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Interview

Norwegen erlaubt Tiefseebergbau! Greenpeace: „Einzigartige Ökosysteme wären unwiederbringlich weg“

Ein Buckelwal schwimmt in den Gewässern vor Norwegen
Norwegen will den Tiefseebergbau genehmigen. Natürschützer befürchten schlimme Folgen für das Ökosystem Meer – unter anderem für Wale, die massiv vom Lärm der Unterseebagger betroffen seien. Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

11. Januar 2024, 17:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Norwegen möchte im Atlantik den Tiefseebergbau erlauben. In einem riesigen Gebiet im Atlantik sollen seltene Erden und Metalle aus dem Meeresboden gefördert werden. Naturschützer und Wissenschaftler sind entsetzt.

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Als erstes Land der Welt will Norwegen den Abbau von Mineralien durch Tiefseebergbau erlauben. Wissenschaftler und Naturschützer mahnen jedoch, dass dies einzigartige Ökosysteme zerstören könnte. PETBOOK gibt einen Überblick, was nun geschehen soll und sprach darüber mit Till Seidensticker, Meeresexperte bei Greenpeace.

Warum will Norwegen Tiefseebergbau erlauben?

Am 9. Januar stimmte das Parlament in Oslo dafür, Lizenzen für den Tiefseebergbau in den Gewässern rund um Norwegen zu vergeben, obwohl Wissenschaftler, Politiker und Nicht-Regierungsorganisationen mit Kritik reagieren. Dies berichteten mehrere Medien, unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ übereinstimmend.

Im Meeresboden gibt es an verschiedenen Stellen wertvolle Rohstoffvorkommen. In den Gewässern vor Norwegen betrifft dies vor allem die seltene Erde Cer, sowie Kupfer und Zink. Das Vorkommen soll mehrere Millionen Tonnen betragen. Diese Mineralien sind essenziell für die Chip-Herstellung und den Bau von Elektroautos.

Norwegens Energieminister: »Haben nur begrenzte Kenntnisse über die Tiefseegebiete

Das betroffene Gebiet ist etwa 281.000 Quadratkilometer groß und liegt zwischen Spitzbergen und dem Osten von Grönland. Wie viel von den Vorkommen der Mineralien in Tiefen von 1500 Metern bis 6000 Metern tatsächlich abgebaut werden kann, ist noch nicht geklärt.

Öl- und Energieminister Terje Aasland verkündete bereits 2022 vollmundig in einer Pressemitteilung: „Derzeit haben wir nur begrenzte Kenntnisse über die Tiefseegebiete, in denen sich die Ressourcen befinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es möglich sein wird, diese Ressourcen nachhaltig und verantwortungsvoll zu fördern, wenn die Industrie die Ressourcen identifiziert, deren Abbau sie für wirtschaftlich rentabel hält.“

Doch welche Auswirkungen kann der Bergbau in der Tiefsee für das bereits unter dem Klimawandel leidende Meer haben? Darüber sprach PETBOOK mit Till Seidensticker, Meeresexperte bei Greenpeace.

PETBOOK: Welche Konsequenzen befürchten Sie durch den Tiefseebau für den Erhalt des Ökosystems Meer?
Till Seidensticker: „Es kann grundsätzlich keinen Tiefseebergbau geben, der die Tiefsee und ihre Ökosysteme schont. Die Ökosysteme in der Tiefsee sind außergewöhnlich. Die Gebiete, die jetzt in Norwegen angegangen werden, sind voller einzigartiger Ökosysteme, wie zum Beispiel aktive und inaktive schwarze Raucher – also Stellen, aus denen vulkanisches Wasser aus dem Erdboden austritt.

Das sind einmalige Lebensräume, in denen Lebewesen vorkommen, die man sonst nirgendwo anders findet. Diese Lebewesen haben auch keine Ausweichmöglichkeiten, da es keine Verbindung gibt, die es den Lebewesen erlaubt, von einem zum anderen Ort zu gelangen. Das sind eben ganz einzigartige, in sich abgeschlossene Ökosysteme. Wenn man die zerstört, hat das schwerwiegende Folgen. Sie wären unwiederbringlich weg!“

»Folgen dieser Eingriffe werden über Jahrtausende zu spüren sein

„Außerdem hat es die norwegische Tiefseebergbauindustrie auf sogenannte Cobalt-Krusten abgesehen, das sind Seeberge und Hänge. Auch bei denen fräsen die Maschinen die gesamte Oberfläche ab und zerstören alles, was darauf lebt. Dabei handelt es sich um sehr produktive Lebensräume. Dort gibt es Kaltwasserkorallen und eine unglaubliche Artenvielfalt.

Die Folgen solcher Eingriffe werden über eine sehr lange Zeit zu spüren sein, wir sprechen hier nicht von ein paar Jahren, sondern von Jahrtausenden. Vor allem, weil sich das Leben in der Tiefsee aufgrund des Mangels – oder sogar der Abwesenheit – von Licht, den wenigen Nährstoffen und zusätzlich wegen des extremen Drucks und der niedrigen Temperaturen einfach sehr langsam entwickelt.“

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Lärm vom Tiefseebergbau in Norwegen könnte Wale massiv beeinträchtigen

Gibt es noch andere Lebewesen, die insbesondere von der Lautstärke und den schweren Maschinen im Meer betroffen sein werden?
„Was natürlich dazu kommt, ist die Art des Abbaus von solchen Mineralien. Der Tiefseebergbau wird nicht nur lokale Auswirkungen haben. Schon allein dadurch, dass man diesen Boden abfräst, mit schweren Maschinen unterwegs ist und mit Schiffen dort hinfährt. Dadurch entstehen einerseits Sedimentwolken, die auch über das Gebiet hinaus eine Auswirkung haben.

Durch den Lärm wird es eben auch eine massive Beeinträchtigung für die Lebewesen geben, die auf Akustik als Orientierung angewiesen sind. Da geht es vor allen Dingen um Wale, die gerade in diesen arktischen Gewässern beheimatet sind. Wale brauchen ihr Gehör zum Überleben. Wird ihr Gehör geschädigt, kann das für sie tödlich enden.“

Kann durch diesen Abbau in dieser Tiefe tatsächlich der Klimawandel auch noch beschleunigt werden? Also ist die CO₂-Speicherung dieser Tiefen dann dadurch auch beeinträchtigt?
„Ich glaube, das ist eine schwierige Frage, die noch nicht endgültig beantwortet ist. Das ist ein weiteres Problem, was wir beim Thema Tiefseebergbau haben: Der Forschungsstand ist wahnsinnig gering – wir wissen mehr über den Mond als über die Tiefsee. Die Konsequenzen, die der Tiefseebergbau für diesen besonderen Lebensraum haben kann, sind kaum erforscht.

Aber was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass in den Ökosystemen und in der Biomasse – dem lebendigen Leben auf dem Seeboden – natürlich auch einiges an CO₂ gebunden ist und wird. Werden diese Lebensräume und Ökosysteme zerstört, dann wird dieses CO₂ freigesetzt beziehungsweise dort nicht für die Zukunft weiter gebunden.“

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„Ein grünes Label hat in der Debatte um den Tiefseebergbau nichts zu suchen“

Es gab ein Statement vom Energieminister Norwegens, dass dieser Mineralien-Gewinn nachhaltig sein soll oder für den grünen Wandel im Land sorgen sollte. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
„Wir würden ganz klar widersprechen. Ein grünes Label hat in der Debatte um den Tiefseebergbau nichts zu suchen. Es ist der falsche Weg, ein weiteres, noch fast von Menschen unberührtes Ökosystem zu zerstören, um den notwendigen Wandel weg von Verbrennungsmotoren auf den Weg zu bringen. Wir glauben, dass die Auswirkungen für die Ökosysteme der Tiefsee massiv sein werden. Es wird den Weg hin zu einer zirkulären Ökonomie mit Metallen und dort abgebauten Rohstoffen eher behindern.

Es ist natürlich meistens günstiger, Metalle irgendwo neu herauszuholen, als echtes Recycling oder Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Und wir sind davon überzeugt, dass wir durch eine Transformation unserer Wirtschaft auf diesen neuen Bergbau verzichten können. Der Bergbau in der Tiefsee wird den Tagesbergbau nicht ersetzen, dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Er wird zusätzlich geschehen.

Auch die Wissenschaftler, die die norwegische Regierung beraten, sowie viele andere international renommierte Wissenschaftler, sprechen sich ganz klar gegen den Tiefseebergbau in Norwegen aus. Das weckt gefährliche Begehrlichkeiten, eben auch an anderen Stellen international mit dem Tiefseebergbau zu beginnen. Deswegen ist es wichtig, die Pläne in Norwegen zu stoppen. Und dafür ist es auch noch nicht zu spät.“

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