19. November 2024, 17:04 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Der illegale Welpenhandel ist in Europa mittlerweile eine Milliardenindustrie. Das zeigt ein aktueller Bericht der Tierschutzorganisation Vier Pfoten e. V. Einer der Spitzenreiter ist dabei Deutschland – nicht nur, was die Zahlen der Hunde mit unbekannter Herkunft angeht. PETBOOK gibt einen Überblick über die wichtigsten Zahlen und Fakten.
Obwohl das Credo vieler Tierfreunde „Adopt don’t shop“ (lautet zu Deutsch „Adoptieren statt Kaufen“) scheint die Realität eine ganz andere zu sein. Das zeigt ein aktueller Bericht zum Welpenhandel in Europa von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Demnach gehört Deutschland bei der Zahl der Hunde, die aus unbekannter Herkunft stammen, zu den Spitzenreitern.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Züchterinnen und Züchter die hohe Nachfrage nach Hunden in den EU-Ländern nicht decken können. Dies schreibt Vier Pfoten in einer Pressemitteilung vom 19. November. So konnten die Tierschützer für 79 Prozent der Hunde, die jährlich in der EU nachgefragt werden, keine legalen oder verifizierbaren Quellen ermitteln. Dabei wird der Marktwert der EU-weiten Nachfrage auf mindestens 4,6 Milliarden Euro geschätzt.
Täglich über 2000 neue Anzeigen
In Deutschland allein trifft dies jährlich auf 770.000 Hunde zu. Der geschätzte Marktwert liegt bei knapp einer Milliarde Euro. Damit ließ sich hierzulande nur eine sehr kleine Anzahl von Welpen aus bekannter Herkunft ermitteln. „Wir waren bei unserer Recherche überrascht, wie wenig Überblick es zu Hundezüchtern bzw. zur Anzahl von registrierten Hundezüchtern gezüchteter Welpen auf nationaler, als auch auf Bundesländerebene gibt“, sagt Julia Mundl, Campaignerin für Heimtiere bei VIER PFOTEN International auf Anfrage von PETBOOK.
Nur in Spanien sind die Zahlen noch höher. Hier wurden bei einem errechneten „Bedarf“ von mehr als 921.000 Hunden bei 96 Prozent der Tiere keine eindeutige Herkunft verifiziert (780.864 Hunde). Der Großteil des Welpenhandels in Europa findet online statt. So werden laut Bericht in Deutschland, Frankreich, Polen und Italien täglich über 2.000 neue Anzeigen auf Kleinanzeigenseiten geschaltet.
Dabei handelt es sich in 86 Prozent der Fälle um Verkaufsanzeigen und nicht um reine Adoptionen. Zudem wurden in einem Großteil der Angebote (64 Prozent) gleich mehrere Rassen mit mehreren Welpen angeboten. Dies ist laut Tierschützern und Experten ein Indiz für organisierten Welpenhandel.
Beliebte Rassen sind Zwergspitz, Pudel und Chihuahua
Deutschland ist eines der fünf Länder in Europa, deren Portale die Identität der Verkäufer überprüfen. Doch die „schiere Menge an neuen Anzeigen auf verschiedenen Websites gibt Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der Überwachung durch die Website-Moderatoren“, heißt es im Bericht.
Kriminelle Netzwerke profitieren von diesem Trend und erzielen hohe Gewinne durch die intensive Zucht beliebter Hunderassen, schreiben die Tierschützer in der Pressemitteilung. Sogenannte Vermehrerfarmen produzieren dabei oftmals viel zu junge Welpen unter grausamen Bedingungen. Anschließend importieren sie die Tiere illegal, um sie über Onlineplattformen und Social Media zu verkaufen.
Laut Bericht gehören zu den Hunderassen, die am meisten angeboten werden, Mischlinge. Hierunter fallen allerdings die zurzeit sehr gefragten „Designerdogs“ wie Cockapoos oder Golden Doodles. Gefolgt von Zwergspitz, Pudel und Chihuahua.
Zahl der Inserate stieg in vergangenen vier Jahren deutlich an
Bei der Auswertung der Daten zum Welpenhandel in Europa betrachtete die Tierschutzorganisation auch die Entwicklung der Zahlen in den vergangenen vier Jahren. In Deutschland werden die meisten Verkaufsanzeigen für Hunde über die Plattform „deine-tierwelt.de“ eingestellt. Dabei ist über die Jahre ein starker Anstieg zu verzeichnen. Waren es 2020 noch im Durchschnitt 350.000 Inserate pro Jahr, stieg die Zahl 2024 auf über 500.000 an.
Im Vergleich dazu wurden auf dem Portal „Ebay-Kleinanzeigen“, das nun „Kleinanzeigen“ heißt, 2020 im Schnitt nur knapp 100.000 Hundeverkäufe inseriert. Durch die Verschärfung der Richtlinien (PETBOOK berichtete), sank die Zahl bis 2024 nochmals.
Deutschland ist bei den Importen führend
Eine weitere Spitzenreiter-Position nimmt Deutschland laut Bericht beim Import von Welpen ein: „Deutschland ist bei den offiziellen Importen unter den EU-Mitgliedstaaten führend, während Rumänien der größte Exporteur ist“, heißt es. Die Tierschützer erklären, dass die fehlende Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht in Deutschland dazu führt, „dass, selbst wenn Hunde in ihrem Herkunftsland registriert sind, ihre Rückverfolgbarkeit nach ihrer Ankunft in Deutschland oft nicht mehr möglich ist.“
Der Bericht ist eine der umfassendsten Bewertungen des bisherigen Umfangs des Online-Welpenhandels. Dafür gab Vier Pfoten umfangreiche Recherchen und Analysen von Tausenden Online-Verkaufsanzeigen in Auftrag, sammelte Daten von Ministerien der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), aus nationalen und privaten Datenbanken zur Identifizierung und Registrierung von Haustieren (I&R) und anderen Interessengruppen und führte eine Analyse von Handelsdaten durch.
Bundesländer konnten keine konkreten Zahlen liefern
„Die überraschende Hauptschwierigkeit war die Ermittlung registrierter Züchter und die Zahl der von ihnen gezüchteten Welpen“, sagt Mundl zu PETBOOK. „Nur das Saarland konnte uns eine konkrete Zahl gemeldeter Hundezücher:innen angeben. Zur Anzahl gezüchteter Welpen von registrierten Hundezüchtern konnte kein Bundesland Daten liefern. Ein Bundesland antwortete, diese wären nur mit enormem Aufwand zu ermitteln, da dies keiner Dokumentations- oder Berichterstattungspflicht durch die zuständigen Behörden unterliegt.“
Und selbst wenn diese Informationen vorliegen, könnten diese „aufgrund des Umfangs der Datenabfrage nur unter großem Personal- und Zeitaufwand unter Einbeziehung der Betroffenen erhoben werden, was allerdings die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der zuständigen Behörde erheblich beeinträchtigen würde“, wie man den Tierschützern mitteilte. Daher wäre davon abzusehen.
Anreize für illegalen Welpenhandel sind groß
Allerdings konzentrierte sich die Untersuchung ausschließlich auf die führenden Kleinanzeigenseiten in jedem Land, die die Hauptplattformen für den Hundehandel sind, heißt es. Diese Marktführer unternehmen laut den Tierschützern vermutlich mehr Anstrengungen, um ihren Ruf zu wahren. Diese Standards seien womöglich nicht auf andere Kleinanzeigenseiten im Land übertragbar.
Angesichts der möglichen hohen Gewinne, der fehlenden deutschlandweiten Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hunde, fehlender Verifizierungstools auf den meisten Kleinanzeigenseiten und des geringen Risikos einer strafrechtlichen Verfolgung, sind die Anreize für den illegalen Welpenhandel groß. Auch die Richtigkeit der in den Anzeigen bereitgestellten Informationen sei fragwürdig, da Werbetreibende möglicherweise falsche Informationen angeben könnten, um ihre Anzeigen zu veröffentlichen.
Einige Hunde sterben bereits kurz nach Kauf
Vier Pfoten sieht den Hauptgrund des wachsenden Welpenhandels in Europa in der schwachen Gesetzgebung. „Bei einer 4,6-Milliarden-Euro-Industrie ohne einheitliche Regulierungen für den gesamten EU-Raum ist es kein Wunder, dass der illegale Welpenhandel floriert“, sagt Julia Mundl, Campaigner bei Vier Pfoten International.
Dieser Handel schade nicht nur den Tieren, sondern bringe auch nichts ahnende Käufer mit potenziell kranken Hunden in Kontakt, die oft mit fehlenden oder gefälschten Impfdokumenten verkauft werden. „Tragischerweise sterben einige dieser Hunde bereits kurz nach dem Kauf“, so Mundl weiter.
Vier Pfoten fordert die EU daher zu strengeren Maßnahmen auf. Alle Hunde und Katzen sollten verpflichtend gekennzeichnet und registriert werden. Zudem sollten die Anzeigenportale diese Registrierungen auf die Inserierenden überprüfen, bevor die Anzeige geschaltet werde.
Bedarf nach Hunden in Deutschland groß
Denn so schnell würde die Nachfrage an Hunden nicht abnehmen, schätzt Mundl auf PETBOOK-Nachfrage ein. So zeigte die steigende Zahl der Hunde in Deutschland laut den FEDIAF-Berichten und die hohen legalen Importzahlen nach Deutschland, dass der Bedarf nach Hunden in Deutschland groß sei. „Laut unserer Recherche gibt es einen laufenden ‚Bedarf‘ nach Hunden, und so lange es so einfach, profitabel und risikolos ist wie bisher, illegal Hunde zu importieren und zu verkaufen, wird es Leute geben, die dies tun“, so Mundl.
Die Gründe für den hohen Bedarf seien vielfältig, wie Mundl PETBOOK mitteilt: „Einige informieren sich vorab nicht genug, kaufen nach Modeerscheinungen, oder ‚verlieben‘ sich in ein süßes Foto und tätigen einen Impulskauf. Anderen sind die Wartezeiten bei seriösen Züchtern zu lange. Manche wollen einfach den günstigeren Hund, auch wenn sich das später womöglich mit hohen Tierarztrechnungen rächen kann.“
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Unseriöse Angebote sind schwer zu erkennen
Es sei im Internet derzeit schlicht zu einfach für dubiose Hundeverkäufer:innen an potenzielle Kunden zu gelangen, führt Mundl aus. Sie „haben allerlei Geschichten auf Lager, um die Leute für einen Kauf zu gewinnen, und spätestens, wenn sich die Leute mit den Verkäufer:innen treffen und den Hund sehen, ignorieren sie alle Warnsignale, und kaufen den Hund aus Mitleid.“
Es sei zudem schwer, online einen seriösen von einem unseriösen Hundezüchter zu unterscheiden. So würden die Texte von seriösen Anzeigen kopiert, und auch die Preise seien oft ähnlich. „Heute kaufen Leute generell viel im Internet und wiegen sich in falscher Sicherheit. Dazu kommt Unwissenheit über nötige Papiere und Importbestimmungen“, so Mundl.
Daher liege es nun an der EU, die letzten Schritte zu unternehmen, um den illegalen Welpenhandel zu beenden, heißt es im Bericht abschließend. Nur so könne illegaler Welpenhandel im Internet effizient verhindert, transparent gemacht und illegale Händler strafrechtlich verfolgt werden.