16. Februar 2024, 6:17 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
In Dubai können sich Touristen und Otter besonders nahe kommen, wie ein Video zeigt, das in einem Aquarium aufgezeichnet worden ist. In den sozialen Medien sind die Nutzer begeistert und finden das niedlich. Doch haben die Tiere dabei wirklich Spaß, wie behauptet wird? PETBOOK sprach mit den Mitarbeitern des Vereins Aktion Fischotterschutz im niedersächsischen Hankensbüttel und bat um eine Einschätzung.
In Dubai können sich Touristen und Otter besonders nahe kommen, wie ein Video zeigt, das in einem Aquarium aufgezeichnet worden ist. Die possierlichen Tiere sind darauf trainiert, ihre Vorderpfötchen durch kleine Löcher in einer Scheibe zu stecken, um sie von Besuchern streicheln zu lassen.
Dass diese Begegnungen den Touristen Spaß machen, ist deutlich zu erkennen. Aber wie geht es den Ottern dabei? Haben auch sie Freude daran, wirken sie gestresst oder ist das Berühren so vieler Menschenhände vielleicht sogar gesundheitsschädlich für die Tiere? PETBOOK hat beim Otter-Zentrum des Vereins Aktion Fischotterschutz im niedersächsischen Hankensbüttel um eine Einschätzung gebeten.
Um welche Otter handelt es sich in dem Video?
Die Tiere gehören zu den Zwergottern, auch Asiatische Kurzkrallenotter genannt, erläutert Diplom-Biologin Eva Baumgärtner, Sprecherin des Otter-Zentrums im niedersächsischen Hankensbüttel. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Indien und Indonesien über die Philippinen und Taiwan bis ins südliche China.
In der Natur leben sie an Gewässern mit dichtem Pflanzenbewuchs, an Flussmündungen, in Reisfeldern, Mangroven, Sumpfgebieten und entlang von bewachsenen Meeresküsten. Lebensraumzerstörung gefährdet die inzwischen selten gewordene Art.
Ihre Vorderpfoten besitzen geschickte und tastempfindliche Finger ohne Schwimmhäute dazwischen. „Diese ‚Patschehändchen‘ prädestinieren sie für solche Aktionen wie auf dem Video“, bedauert Baumgärtner. Die Tiere gelten als gesellig und leben in Familiengruppen von bis zu zwölf Tieren.
Attraktiv für Zoos, missbraucht als Haustier
Als Bewohner für Zoos und Wildparks sind Zwergotter vor allem deswegen attraktiv, weil sie, wie im Video zu erkennen ist, „auch im Erwachsenenalter ein verspieltes Wesen besitzen und sehr kommunikativ sind“, sagt Eva Baumgärtner vom Otter-Zentrum in Hankensbüttel.
Zudem seien Zwergotter im Gegensatz zu vielen anderen Ottern, unter anderem den in Deutschland heimischen Eurasischen Fischottern, tagaktiv und können so von Zoobesuchern gut betrachtet werden.
Zwergotter sind in der Roten Liste für bedrohte Tierarten als gefährdet eingestuft. Ihr niedliches Aussehen schade den Tieren, sagt Baumgärtner. „In vielen asiatischen Ländern werden die Tiere unter nicht artgerechten Bedingungen als Haustiere gehalten und auch illegal verkauft und in andere Länder geschmuggelt.“
Dadurch, dass die Tiere wie in dem Video verniedlicht gezeigt werden, verlören viele Menschen das Bewusstsein für einen richtigen Umgang mit wilden Tieren. Und: „Das Verlangen nach exotischen Haustieren kann dadurch im schlimmsten Fall noch befeuert werden“, befürchtet die Biologin. In Privathaushalten hätten solche Tiere jedoch nichts zu suchen, vor allem, weil sie dort nicht artgerecht gehalten werden können.
Notwendige Beschäftigung oder vermenschlichtes Verhalten?
Wer sich das Video aus Dubai ansieht, könnte meinen, auch die Otter dort seien zahme Haustiere. Offenbar bereitwillig lassen sie sich ihre Pfötchen streicheln und scheinen die Behandlung sogar zu genießen. Ist das artgerecht, die perfekte Dressur oder spielen die Otter vielleicht sogar freiwillig mit den Besuchern?
Artgerecht, betont Eva Baumgärtner, Diplom-Biologin und Sprecherin des Otter-Zentrums Hankensbüttel (Niedersachsen), sei das Verhalten der Otter in dem Video nicht. Allerdings: Bei Tieren, die in Menschenobhut leben, müsse stets die Gesamtsituation beurteilt und beobachtet werden, ergänzt sie. Und dabei spielt Training mit den Tieren durchaus eine Rolle.
„Medizinisches Training bei Zootieren ist prinzipiell eine tolle Sache, denn die Tiere werden beschäftigt, es kommt keine Langeweile auf.“ Langeweile könne für Tiere in Gefangenschaft zum Problem werden. So könnten sie etwa Stereotypien und andere Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, wenn sie sich unterfordert fühlten. Denn ein Tag im Zoo bedeute eben nicht, auf die Jagd gehen oder das Revier verteidigen zu müssen und dadurch beschäftigt zu sein.
Abwechslung ist daher wichtig. Und: „So kann man den Tieren stressfrei beibringen, in Transportkisten zu gehen oder sich Medikamente verabreichen zu lassen.“ Somit könne auch das Trainieren der Otter, die Pfoten durch Öffnungen zu strecken und sich anfassen zu lassen, für die Pfleger und den Tierarzt von Nutzen sein, um etwa Zehen oder Finger, der Tiere kontrollieren zu können, ohne dass jemand gebissen wird. Im Video aber stehe die Unterhaltung des Publikums der Tierbeschäftigung gegenüber.
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Dressierte Otter vermitteln falsches Bild
Dass die Beschäftigung der Tiere verbunden ist mit der Belustigung von Menschen, „vermittelt aus unserer Sicht ein falsches Bild“, hebt Baumgärtner hervor. „Otter sind keine Kuscheltiere, sie beißen auch durchaus zu, wenn ihnen etwas nicht passt.“ Das aber würden Menschen gerade bei diesen Wildtieren mit Kulleraugen, die das sogenannte Kindchenschema erfüllten, gerne vergessen. Ottern würde ihr hoher Niedlichkeitsfaktor geradezu zum Verhängnis, so Baumgärtner.„Eine Vermenschlichung ist aber absolut nicht erstrebenswert“.
Auch die Annahme, Otter hielten auch in der freien Wildbahn gerne „Händchen“ mit ihren Artgenossen, sei so nicht ganz richtig, sagt die Biologin. Die Otter in dem Video sind, wie bereits erwähnt, Zwergotter. „Otter, die sich an den Händen halten, sind Seeotter, eine andere Art, die im Pazifik lebt, unter anderem in Alaska, Kalifornien und an der russische Pazifikküste.“
Seeotter verbringen im Gegensatz zu Zwergottern den Großteil ihres Lebens im Wasser und sind Meeresbewohner. An Land kommen sie nur selten. Selbst zum Schlafen bleiben sie im Wasser. Um dabei nicht abgetrieben zu werden, umwickeln sie sich mit Seetang oder halten sich an den Pfoten fest.
Freiwillige Mitarbeit dank Futter
Dass die Otter in dem Video aus Dubai mitspielen, sei dennoch freiwillig, glaubt Diplom-Biologin Eva Baumgärtner vom Otter-Zentrum in Hankensbüttel. Allerdings aus einem simplen Grund: Sie bekommen etwas dafür, was sie weit mehr begeistert als Streicheleinheiten von Touristen.
Den Tieren sei mithilfe von Futter beigebracht worden, ihre Pfoten durch die Löcher in der Scheibe zu stecken. Dieses sogenannte Targettraining funktioniere durch Belohnung, wenn das Tier ein erwünschtes Verhalten gezeigt hat. „Die Tiere machen das also freiwillig, weil sie wissen, dass sie dafür etwas zu Fressen bekommen“, so Baumgärtner.
Das Positive daran sei, dass die Otter dadurch nicht nur Abwechslung im Alltag haben, sondern sich auch geistig anstrengen müssen. Dass die Tiere den Kontakt zu den Besuchern ebenso schätzen, wie es umgekehrt der Fall ist, dürfte jedoch ausgeschlossen sein. „Ich denke, die Menschen auf der anderen Seite der Scheibe interessieren sie tatsächlich dabei recht wenig, Hauptsache, es gibt etwas zu fressen.“ Das lasse sich auch daran erkennen, dass die Tiere sich immer wieder zu ihren Pflegern umdrehen, um zu sehen, ob sie eine Belohnung erhalten.
Ist die Begegnung mit den Menschen Stress für die Otter?
Hier kann Eva Baumgärtner vom Otter-Zentrum zumindest anhand der gezeigten Videosequenz Entwarnung geben: Gestresst wirkten die Otter in Dubai auf sie nicht. Dennoch müsse überlegt werden, in welcher Form die Tiere gezeigt werden sollten. „Aus Sicht der zoologischen Einrichtung sind solche besonderen Erlebnisse natürlich Publikumsmagneten, für die auch Geld gezahlt wird“, so Baumgärtner. Das werde benötigt und in den Erhalt des Zoos und die Verpflegung der Tiere investiert.
Allerdings müsse bei der Präsentation der Tiere unter anderem sichergestellt sein, dass sie verschwinden können, wenn sie keine Lust auf Trubel haben. Wünschenswert sei auch, dass während der Präsentation Informationen etwa zum natürlichen Verhalten der Art weitergegeben werden. Auch das Otter-Zentrum Hankensbüttel bietet Exklusivführungen an, bei der Gäste das Gehege betreten, die Otter aus nächster Nähe sehen und ihnen Futter zuwerfen dürfen. Allerdings: „Anfassen ist bei uns nicht möglich“, betont Baumgärtner.
Gesundheitsgefahr durch Menschenkontakt?
Klar ist: Enger Kontakt zwischen Menschen und Wildtieren kann Folgen haben. Nicht nur, weil Tiere beißen oder kratzen und Menschen dadurch verletzen können. Auch ist es unter Umständen möglich, dass Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen oder vom Menschen auf das Tier übertragen werden können. Otter etwa könnten sich durchaus mit dem Corona-Virus infizieren, so Baumgärtner.
Daher hätten sich die Pfleger im Otter-Zentrum Hankensbüttel zur Hoch-Zeit der Pandemie regelmäßig testen und Sicherheitsvorkehrungen beim Umgang mit den Tieren einhalten müssen. „Natürlich gibt es etliche Krankheiten, die von Tier auf Mensch und auch umgekehrt übertragbar sind“, so Baumgärtner. Allerdings wäre es spekulativ, das Video daraufhin zu beurteilen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Otter dort mit irgendwas anstecken ist mit Sicherheit aber größer als andersrum.“
Dennoch sieht die Biologin akut keine Gefahren – weder für die Otter noch für die Touristen. Dass die Pfleger in dem Video Handschuhe tragen, habe vermutlich praktische Gründe und liege nicht daran, dass sie sich oder die Otter vor Erkrankungen schützen möchten. „Das ist wahrscheinlich als Schutz vor ‚Fischfingern‘ gedacht, da sie die Otter ja mit Fischstücken füttern“, sagt die Biologin. Ohne Handschuhe habe man den Geruch sonst den ganzen Tag an den Händen.
Fazit
Otter sind possierliche Tiere, deren Anblick bereits Begeisterung auslöst. Sie streicheln zu wollen, ist sicherlich der Wunsch zahlreicher Menschen. Dennoch sollte man sich fragen, ob das unbedingt sein muss. Mit Zuneigung jedenfalls hat es nichts zu tun, denn die Otter werden lediglich durch Futter dazu gebracht, sich von Menschen anfassen zu lassen. Ob den Tieren das behagt, ist nicht bekannt. Und trotz niedlichen Aussehens darf man nicht vergessen: Otter sind Wildtiere. Dass es nicht artgerecht ist, sie zur Belustigung von Menschen zu vermarkten, sollte klar sein.
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Quellen
- WWF, „Fischotter im Artenlexikon“ (aufgerufen am 15.02.2024)
- Geo, „Otter: Die Schlingel mit dem weichen Fell“ (aufgerufen am 15.02.2024)
- Peta, „Der Otter – 8 faszinierende Fakten über Otter“ (aufgerufen am 15.02.2024)
- otterzentrum.de, „Das Otterleben im Winter“ (aufgerufen am 15.02.2024)