8. August 2023, 14:18 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Das Netz ist voll von lustigen Tiervideos. Doch was uns Menschen zum Lachen bringt, ist für die tierischen Protagonisten nicht immer so lustig. Vor allem, wenn Hunde oder Katzen zu etwas gezwungen werden, nur um möglichst viele Klicks und Likes zu generieren. Oft wissen viele Nutzer nicht einmal, dass das Tier in dem Video, das sie gerade anschauen, leidet. PETBOOK sprach mit Wiebke Plasse von der Welttierschutzgesellschaft darüber, anhand welcher Kriterien man Tierquälerei in den sozialen Medien erkennen kann und was man tun sollte.
Wir alle lieben Tiervideos. In den sozialen Netzwerken gehören sie zu einer der beliebtesten Kategorien und haben eine lange Tradition. Schließlich gab es schon zu Anfängen des Internets lustige Fotos und sogar kleine Clips von Hunden und Katzen. Mit dem Wachstum der sozialen Medien haben diese Videos aber noch einmal ganz neue Ausmaße angenommen. Denn jetzt kann man mit Klicks und Abos Geld verdienen. Dabei wollen natürlich die wenigsten Nutzer sehen, wie Tiere gequält werden. Sie möchten Videos, in denen die tierischen Protagonisten besonders niedliche oder lustige Dinge tun. Aber oft steckt auch schon hinter solchen Inhalten auf sozialen Medien Tierquälerei, die die meisten aber nicht erkennen.
So sind unter anderem Videos beliebt, in denen etwa Igel im Waschbecken liegen und baden – gerne noch mit einem Schwimmring um dem Körper. Für den Laien wirkt dies sehr niedlich. Dass die kleinen Stachelträger aber in Todesstarre verharren, weil sie Angst haben zu ertrinken, wissen oft nicht mal ihre Besitzer, die diese Videos zuhauf produzieren und auf TikTok, YouTube, Instagram und Co. hochladen. Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) hat daher einen Leitfaden entwickelt, wie man Tierquälerei in sozialen Medien erkennt. PETBOOK sprach mit Wiebke Plasse, Leiterin für Kommunikation der WTG, über die Ausmaße, die Tierquälerei mittlerweile in den sozialen Plattformen angenommen hat und wie wir als Nutzer damit umgehen sollten.
Übersicht
- Fast jeder vierte Beitrag zeigt eindeutiges Tierleid!
- Tierquälerei in sozialen Netzwerken nimmt zu
- Tierquälerei in sozialen Medien erkennen
- Die erste Form: eindeutiges Tierleid
- Die zweite Form: Verdacht auf Tierleid
- Die dritte Form: dem Tierschutzgedanken nicht förderlich
- Aufklärung als Mittel gegen Tierquälerei in sozialen Netzwerken
Fast jeder vierte Beitrag zeigt eindeutiges Tierleid!
Tierschutzorganisationen weltweit warnen immer wieder vor dem großen Tierleid, an dem sich viele Leute mittlerweile bereichern. Es werden Fische in die Wildnis ausgesetzt, um sie dann „zu finden“, Katzen und Hundebabys werden in prekäre Situationen gebracht, um sie „zu retten“ oder schlimmer noch: Die Tiere werden extra verletzt oder runtergehungert, damit der Vorher-Nachher-Effekt im Video besonders eindrucksvoll ist. Alles für Mitleid, Klicks und Abos, die letztendlich Geld bedeuten.
Wie groß das Ausmaß ist, hat die Welttierschutzgesellschaft 2021 in einer „Live-Dokumentation“ untersucht, erzählt Wiebke Plasse im Gespräch mit PETBOOK. „Dafür haben wir wochenlang ausgewählte sozialen Netzwerke und deren Inhalte durchforstet. Jeden Tag suchten wir zur selben Zeit unter bestimmten Begriffen und Hashtags nach neuen Beiträgen, Fotos und Videos. Das Ergebnis war schockierend!“ Unter den insgesamt 873 gesichteten Beiträgen der Plattformen Facebook, Instagram, TikTok und YouTube waren 235 Beiträge, welche eindeutiges Tierleid darstellen, wie man dem Bericht über die Live-Doku der WTG entnehmen kann. Das ist rund jeder vierte Beitrag!
„Je tiefer wir in die Recherche gegangen sind, desto deutlicher wurde, wie groß das Ausmaß wirklich ist und dass es auch global ein großes Problem ist“, sagt Plasse. Tatsächlich berichtet auch die „Social Media Animal Cruelty Coalition“, ein Zusammenschluss verschiedener Mitglieder des Netzwerks Asia for Animals Coalition (AfA), in ihrem Report über das Ausmaß von Tierquälerei in sozialen Medien. So dokumentierten die Tierschützer laut ihres Berichtes zwischen Juli 2020 und August 2021 5480 einzelne Links zu Videos mit Inhalten zu Tierquälerei auf YouTube, Facebook und TikTok.
Auch interessant: Was kann man tun, wenn man Tierquälerei vermutet?
Tierquälerei in sozialen Netzwerken nimmt zu
Die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA) hat festgestellt, dass sich die Zahl der Berichte über Tierquälerei, die in den sozialen Medien gepostet wurden, von 2020 zu 2021 fast verdoppelt hat. Die aktuellsten Zahlen der Wohltätigkeitsorganisation zeigen, dass es im Jahr 2021 756 Berichte über Tierquälerei in den sozialen Medien gab, verglichen mit 431 im Jahr 2020 und 157 im Jahr 2019.
Dermot Murphy, Chief Inspectorate Officer der RSPCA, sagte: „Es ist sehr besorgniserregend, dass wir immer mehr Berichte über Tierquälerei sehen, die in den sozialen Medien gepostet werden, um Likes und Lob zu erhalten. Diese Videos werden oft von lachenden Emojis oder albernen Kommentaren begleitet, es normalisiert Tierquälerei – und verharmlost sie sogar.“
Auch Wiebke Plasse sagt, dass unter den Videos, die tier-affinen Nutzern in ihren Timelines angezeigt werden, vermehrt bedenklicher Inhalt ist. „Oft kann man gar nicht genau einschätzen, was dahintersteckt. Ist das schon Tierleid? Und ist es echt oder ist es inszeniert? Ist das nur gemacht, um Reichweite zu gewinnen? Auch wir als Tierschutzorganisationen zeigen Tierleid, indem wir auf Missstände aufmerksam machen – das sind aber dokumentarische oder informative Zwecke und muss deutlich differenziert werden.“
Tierquälerei in sozialen Medien erkennen
Um Tierleid-Darstellungen ohne informative oder dokumentarische Zwecke erkennen zu können, hat die WTG einen Leitfaden erstellt. „Wir unterscheiden drei verschiedene Formen, in denen sich Tierleid abspielt“, erklärt Plasse.
Die erste Form: eindeutiges Tierleid
Die erste Form, das eindeutige Tierleid, erkennen eigentlich alle Nutzerinnen und Nutzer. Dabei wird grausame Gewalttätigkeit gegenüber Tieren ausgeübt, die „durch nichts und rein gar nicht zu legitimieren wäre“, sagt Plasse. Als Beispiel nennt sie ein Video, in dem eine junge Katze in einem laufenden Mixer brutal getötet wird. Der knapp einminütige Clip hielt sich über Stunden, in einigen Netzwerken sogar über Tage. Trotz des eindeutig brutalen und verstörenden Inhalts wurde er unter Millionen Nutzerinnen und Nutzern verbreitet.
Solche Taten widersprechen eindeutig dem Tierschutzgesetz, allerdings gibt es gegen die Darstellung dieser Tierquälerei kein Gesetz, so Plasse. Daneben gibt es noch Videos, in denen Tiere klar leiden, etwa kurz vor dem Verhungern stehen oder verletzt sind. „Hier muss man schauen, inwieweit die Inhalte eingeordnet werden. Handelt es sich bei dem Material um Aufnahmen von Tierschutzorganisationen, die damit aufklären und informieren oder wurde dieser Inhalt verbreitet, um reißerisch zu sein und Reichweite zu generieren?“ Letztere Beiträge enthalten in der Regel nur wenig Informationen darüber, was man sieht und wer hier interagiert. Auch tauchen auf manchen Kanälen immer wieder die gleichen Tiere auf, die dann „gerettet“ werden.
Wer Inhalte, die eindeutiges Tierleid zeigen, auf Plattformen der sozialen Medien sieht, sollte folgendermaßen reagieren:
- Zeigen Sie keinerlei Reaktion auf die Inhalte! Jedes teilen und jeder Klick führen zu noch mehr Reichweite.
- Melden Sie die Inhalte konsequent auf der jeweiligen Plattform.
- Sprechen Sie ggf. jemanden aus dem Moderationsteam der Plattform an.
- Bei Unsicherheit können Sie sich immer auch an Tierschutzorganisationen wenden und die Inhalte dort melden.
Die zweite Form: Verdacht auf Tierleid
Zu dieser Form gehören etwa Inhalte, bei denen man sich nicht sicher sein kann: Handelt es sich hier um eine notwendige Prozedur? Etwa, wenn das Kitten gebadet werden muss, weil es Flöhe hat. Oder wird hier ein Tier ins Waschbecken gesetzt, um Likes zu bekommen, während der tierische Protagonist Todesängste aussteht?
Der Tierleid-Verdacht ist auch oft gegeben, wenn etwa Menschen Kontakt zu Wildtieren haben. „Aus Tierschutzsicht sollte man das wann immer möglich vermeiden“, macht Plasse klar. „Als Person habe ich ein Wildtier einfach nicht anzufassen. Oft sieht man aber Videos, wie Affen oder andere Wildtiere wie Haustiere behandelt, etwa gebadet oder gefüttert werden.“ Das könne dann sowohl eine Privatperson sein, die das Tier als Haustier hält (was eindeutiges Tierleid darstellt) oder aber eben auch ein Schutzzentrum sein und damit eine womöglich wichtige Maßnahme der Tierversorgung.
Als Betrachter solle man daher versuchen, den Kontext herzustellen, rät Plasse. „Wer postet das? Was zeigt diese Person noch auf ihrem Kanal? Im Zweifelsfall, immer im Sinne des Tierschutzes handeln und den Inhalt melden.“
Wer Inhalte, die eindeutiges Tierleid zeigen, auf Plattformen der sozialen Medien sieht, sollte folgendermaßen reagieren:
- Suchen Sie nach weiteren Informationen oder Hintergründen zur Aufnahme.
- Weisen Sie den Erstellenden darauf hin, dass der Kontext fehlt und Sie Tierleid vermuten.
- Erhalten Sie keine Reaktion, sollten Sie auch diese Inhalte konsequent melden.
Die dritte Form: dem Tierschutzgedanken nicht förderlich
Unter die dritte Form fallen laut WTG Inhalte, die einen respektlosen oder nicht wertschätzenden Umgang mit dem Tier zeigen. Diese müssen nicht immer konkret Tierleid darstellen, weil das Tier in dem Moment vielleicht gar nicht leidet, erklärt Plasse. Aber es sei dem Tierschutzgedanken und dem Bewusstsein für Tiere und ihr Wohlergehen in der Bevölkerung nicht förderlich, wenn ständig stark verkleidete Tiere in unnatürlichen Situationen dargestellt werden.
„Das Tier erfährt vielleicht in dem Moment kein Schmerz, kein Leid oder keinen nachhaltigen Schaden. Aber die Inhalte können zum Nachahmen anregen. Etwa bei sogenannten Challenges und Herausforderungen, die dann eben schnell in Tierleid münden“, mahnt Plasse. So erzählt sie von einer Challenge, in der es darum ging, Tiere zu zertreten. Das waren zuerst kleine Insekten wie Ameisen, was schon schlimm genug sei, artete dann aber in Clips aus, in denen tatsächlich ein Welpe zertreten wurde.
„Als Welttierschutzgesellschaft würden wir uns wünschen, dass unter Videos dieser Form – die also dem Tierschutzgedanken nicht förderlich sind – Hinweise eingeblendet werden müssen, wie etwa ‚Bitte nicht nachmachen!‘. So hätten die Netzwerke die Möglichkeit, mit diesen vermeintlich lustigen Videos auch noch einen Beitrag zum Tierschutz zu leisten, indem sie sagen: ‚Wenn du es nachmachst, dann steigere es nicht und habe das Wohl deines Tieres im Sinne‘.“
Wer Inhalte, die dem Tierschutzgedanken nicht förderlich sind, auf Plattformen der sozialen Medien sieht, sollte folgendermaßen reagieren:
- Weisen Sie die erstellende Person darauf hin, dass der Inhalt nicht Ihrem Empfinden eines wertschätzenden Umgangs mit Tieren entspricht.
- Verbreiten Sie den Beitrag nicht weiter, sondern melden Sie ihn an das Moderationsteam der entsprechenden Plattform.
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Aufklärung als Mittel gegen Tierquälerei in sozialen Netzwerken
„Wir wollen niemandem die Freude an den harmlosen und niedlichen Tiervideos und Tierfotos nehmen“, betont Plasse. „Aber wir sehen immer wieder, dass sich dazwischen viel Tierleid abspielt und ein wirklich großer Teil der Menschen, die solche Inhalte teilen oder posten, sich nicht bewusst sind, dass das ein Problem sein kann. Manchmal fällt es uns auch selbst schwer, das wahrzunehmen.“ Deshalb sei das wichtigste, Aufklärungsarbeit zu leisten und zu erklären, was Tierleid ist, wo es anfängt und wie man es erkennt.
Dazu gehöre auch, die Körpersprache seiner Haustiere lesen zu lernen und zu verstehen, meint Plasse. „Denn vielleicht haben viele auch nur nie richtig gelernt, die Körpersprache und das Verhalten ihrer Tiere wahrzunehmen, um ihnen kein Leid anzutun.“ Man erkenne auch häufig an den Kommentaren unter den Videos, dass unter den Nutzern noch sehr viel Unwissenheit über die Tiere herrsche.
Letztendlich bräuchte es aber auch eine rechtliche Basis. Denn bisher gibt es in Deutschland kein Gesetz, das die Darstellung von Tierquälerei verbietet. Die Welttierschutzgesellschaft fordert daher eine Anpassung im Strafgesetzbuch (PETBOOK berichtete). „Wir sind davon überzeugt: Wenn es eine solche rechtliche Basis gäbe, würden die Netzwerke auch mehr Verantwortung für die Inhalte übernehmen. Damit könnte man sich dann auch wieder bedenkenlos an harmlosen Tierinhalten erfreuen. Das wär doch für uns alle schön und auch im Sinne der Tiere.“