
30. Januar 2025, 17:34 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Mit dem Ocean Berlin soll ein riesiger Erlebnispark mit Großaquarium entstehen. Das Projekt ist umstritten – allerdings nicht wegen der vielen Fische, die dann zur Belustigung der Besucher ein Leben in Gefangenschaft fristen. So etwas braucht niemand, findet PETBOOK-Redakteurin und Biologin Saskia Schneider. Sie hält die Gründe der Betreiber, Besuchern die Unterwasserwelt näherzubringen und auf das Sterben der Meere aufmerksam zu machen, für fadenscheinig. Offenbar geht es hier um etwas ganz anderes …
Lange war es geplant und lange ging es auf der Baustelle kaum voran – ein typisches Großbauprojekt in Berlin eben. Doch jetzt soll das Ocean Berlin fertiggestellt werden und will seine Türen im Mai 2026 für Besucher öffnen. Ich frage mich ehrlich: Wer braucht das? Müssen wir wirklich noch ein Riesenaquarium in die Stadt stellen und tausende Fische schaulustigen Besuchern präsentieren? Mir geht es dabei gar nicht so sehr um die Sicherheit – nach dem geplatzten „AquaDom“ der Touristenattraktion „SeaLife“ haben die Statiker hoffentlich einiges dazugelernt. Vielmehr frage ich mich, ob es heute noch angebracht ist, Fische und Korallen der Natur zu entnehmen, um sie in riesige Becken zu sperren und in Kauf zu nehmen, dass viele der Tiere diese Tortur nicht überleben.
Im Vorfeld gab es viel Kritik am Ocean Berlin – aber nicht wegen der Fische
Mit dem Ocean Berlin soll ein riesiger Erlebnispark mit Großaquarien, Hotel und Informationszentrum an der Rummelsburger Bucht entstehen. Neben Korallen und tropischen Fischen soll es auch Haie, Hechte und andere Meeresbewohner beherbergen. Insgesamt neun Millionen Liter Wasser sollen die Becken fassen. Ein großer Teil davon soll aus Trinkwasser bestehen, das dann zu Meerwasser aufbereitet wird. Berlin kann es sich ja leisten …
Hinter dem Großprojekt steckt das Unternehmen „Coral World“, das bereits mehrere Großaquarien betreibt. Bereits im Vorfeld erntete das Vorhaben viel Kritik – allerdings nicht wegen des hohen Wasserverbrauchs oder der Sorge um die Fische. So berichtete die „Berliner Zeitung“, dass unterschiedliche Initiativen über mehrere Jahre gefordert hatten, dass die Rummelsburger Bucht für gemeingesellschaftliche Zwecke genutzt und bebaut werden solle.
Anwohner gingen „auf die Palme, die sich lieber bezahlbaren Wohnraum und Schulen wünschten“, wie die „taz“ schreibt. Auch der alternativen Szene war das Bauvorhaben ein Dorn im Auge. Denn für die geplante Bebauung mussten unter anderem ein Techno-Club, zwei Wagenplätze und ein Obdachlosencamp weichen.
99 Prozent der Zierfische sind Wildfänge
Coral World selbst lobt sein Großaquarium als Projekt gegen die „kaum wahrgenommene Umweltzerstörung der ‚Unterwasserwelt‘“, wie es auf der offiziellen Website heißt. Dabei trägt Ocean Berlin selbst zur Zerstörung der Unterwasserwelt bei. Von den marinen Zierfischen in europäischen Großaquarien sind 99 Prozent Wildfänge, wie die Tierrechtsorganisation Peta in einer Pressemitteilung vom 23. Januar 2025 informiert. Der Großteil der Bewohner wird also aus der Natur entnommen, obwohl viele Arten jetzt schon stark gefährdet sind.
Diese Fische kommen dann in eine künstliche Welt. Sie müssen ihr restliches Leben in Gefangenschaft verbringen – falls sie den Transport überhaupt überleben. Was für Zootiere wie Tiger, Elefanten oder Affen undenkbar wäre, nehmen wir bei Fischen billigend in Kauf – es sind ja nur Fische. Was bekommen die schon mit? Wahrscheinlich merken sie nicht mal, dass sie in einer künstlichen Welt leben. So dachte man zumindest früher über viele Tiere wie Insekten, Reptilien oder eben Fische.
Heute wissen wir, dass auch Fische fühlen, denken und sogar zu sozialen Interaktionen – auch artübergreifend – fähig sind. So berichtete PETBOOK über die Taucherin Cristina Zenato, die Haien regelmäßig Angelhaken entfernt. Mittlerweile suchen die Fische Zenato aktiv auf und lassen sich danach sogar von ihr streicheln. Fische haben also vielmehr auf dem Kasten, als wir ihnen zusprechen – wir wissen einfach nur bisher zu wenig über die Tiere.
„Todesfalle für Fische“
Während Säugetiere in Zoos oft Verhaltensstörungen entwickeln, weil ihre Gehege zu klein und ihre Haltung alles andere als artgerecht ist, leiden Fische im Stillen. Keiner kann sagen, ob und wie die Tiere in Gefangenschaft leiden. Ein Anhaltspunkt könnte aber die hohe Sterberate sein. So soll es im Schwesteraquarium Maui Ocean auf Hawaii zu einer hohen Anzahl an Sterbefällen gekommen sein. Laut einem im Dezember 2024 veröffentlichten Dokument waren in dem Aquarium 548 aller 802 gesammelten Korallenfische im Zeitraum 2021 bis 2022 gestorben – das entspricht 68 Prozent. Von mehreren Arten starben innerhalb weniger Wochen sogar 100 Prozent aller Tiere. 2
Peta glaubt, dass in dem neuen Aquarium mindestens ebenso viele Sterbefälle zu erwarten sind. Die Organisation hält das Ocean Berlin für „eine Todesfalle für zahlreiche Korallenfische, da sehr viele bereits beim Fang sterben oder den Transport nicht überleben“, wie Dr. Tanja Breining, Biologin und Fachreferentin für Wassertiere bei Peta auf Anfrage von PETBOOK mitteilt. „Das Bezirksamt von Berlin-Lichtenberg und das Veterinäramt müssen mit dieser neuen Erkenntnis nun den Einsatz von Korallenfischen im Ocean Berlin untersagen“, so die Forderung der Tierrechtsorganisation.
Wissensvermittlung? Wohl eher nicht
Ein Argument, das gerne für den Betrieb eines Aquariums angeführt wird, ist die Wissensvermittlung. „Mit dem Berliner Projekt wollen wir den Ozean in das Herz Europas bringen und seinen Bewohnern eine Stimme geben“, schreiben die Betreiber auf ihrer Website. Zudem wolle man Bewusstsein schaffen sowie Handeln fördern, um den Auswirkungen von Artensterben, globaler Erwärmung und Ozeanversauerung entgegenzuwirken.
Wie gut das Konzept Wissensvermittlung funktioniert, kann sich jeder an einem Samstag im Berliner Aquarium ansehen. Das Ganze gleicht eher einem Indoor-Spielplatz als einem Ort, an dem den Besuchern Wissen vermittelt wird. Für den stolzen Eintrittspreis von 25 Euro pro Person an der Kasse können Eltern samt Nachwuchs und Kinderwagen einen Tag in der Unterwasserwelt verbringen. So kann man endlich mal ein paar wichtige WhatsApp-Nachrichten beantworten, während sich die Kinder die Nasen an den Scheiben der Becken platt drücken und an ihren Reiswaffeln lutschen.

Hobby oder Tierquälerei? Warum für Meerwasseraquarien jährlich Millionen von Fischen sterben

Peta fordert Umsiedlung Einsamster Orca der Welt lebt seit 1992 allein in winzigem Becken

Unglück im Aquarium Aquadom in Berlin geplatzt! Haben Fische überlebt?
Es geht bei solchen Projekten um etwas ganz anderes
Ein ähnliches „Konzept der Wissensvermittlung“ ist auch beim Ocean Berlin zu erwarten. Denn neben den Großaquarien sind Geschäfte, ein 3D-Kino sowie ein Biergarten und Spielplätze geplant. Ein Spaß für die ganze Familie!
Bereits 2010 kam eine US-amerikanische Studie zu der Erkenntnis, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass Zoos und Aquarien den Besuchern Wissen über einzelne Tierarten vermitteln oder ihr Interesse am Artenschutz wecken. Es geht bei solchen Projekten um etwas ganz anderes: Menschen ein Erlebnis zu bieten und damit Geld zu verdienen – auf Kosten von Lebewesen.
Wenn es wirklich darum ginge, Wissen zu vermitteln und Menschen für das Leben der Unterwasserwelt zu sensibilisieren, könnte man auch andere Wege gehen. So schlägt Peta beispielsweise vor, die Besucherinnen und Besucher stattdessen mit modernen Webcams, Virtual Reality, Unterwasserdokumentationen und Vorträgen über gefährdete Korallenriffe zu informieren und somit unzähligen Tieren Gefangenschaft und Tod ersparen zu können, wie Dr. Tanja Breining PETBOOK mitteilt. Um das Projekt doch noch zu verhindern, hat die Tierrechtsorganisation eine Petition ins Leben gerufen.
Es ist jedoch fraglich, ob das Großbauprojekt Ocean Berlin jetzt noch gestoppt werden kann – zumindest nicht durch eine Petition. Bleibt nur noch, auf eine verfehlte Bauplanung zu hoffen. Die hat ja schon so manchem Großbauprojekt in Berlin das Genick gebrochen.