericht an die südafrikanischen Behörden vorgelegt, teilte Amoroso mit.
„Wir bleiben hoffnungsvoll und bereit, mit der südafrikanischen Regierung und den Einrichtungen zusammenzuarbeiten“, so die Leiterin. Die südafrikanische Regierung habe bereits angekündigt, an einem freiwilligen Ausstieg aus der Löwenzucht zu arbeiten, mit der Empfehlung, alle Großkatzen einzubeziehen.
„Wir fordern einen zeitgebundenen Umsetzungsplan, der die Schließung der Branche bis 2030 vorsieht“, so Amoroso weiter. Detaillierte Pläne dafür sollen Anfang nächsten Jahres vom ministeriellen Arbeitsteam vorgelegt werden.
„Solange es Handel gibt, hat jede Raubkatze einen Preis auf ihren Kopf“, mahnt Amoroso. Vier Pfoten versucht, mit seinen Kampagnen das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu schärfen. Das Thema wird auch in dem neuen Film der Organisation mit dem Titel DETHRONED behandelt. Er zeigt in eindrücklichen Bildern das traurige Schicksal und Leid der Großkatzen. „Wir glauben, dass dieser Film dazu beitragen wird, ein breites internationales Publikum zu erreichen.“