3. August 2024, 16:03 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Auch bei Tieren gibt es Drogenkonsum und Abhängigkeiten. Fälle, in denen Tiere mit Drogen im Blut gefunden werden, tauchen immer wieder in den Medien auf. Dabei ist von Alkohol über Cannabis bis hin zu Kokain alles dabei. Alles nur Einzelfälle? PETBOOK wollte wissen, wie die Lage in Deutschland ist und sprach mit Veterinärmedizinern, staatlichen Stellen und Tierschützern über Drogenkonsum und -abhängigkeit bei Haustieren.
Im Juli 2024 erschütterte der Bericht einiger brasilianischer Forscher die Welt. Denn erstmals konnte Kokain im Körper von gleich mehreren Scharfnasenhaien nachgewiesen werden (PETBOOK berichtete). Ein Umstand, der verherrende Folgen für das dortige Ökosystem haben dürfte und zurecht große Besorgnis erregt. Denn Drogen sind nunmehr nicht nur ein Problem für Haustiere, sondern auch für Wildtiere. Mit noch kaum absehbaren Konsequenzen.
Übersicht
- Drogenkonsum bei Tieren – in der Natur keine Seltenheit
- Lemuren berauschen sich mit Tausendfüßlern
- Fälle von Drogenkonsum bei Haustieren
- In Großbritannien mussten zwei Hunde einen Entzug machen – einer starb dabei
- Alkoholkrankes Mini-Schwein „hat geschrien, gezittert und war aggressiv“
- Steigt in Deutschland die Anzahl der Fälle drogensüchtiger Tiere? Das sagt die Polizei
- Tierschutzorganisation Peta wird über Verdachtsfälle informiert
- Tierheim München hat „tatsächlich schon einige zugedröhnte Tiere bekommen“
- Haustiere konsumieren Drogen eher durch Unfälle
- Fazit: Konsum von Drogen kommt bei Haustieren vor, Drogensucht eher selten
- Quellen
Drogenkonsum bei Tieren – in der Natur keine Seltenheit
Nicht nur Menschen wissen die Wirkung von psychoaktiven, schmerzstillenden oder berauschenden Substanzen zu schätzen. So gibt es zahlreiche Beobachtungen aus der Natur, in denen auch Tiere gezielt bestimmte Pflanzen konsumieren – etwa, um sich in einen Rausch zu versetzen.
Braunbären im russischen Kronozkij-Naturreservat schnüffeln an Kerosin, weil es sie in einen Trancezustand versetzt. In Tasmanien zerstören Kängurus einen erheblichen Teil der Opiumernte, weil sie nach dem Verzehr der Pflanzen in Hüpforgien ausbrechen. Und Rentiere in Skandinavien und Sibirien knabbern mit Vorliebe an Fliegenpilzen. Die darin enthaltenen psychoaktiven Substanzen rufen bei ihnen ähnliche Halluzinationen hervor wie die chemische Droge LSD, erklärt Biologe Dr. Mario Ludwig in einem Artikel der Fachzeitschrift „Pharmazeutische Zeitung“.
Lemuren berauschen sich mit Tausendfüßlern
Doch das ist längst nicht alles: So konnte mehrfach beobachtet werden wie Mohrenmakis (Eulemur macaco) – eine Lemuren-Art – offensichtlich gezielt rote Tausendfüßler suchten und sanft bissen. Dabei setzen die attackierten Tausendfüßler Wehrsekrete wie Zyanid und Benzochinon frei, um sich zu verteidigen.1 Allerdings nutzen die schwarzen Lemuren diese Sekrete, um sich daran zu berauschen (siehe Video).2
Dabei beginnen die Tiere stark zu speicheln und reiben sich mit einem Gemisch aus ihrem eigenen Speichel und dem Wehrsekret der Tausendfüßler ein. Dabei erhalten sie eine für sie angenehme psychoaktive Wirkung, die neben einem High auch einen weiteren positiven Effekt hat: Die Sekrete wirken auch als Insektizid und schützen die Tiere vor einigen lästigen Insekten.
Warum Tiere den Kick suchen, ist jedoch wissenschaftlich schwer zu belegen, weil keiner sie wirklich fragen kann. Sicher ist aber, dass die Drogen bei ihnen auf ähnliche Weise wirken wie bei Menschen.
Fälle von Drogenkonsum bei Haustieren
Doch nicht immer nehmen die Tiere freiwillig Drogen zu sich. Nicht nur die Scharfnasenhaie Brasiliens waren unfreiwillig Kokain ausgesetzt. Denn dieser Vorfall erinnert an die tragische Geschichte von „Cocaine Bear“ – einem Schwarzbären aus den USA, dessen Schicksal erst 2023 als Kinofilm erschien. Die Verfilmung erzählt, wie der Bär in den 80ern durch eine Verkettung ungünstiger Zufälle in den Besitz mehrerer Kilos Kokain kommt, sie frisst und daran verendet. Auch wenn dieser Vorfall mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt, scheint er kein Einzelfall zu sein, wie PETBOOK-Recherchen für Deutschland zeigen.
Auch bei Haustieren oder Wildtieren in menschlicher Obhut kommt es häufiger zum Rauschmittel- oder Medikamentenkonsum als man denkt. So wurden über die Jahre immer wieder Tiere aufgegriffen, bei denen Drogen im Körper nachgewiesen werden konnten. Erst 2023 sorgte – ebenfalls in den USA – ein Serval für Schlagzeilen. Eine Blutprobe der Wildkatze war positiv auf Amphetamine angeschlagen.
Das Tier, das illegal gehalten wurde und bei einer Polizeikontrolle aus dem Wagen des Halters floh, erlangte so als „Cocaine Cat“ (PETBOOK berichtete) traurige Bekanntheit. Aber warum wurde der Serval eigentlich auf Drogen getestet? Das gehöre seit 2023 zum Standardprotokoll des Tierheims, erklärt Ray Anderson vom Cincinnati Animal Care-Tierheim. Auslöser dafür sei ein Kapuzineräffchen namens Neo gewesen, bei dem ein Drogencocktail im Körper nachgewiesen werden konnte. Seither teste man routinemäßig alle Neuankömmlinge auf unerlaubte Substanzen.
Auch interessant: Das ist die verstörende Geschichte hinter dem Film „Cocaine Bear“
In Großbritannien mussten zwei Hunde einen Entzug machen – einer starb dabei
Aber auch hier in Europa kommt es immer wieder zu verstörenden Vorfällen, bei denen berauschte Tiere aufgegriffen werden. So auch im englischen Plymouth. Dort wurden Anfang 2022 zwei Hunde in die Obhut des „Woodside Animal Welfare Trust“-Tierheims gegeben, nachdem ihr Besitzer verstorben war. Die Tierschützer fanden Labrador Coco und einen nicht näher benannten Hund in einem furchtbaren Zustand vor. Wenig später verstarb der zweite Hund, nachdem er mehrere ungewöhnliche „Anfälle“ erlitt. Nur Coco überlebte.
Sein Zustand sorgte bei den Tierärzten für große Sorge. „Es wurde deutlich, dass er unter Symptomen litt, die auf einen Alkoholentzug hindeuteten“, erinnert sich die Tierschutzorganisation in einem Facebook-Posting. „Er wurde vier Wochen lang sediert, um seine Entzugserscheinungen zu lindern und das Risiko weiterer Anfälle zu verringern.“
Wie es dazu kommen konnte, dass Coco und sein Freund eine Alkoholsucht entwickelten, ist nach wie vor unklar. „Für uns war es der erste Fall eines Alkoholentzugs bei einem Hund“, erklärten die Tierschützer weiter. Ohne ihre Hilfe hätte Coco diese „herzzerreißende Qual wahrscheinlich nicht überlebt“.3
Alkoholkrankes Mini-Schwein „hat geschrien, gezittert und war aggressiv“
Auch in Deutschland erleiden Tiere durch Drogen furchtbare Schicksale. Im Januar 2020 wurde Mini-Schwein Eberhard vom Veterinäramt aus einem Messie-Haushalt beschlagnahmt und musste einen Alkoholentzug machen. Die Besitzerin, die in der total vermüllten Wohnung weitere Tiere hielt, soll das Schwein regelmäßig mit Chips, Wein und Schnaps gefüttert haben.
„Nur wenige Stunden, nachdem Eberhard in der Pflegestelle angekommen war, zeigten sich bei ihm bereits schwere Entzugserscheinungen“, verriet Besitzerin Bianca Deichmann auf Nachfrage von PETBOOK. „Es muss sehr schlimm gewesen sein. Er hat geschrien, gezittert und war ängstlich und aggressiv.“ Das massiv alkoholabhängige Tier musste einen Entzug machen, aber sei nun ein „total cooles, glückliches Schweinchen geworden“, heißt es vonseiten der Besitzerin.4
Steigt in Deutschland die Anzahl der Fälle drogensüchtiger Tiere? Das sagt die Polizei
PETBOOK wollte wissen, ob es sich in diesen Fällen, in denen Menschen Tieren bewusst Drogen gegeben haben, um tragische Einzelfälle handelt oder die Zahl der Vorfälle tatsächlich zunimmt. Immerhin wird die Frage „Können Katzen THC abbauen?“ erschreckend oft bei Suchmaschinen im Internet gesucht. Das könnte zum einen am Mythos liegen, dass Katzen THC, den Hauptwirkstoff der natürlichen Cannabispflanze, nicht abbauen können sollen.
Dem ist übrigens nicht so, wie Studien ergeben haben. Zum anderen könnte es aber auch ein Hinweis darauf sein, dass Haustiere öfter mal Cannabis aufnehmen – durch absichtliche Gabe oder auch unbeabsichtigt, und ihre Besitzer nun wissen wollen, ob dies dem Tier schaden könnte.5
Ob sich daraus tatsächlich ein gefährlicher Trend ableiten lässt, ist unklar. Denn wie PETBOOK auf Anfrage von mehreren Landespolizeistellen erfuhr, könne man „derartige Fälle nicht auswerten oder recherchieren“. Denn Drogenvergehen im Zusammenhang mit Tierwohlgefährdung werden von der Polizei nicht erfasst. Es gibt zu dem Thema also keine offiziellen Zahlen.
Tierschutzorganisation Peta wird über Verdachtsfälle informiert
Auch andere staatliche Stellen wie das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft teilten uns mit, dass sie keinerlei Statistiken zu diesem Thema führen. Die Tierschutzorganisationen Peta wiederum hat zwar keine Daten, erhält jedoch häufiger Meldungen zu Drogen und Haustieren: „Tatsächlich bekommen wir über unser Whistleblower-Formular öfter Meldungen, wonach berichtet wird, dass Katzen, Hunde und andere Tiere in Wohnungen ständig Zigaretten- und teils auch Marihuanarauch ausgesetzt sind und somit zu unfreiwilligen Mitrauchern werden“, erklärt Peta-Sprecher Peter Höffken auf PETBOOK-Anfrage. „Dies geht dann auch oft mit anderen Vernachlässigungen oder mangelhaften Haltungsbedingungen einher. Wir melden dies dann jeweils dem Veterinäramt. Nach unserer Auffassung sollten die Tiere – genauso wie Kinder – vor schädlichen Einflüssen wie permanentem Rauch geschützt werden.“
In Deutschland werden solche Fälle in der Regel von Tierärzten oder Tierkliniken dokumentiert und gemeldet. Diese sind verpflichtet, ungewöhnliche Symptome und Erkrankungen bei Haustieren zu melden und gegebenenfalls auch eine Blutuntersuchung oder Toxikologie durchzuführen, um festzustellen, ob Drogen im Spiel sein könnten.
Tierheim München hat „tatsächlich schon einige zugedröhnte Tiere bekommen“
Von mehr als 20 Stellen im deutschsprachigen Raum, mit denen PETBOOK im Rahmen dieser Recherche gesprochen hat, konnte nur das Tierheim München von einem Vorfall berichten, bei dem Tieren bewusst Drogen verabreicht wurden. Zwar seien Fälle von Fund- oder Abgabetieren mit Drogen oder Alkohol im Blut noch nicht aufgetreten, wie Kristina Berchtold von der Pressestelle des Tierheims berichtet. Aber es habe andere verstörende Begegnungen gegeben.
„Die sogenannte Bettelmafia stellt ihre Bettelhunde oft mit Sedativen ruhig, damit sie den ganzen Tag brav auf der Decke liegen bleiben und möglichst arm ausschauen“, so Berchtold. „Wir haben bis vor Corona tatsächlich schon einige zugedröhnte Tiere bekommen, nachdem sie vom Veterinäramt aufgrund fehlender Papiere beschlagnahmt wurden.“
Haustiere konsumieren Drogen eher durch Unfälle
Wesentlich häufiger kommt es aber zu Unfällen, bei denen Haustiere zufällig herumliegende Drogen konsumieren. Sei es durch passives Einatmen, Auflecken von verschütteten Flüssigkeiten, vergorenen Früchten, heruntergefallenen Drogen oder anderen Fundstücken: „Wir sehen regelmäßig Hunde, die in Parks Kot aufnehmen (vermutlich vom Menschen) und zentralnervös gestört kommen, große Pupillen, schwankender Gang“, erklärt Prof. Dr. Barbara Kohn von der Klein- und Heimtierklinik an der Freien Universität Berlin. „Wir vermuten dann Aufnahme von Drogen und behandeln dann entsprechend, d. h. mit Infusionen und Überwachung. In der Regel ist am nächsten Tag alles gut. Wir haben auch einen Drogenschnelltest hier.“6
Auch Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund hat einen solchen Vorfall miterlebt – allerdings mit traurigem Ausgang: „Ich habe mal miterlebt, wie ein fremder Hund am Straßenrand in einer Stadt offenbar Drogen gefressen hatte. Wir halfen der Besitzerin, das Tier in die nächste Tierklinik zu bringen, die aber nichts mehr tun konnte.“ Dieser Vorfall hat bei ihr eine Angst verstärkt, die mit Sicherheit bei vielen Großstädtern immer latent mitschwingt: „Jeder, der in der Nähe von städtischen Parks Gassi geht, kennt die Sorge vor herumliegender Drogen, Reste oder –Rückstände, sicher auch.“
Eine Sorge, die viele Tierhalter auch in ländlicheren Regionen kennen dürften, ist die, dass das Haustier versehentlich Nikotin in Form von Zigarettenstummeln, Nikotinkaugummis oder ähnlichem aufnehmen könnte. Das ist natürlich auch weitaus verbreiteter. Allerdings sei es recht selten, dass Katzen versehentlich Drogen fressen, verrät Prof. Dr. Barbara Kohn. „Katzen nehmen das im Freien nicht auf. Eine Katze kam einmal, weil sie Haschbutter aus dem Müll aufgenommen hatte. Hunde fressen gelegentlich Haschkekse oder Ähnliches.“ Alkohol sei übrigens sehr selten, so die Expertin weiter.7
Nach wahrer Begebenheit Das ist die verstörende Geschichte hinter dem Film „Cocaine Bear“
Studie zeigt Tiere konsumieren Alkohol öfter als gedacht
In der Slowakei Schwäne berauschen sich im Mohnfeld und müssen nun in die Entzugsklinik
Fazit: Konsum von Drogen kommt bei Haustieren vor, Drogensucht eher selten
Nach unserer Recherche kommt es tatsächlich auch in Deutschland immer wieder vor, dass Haustiere Drogen in Form von Rausch- und Suchtmitteln, Zigaretten, Alkohol oder Medikamenten aufnehmen. Dabei handelt es sich meist um Unfälle und keine bewusste Gabe durch die Besitzer. Haustiere, die so regelmäßig Drogen konsumieren, dass sie eine Abhängigkeit entwickeln, sind jedoch Einzelfälle.
„So etwas ist wirklich selten“, betont auch Prof. Dr. Achim Gruber, geschäftsführender Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin auf unsere Nachfrage. „Ich kann mich an keinen Fall in den letzten Jahren hier in Berlin erinnern. Wir sehen gelegentlich mal schicksalhafte, selten auch beabsichtigte Vergiftungen mit allen möglichen Sachen. Einen Trend oder eine Rolle von Rauschmitteln jeglicher Art kann ich jedoch nicht erkennen.“