16. März 2024, 16:17 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Bundesweit leben über 15 Millionen Katzen behütet bei ihren Haltern. Doch im Verborgenen vegetieren verwilderte Artgenossen, die sich unkontrolliert vermehren und deren Lage sich immer weiter verschlechtert. In der Großstadt Mannheim gilt deswegen nun eine allgemeine Katzenschutzverordnung für Streuner, die Schlagzeilen gemacht hat und Auswirkungen auf ganz Deutschland haben könnte. Nach nicht wirklich durchdachten Anfängen soll nun doch eine Kastrationspflicht kommen.
Eine Katzenschutzverordnung, die am 22. Juni 2023 in Mannheim in Kraft getreten ist, soll maßgeblich dazu beitragen, die Situation von Streunern zu verbessern. Allerdings kritisierten Tierschützer die Verordnung und die mangelnde Kontrolle als nicht bis zum Ende durchdacht und zudem nicht weitreichend genug. Laut einem Entscheid der Stadt soll sich dies jedoch zum 1. Oktober 2024 ändern, denn die zuvor noch debattierte Kastrationspflicht wird der Regelung nun doch hinzugefügt. Damit ist Mannheim die erste deutsche Stadt mit solch einer Verordnung, die in Deutschland Schule machen könnte.
Warum die Kastrationspflicht in der Mannheimer Katzenschutzverordnung nun doch kommt
Laut einer Pressemitteilung der Stadt hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am 12. März 2024 eine Änderung der seit 22. Juni 2023 geltenden Katzenschutzverordnung beschlossen: Die Verordnung sieht künftig auch eine Kastrationspflicht für frei laufende Halterkatzen vor.
Hintergrund für die Änderung der Katzenschutzverordnung sei eine geänderte Lage: Es zeigte sich, dass die alleinige Verpflichtung zur Kennzeichnung und Registrierung frei laufender Halterkatzen sowie Appelle zur Kastration nicht mehr ausreichten, um die Population wirksam und nachhaltig einzudämmen.
Daher müssten Katzenbesitzer ihre frei laufenden Katzen bis zum 1. Oktober 2024 zusätzlich zur Kennzeichnung und Registrierung auch kastrieren lassen. Der Stadt Mannheim sei auf Verlangen ein Nachweis über die durchgeführte Kastration sowie Registrierung vorzulegen – etwa durch die schriftliche Bestätigung des Tierarztes oder die Rechnung für den operativen Eingriff.
Rechtliche Hürden bei „Beschädigung von Eigentum“
Tierschützer kritisierten bereits, dass eine Katzenschutzverordnung und Populationskontrolle grundsätzlich eine gute Idee seien, doch ohne eine allgemeine Kastrationspflicht diese nicht wirksam sein könne.
Noch vor ein paar Monaten sah die Stadt Mannheim dort jedoch noch rechtliche Hürden, was die Beschädigung von Eigentum – als welches Katzen gesetzlich gelten – betrifft. Die Stadt verteidigte ihre milde Gangart mit dem Hinweis auf die Grundrechte der Katzenhalter: „Eine Kastrationspflicht stellt einen massiven Eingriff in das grundgesetzlich garantierte Eigentumsrecht von KatzenhalterInnen dar und sollte die letzte Maßnahme sein, die getroffen wird.“ Für diese scheint es nun aber doch an der Zeit zu sein.
Was laut Katzenschutzverordnung bereits jetzt in Mannheim gilt
Unverändert gilt, dass Katzen fälschungssicher und dauerhaft durch die Implantierung eines elektronisch lesbaren Mikrochips oder mittels Ohrtätowierung durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt gekennzeichnet werden müssen. Die Daten des Mikrochips oder der Ohrtätowierung müssen zusätzlich in das kostenfreie Haustierregister von Tasso e. V. oder in das kostenfreie Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes („Findefix“) eingetragen werden.
Kontrollen erfolgen anlassbezogen, wenn z. B. Katzen als Fundtiere aufgegriffen werden, oder im Rahmen einer tierschutzrechtlichen Kontrolle. Sollte es nicht möglich sein, bei einer aufgefundenen Katze innerhalb von 48 Stunden einen Halter oder eine Halterin ausfindig zu machen, kann die Stadt die Katze auf Kosten des Halters kennzeichnen, registrieren und kastrieren lassen.
Katzenschutzverordnungen sollen unkontrollierte Vermehrung eindämmen
Die Katzenschutzverordnung in Mannheim gilt als richtungsweisend für andere Großstädte und die teils im Verborgenen lebenden Straßenkatzen. Denn sie sind abgemagert, krank oder verletzt – über zwei Millionen wilde Katzen streunen unbemerkt durch deutsche Großstädte.
Dabei sind Krankheiten und Verletzungen an der Tagesordnung. Futter ist Mangelware. „Eine Katze müsste am Tag 12 bis 15 Mäuse vertilgen, um satt zu werden – das ist in städtischen Bereichen nicht möglich“, sagt die ehrenamtliche Katzenschützerin Kristina Stumpf aus Mannheim. Auch der große Katzenschutzreport des Deutschen Tierschutzbundes bestätigt das für viele unsichtbare Problem (PETBOOK berichtete).
Da die Straßenkatzen in Mannheim jedoch sehr scheu sind, kann man die Zahl der Streuner nur grob schätzen. Laut Stumpf sind es 6200 – 7500 Tiere, die über Industrieflächen und Friedhöfe oder durch Schrebergärten streifen. Die Katzenschutzverordnung soll maßgeblich dazu beitragen, die Situation von Streunern zu verbessern. Allerdings war Tierschützern diese Maßnahme nicht bis zum Ende durchdacht und ging bislang zudem nicht weit genug.
Flickenteppich aus kommunalen Verordnungen
Das Leid der Tiere hat bereits in den Bundesländern Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu kommunalen Katzenschutzverordnungen geführt. Unter anderem die Städte Hannover, Essen und Köln haben bereits eine dementsprechende Regelung.
Mannheim prescht als die zweitgrößte Stadt im Südwesten nun weiter mit der Katzenschutzverordnung vor. Bisher waren es laut dem Landestierschutzbund Baden-Württembergs nur 34 kleinere Gemeinden, welche eine Novelle des Tierschutzgesetzes für eine Verordnung zum Schutz der Tiere nutzten.
Ziel dieser Verordnungen ist es immer, die unkontrollierte Vermehrung von Katzen einzudämmen. „Katzen sind keine Wildtiere, bei denen sich die Reproduktion bei verschlechterten Lebensbedingungen automatisch reduziert“, erläutert Katzenliebhaberin Stumpf die Problematik im Vergleich mit anderen Maßnahmen zur Populationskontrolle. Anke Feil, Gründerin der Organisation „Politik für die Katz‘“, pflichtet bei: „Katzen sind Haustiere und kommen ohne Versorgung durch den Menschen nicht gut zurecht“.
Mögliche Folgen vom Dauerstreunern bei Katzen sind Würmer, Flöhe oder Viruskrankheiten, die die Lebensdauer der Tiere schlimmstenfalls auf wenige Monate reduzieren, während verwöhnte Wohnungskatzen bis zu 20 Jahre alt werden.
Katzenschutzverordnung in Mannheim sah zunächst keine Kontrollen vor
Katzen in Mannheim müssen seit dem Inkrafttreten der Regelung „fälschungssicher und dauerhaft gekennzeichnet“ sein. Allerdings war Finanzierung für die Maßnahmen lange nicht klar. Kontrollen seitens der Stadt waren zunächst ebenfalls nicht vorgesehen.
Laut Informationen, die dem „SWR“ vorliegen, sollte die Maßnahmenkontrolle in erster Linie vom lokalen Tierheim durchgeführt werden – also nicht von der Stadt selbst, welche die Regelung in Kraft gesetzt hatte. „Begleitend werden vom Veterinäramt Einfangaktionen an Hotspots organisiert und durchgeführt. Regel-Kontrollen sind nicht geplant und auch nicht durchführbar“, hieß es in einem Statement der Stadt Mannheim damals.
Insbesondere die fehlenden Kontrollinstrumente seitens der Stadt stellten zunächst eine Hürde dar. Andreas Parmentier, Stadtrat der Tierschutzpartei Mannheims, war nach Einführung der Katzenschutzverordnung auch nicht glücklich mit diesem Vorschlag. Der Politiker meinte aber, eine abgespeckte Katzenschutzverordnung sei besser als gar keine Regelung. Man lege damit die Basis für Verbesserungen. „Da ist mir der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach“.
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Besitzer haben ihre Katzen als „Supereinnahmequelle“ entdeckt
Katzenschützerin Stumpf empfand den Vorschlag ihrer Heimatstadt vor Einführung der Verordnung als „absoluten Irrsinn“. „Der Kampf gegen das Katzenelend wird nie Erfolg haben, wenn unkastrierte frei laufende Katzen weiter zu rasanter Fortpflanzung beitragen“. Auch ließen Besitzer ließen in manchen Fällen ihre Tiere bewusst nicht kastrieren – aus finanziellen Gründen.
Nicht weil die Sterilisierung mit 300 bis 350 Euro bei weiblichen Tieren und 150 bis 200 Euro bei männlichen Tieren die Halter überfordere, sondern weil kleine Katzen eine „Supereinnahmequelle“ seien, sagt Stumpf. „Die Kitten werden für 400, 500 Euro im Netz verhökert“. Dieses Schlupfloch wird nun ebenfalls mit einer allgemeinen Kastrationspflicht gestopft.
Die Landestierschutzbeauftragte Baden-Württembergs, Julia Stubenbord, bezeichnete die erste Verordnung der Stadt als „seltsame Variante“. Sie teilte auch die juristischen Zweifel an einer Kastrationspflicht für gehaltene Katzen nicht. „Klagen sind mir in ganz Deutschland nicht bekannt“, sagte sie.
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Streunerleid Schleswig-Holstein stimmt über allgemeine Katzenschutzverordnung ab
Gegen das Tierleid Niedersachsen plant Kastrationspflicht für Katzen
Tierschützer fordern bundesweite Katzenschutzverordnung
Doch die Kastrations- und Aufklärungsaktionen der Stadt Mannheim nach dem Grundsatz „Einfangen, Kastrieren, Freisetzen“ scheinen wenig Wirkung gezeigt zu haben. Anke Feil von „Politik für die Katz’“ hielt dieses Vorgehen seit Beginn der Verordnung für realitätsfern.
Tierschützer fordern ebenfalls seit geraumer Zeit eine bundesweite Katzenschutzverordnung, daher kann man den weiteren Entwicklungen in der Stadt Mannheim mit Spannung entgegensehen, die für eine bundesweite Katzenschutzverordnung richtungsweisend für das Leid der oft übersehenen Streuner in Deutschland werden könnte.
Mit Material der dpa