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PETBOOK-Interview

Warum Haie die Taucherin Cristina Zenato regelmäßig um Hilfe bitten

Cristina Zenato ist Wissenschaftlerin und Berufstaucherin.  Bei ihren Tauchgängen entfernt sie Angelhaken, die versehentlich im Fleisch von Haien gelandet sind
Cristina Zenato ist Wissenschaftlerin und Berufstaucherin. Bei ihren Tauchgängen entfernt sie Angelhaken, die versehentlich im Fleisch von Haien gelandet sind Foto: Kewin Lorenzen
Dennis Agyemang
Redakteur

2. Januar 2025, 16:24 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Cristina Zenato ist Wissenschaftlerin und professionelle Taucherin. Bei ihren Tauchgängen entfernt sie Angelhaken, die versehentlich im Fleisch von Haien gelandet sind. Denn diese sind nicht nur schmerzlich für die Tiere, sondern können sie im zweifelsfall auch umbringen.

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Man merkt es ihr sofort an. Das Herz von Cristina Zenato schlägt für Haie. Daher hat sich die Taucherin bereits vor vielen Jahren auf die Verhaltensforschung von Haien und Anthrozoologie (vereint die Lehre von Mensch und Tier) spezialisiert. In ihrer Wahlheimat, den Bahamas, macht sie sich zudem für den Schutz von Haien stark und möchte mit dem verzerrten und oft auch schlichtweg falschen Vorstellungen der Meeresbewohner aufräumen. PETBOOK sprach mit ihr über ihre Arbeit und auch darüber wie sie dazu kam, Angelhaken aus verwundeten Haien zu entfernen.

„Schon als Kind hatte ich den Traum, mit Haien befreundet durch die Ozeane zu ziehen“

PETBOOK: Frau Zenato, wie haben Sie eigentlich Ihre Liebe zu Haien entdeckt und wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute sind?
Cristina Zenato: „Schon als Kind hatte ich den Traum, mit Haien befreundet durch die Ozeane zu ziehen und den Menschen zu zeigen, was man beim Tauchen tun und lassen sollte. Es hat 30 Jahre gedauert, aber ich konnte diesen Traum verwirklichen. Ich kam durch eine Reihe von Zufällen und Entscheidungen auf die Bahamas, um Tauchen zu lernen, und innerhalb einer Woche veränderte sich mein Leben komplett. Mit 22 Jahren erkannte ich, dass es möglich ist, professionelle Taucherin zu werden und mit Haien zu arbeiten. Heute bin ich auf spezielle Tauchgänge fokussiert, bei denen ich Menschen Haien näherbringe oder technische Tauchgänge durchführe.“

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„Die Haie lassen mich oft mehrmals versuchen, bis es klappt“

Ich habe Videos gesehen, wie Sie Fischhaken Hai entfernt haben. Wie kamen Sie dazu?
„Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht mehr an den ersten Haken. Es war für mich so natürlich wie einen Dorn aus der Pfote eines Hundes zu entfernen. Wahrscheinlich war es während eines Tauchgangs, als ich einen Hai mit einem Haken im Maul sah und einfach dachte: ‚Ich kann das entfernen.‘ Die Haie lassen mich oft mehrmals versuchen, bis es klappt.

Ich habe Techniken entwickelt, nur mit meinen Händen Haken zu entfernen, ohne Werkzeuge. Anfangs habe ich die Haken einfach in den Müll geworfen, aber als die Leute Interesse zeigten, begann ich, sie zu sammeln. Bis heute habe ich etwa 350 Haken entfernt.“

350 Haken – das klingt nach einer kleinen Zahl im globalen Kontext der Haie. Wie sehen Sie das?
„Es stimmt, global gesehen ist die Zahl klein. Viele Menschen haben mir gesagt, dass meine Arbeit keinen Unterschied macht, dass es vergeblich sei. Aber ich antworte darauf: Ich habe 350 Mal einen Unterschied gemacht – für jeden einzelnen Hai, dem ich den Haken entfernt habe. Was ursprünglich eine persönliche Handlung der Liebe für die Haie war, hat sich zu einem Symbol entwickelt, das Aufmerksamkeit schafft. Menschen beginnen zu verstehen, dass Haie Schmerz empfinden, auch wenn ihre Schmerzrezeptoren anders sind als unsere. Oft hört man, ‚Haie fühlen keinen Schmerz‘, aber das ist ein Irrtum. Haie haben zwar nicht die gleichen Rezeptoren wie wir, doch das bedeutet nicht, dass sie nichts fühlen.“

Mittlerweile sammelt Cristina Zenato die Haken, die sie bei verwundeten Haien entfernen konnte
Mittlerweile sammelt Cristina Zenato die Haken, die sie bei verwundeten Haien entfernen konnte Foto: Cristina Zenato

„Haie können durch verschluckte Angelhaken eine unfreiwillige Anorexie entwickeln“

Die Haie, denen Sie helfen, haben einen Haken im Fleisch. Das stelle ich mir schon extrem schmerzhaft vor. Das Salz im Wasser muss doch auch zusätzliche Schmerzen verursachen, wenn ein Haken im Fleisch steckt, oder?
„Absolut! Dazu gibt es auch Studien. Bei diesen Angelunfällen passieren oft schlimme Dinge. Wir hatten einen Hai, bei dem eine Angelschnur um die Rückenflosse gewickelt war und diese langsam durchgeschnitten hat. Wir konnten die Schnur entfernen, und die Flosse heilte fast vollständig. Andere Haie hatten Haken in den Kiemen, die besonders schwer zu entfernen sind, weil man die Kiemen nicht beschädigen darf. In einem Fall hatte ein Draht, der aus dem Haken ragte, die Haut ständig aufgerieben, sodass sie nicht heilen konnte. Nachdem wir den Haken entfernt hatten, heilte die Haut innerhalb einer Woche, denn Haie haben eine beeindruckende Regenerationsfähigkeit.“

Das klingt schrecklich. Kann so ein Haken auch tödliche Folgen haben?
„Ja, beispielsweise kommt es auch oft vor, dass Haken verschluckt werden. Wenn der Haken im Magen landet, kann er die Verdauung stören. Haie schlucken manchmal Salzwasser, um ihren Magen zu beruhigen. Doch der Haken kann sich durch das Salz verkalken und zu einem harten Klumpen werden, der dem Hai das Gefühl gibt, satt zu sein. Das führt zu einem Phänomen, das unfreiwillige Anorexie genannt wird. Die Haie fühlen sich voll, obwohl sie eigentlich verhungern. Es ist vergleichbar mit Vögeln, die Plastik fressen und dann verhungern, weil ihr Magen voll ist.“

Sie haben erwähnt, dass Sie die Haken ohne Werkzeuge entfernen. Erfordert das nicht sehr viel körperliche Kraft?
„Ja, manchmal schon. Ich brauche eine sehr starke Hand, um die Haken richtig zu greifen und herauszuziehen. Das erfordert bestimmte Bewegungen mit Handgelenk und Armen. Jeder Versuch dauert nur ein bis drei Sekunden, bevor der Hai wegschwimmt. Aber oft kommt er zurück und lässt mich erneut versuchen – manchmal dutzende Male. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, lasse ich ihn oft eine Woche in Ruhe, damit das Gewebe weicher wird und sich der Haken leichter entfernen lässt. Es ist eine Mischung aus Kraft, Schnelligkeit und Geduld.“

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„Haie drehen sich nicht um, um zu beißen oder sich zu wehren, wenn es weh tut“

Gibt es bei der Entfernung der Haken Reaktionen wie bei Hunden, die in Schmerzsituationen schnappen oder aggressiv werden?
„Nein, niemals. Haie drehen sich nicht um, um zu beißen oder sich zu wehren, wenn es weh tut. Sie schwimmen einfach weg und kommen zurück, wenn sie bereit sind. Es ist wirklich beeindruckend, wie einzigartig sie in dieser Hinsicht sind.“

In Ihren Videos scheint es, als würden die Haie gezielt zu Ihnen kommen. Ist das wirklich so, oder ist das eher Zufall?
„Nein, das ist kein Zufall. Besonders die Haie mit Haken im Fleisch kommen gezielt zu mir. Es gibt sogar Haie, die normalerweise nie auf meiner Seite des Riffs sind, aber extra kommen. Manche Haie kommen, lassen sich den Haken entfernen und tauchen zwei bis drei Wochen später mit einem neuen Haken wieder auf. Sobald ich den neuen Haken entferne, verschwinden sie auch wieder.“

Und welche Haiarten kommen am häufigsten?
„Ich arbeite hauptsächlich mit Karibischen Riffhaien, aber ich habe auch Haken von Ammenhaien entfernt. In anderen Gewässern habe ich auch schon Haken von Blauhaien entfernt.“

„An Feiertagen mit ruhigem Meer gibt es viele Haken“

Wie oft gehen Sie tauchen, um diese Haken zu entfernen?
„Das Entfernen der Haken ist Teil des Haitauchens. Wir tauchen entweder, um Daten zu sammeln, die Haie zu messen oder ID-Fotos zu machen, oder ich begleite Menschen, die die Interaktion mit den Haien suchen. Viele Menschen wollen den Haien unter meiner Anleitung nahekommen.“

Wie hat sich das Problem in den letzten Jahren entwickelt?
„Die Haie sind in den Bahamas seit 2011 vollständig geschützt, nachdem ich 2009 eine Kampagne gestartet hatte. Die meisten Haken stammen von Fischern, die unbeabsichtigt Haie anlocken, weil diese die kämpfenden Fische auf den Haken beißen. Manchmal gibt es aber auch Menschen, die absichtlich Haie fangen, Fotos machen und sie wieder freilassen – etwas, das ich nicht gutheiße. Die Zahl der Haken hängt von der menschlichen Aktivität ab. An Feiertagen mit ruhigem Meer gibt es viele Haken, bei schlechtem Wetter kaum, weil da niemand angeln geht. Durch Ereignisse wie Hurrikan Dorian 2019 und die Pandemie hat sich die Aktivität verringert, wodurch auch die Zahl der Hakenfälle zurückging.“

In dem Video sieht es so aus, als würden die Haie aktiv körperlichen Kontakt suchen. Zeigen sie so etwas wie Dankbarkeit?
„Ich würde nicht sagen, dass es Dankbarkeit ist. Es scheint eher Vertrauen und Behaglichkeit zu sein. Haie, denen ich Haken entfernt habe, bleiben oft in der Nähe. Manche legen ihren Kopf in meinen Schoß und lassen sich streicheln. Es ist, als ob sie sagen: ‚Du bist okay, ich kann dir vertrauen.‘ Ich versuche, menschliche Interpretationen ihres Verhaltens zu vermeiden. Aber sie zeigen definitiv keine Angst oder Ablehnung.“

Bei ihren Tauchgängen trifft Cristina Zenato häufig auf die gleichen Haie. Sie suchen oft gezielt ihre Nähe, sagt sie.
Bei ihren Tauchgängen trifft Cristina Zenato häufig auf die gleichen Haie. Sie suchen oft gezielt ihre Nähe, sagt sie. Foto: Kewin Lorenzen

„Meine Arbeit polarisiert“

Viele Menschen denken, dass Fische, einschließlich Haien, kaum Emotionen haben. Was ist Ihre Meinung dazu?
„Haie haben nicht die komplexen Emotionen, die wir Menschen haben, aber sie besitzen ein breites Spektrum an Empfindungen. Sie können sich bedroht, entspannt, vertrauensvoll oder nervös fühlen. Ihre Kommunikation ist subtil, oft durch Hormone oder minimale Bewegungen, die wir Menschen kaum wahrnehmen können. Im Vergleich zu anderen Meeresbewohnern, wie Delfinen oder Orcas, sind Haie sehr direkt. Ich liebe diese Klarheit an ihnen – ähnlich wie bei deutschen Menschen. (lacht) Man weiß immer, woran man ist. Delfine und Orcas hingegen können täuschend und launisch sein. Haie sind einfach und geradlinig.“

Gibt es Kritik an Ihrer Arbeit?
„Ja, erstaunlicherweise gibt es Kontroversen darüber, Haken zu entfernen. Manche sagen, die Haken würden von selbst rosten. Aber das ist eine Fehlannahme. Menschen, die solche Argumente vorbringen, brauchen eine Lektion in Biologie und Empathie. Ein vom Menschen eingeführtes Objekt ist kein natürlicher Bestandteil des Körpers eines Tieres, und es ist unsere Verantwortung, es zu entfernen. Ich mache niemandem Vorwürfe, sondern entferne einfach die Haken. Trotzdem löst meine Arbeit sowohl starke positive als auch negative Reaktionen aus.“

„Haie werden nicht von menschlichem Blut angezogen“

Ich nehme an, Sie bekommen oft Fragen, die Sie zum Augenrollen bringen, wie zum Beispiel, ob Haie Sie angreifen würden, wenn Sie sich beim Entfernen eines Hakens verletzen und ein Tropfen Blut ins Wasser gelangt. Wie reagieren Sie darauf?
„Ja, das ist eine der häufigsten Fragen, und ehrlich gesagt, eine der dümmsten. Aber ich verstehe, warum Menschen sie stellen. Es liegt an den Missverständnissen über Haie. Zunächst einmal: Haie werden nicht von menschlichem Blut angezogen. Dafür müssten viele andere Faktoren vorhanden sein, wie zum Beispiel bei einem großen Schiffs- oder Flugzeugunglück, wo alles Mögliche ins Wasser gelangt. Aber wenn ich mich schneide, interessiert das die Haie überhaupt nicht. Das ist übrigens auch schon passiert, dass ich mich an einem Haken verletzt habe. Einmal hatte ich sogar einen im Finger stecken.

Eine ähnliche Frage ist, ob Frauen während ihrer Periode ins Wasser gehen können. Die Antwort ist: Ja, natürlich. Haie reagieren darauf nicht. Der eigentliche Risikofaktor beim Entfernen von Haken ist, dass man sich am Haken selbst verletzt – aber nicht durch den Hai.“

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„Es gibt weltweit Hunderte Millionen Menschen, die jedes Jahr ins Wasser gehen, und nur eine Handvoll Haiunfälle“

Können Sie ein Beispiel geben, welche die größten Missverständnisse sind, die Menschen über Haie pflegen?
„Absolut. Viele denken, Haie seien aggressive Fressmaschinen, die alles und jeden angreifen. Das ist nicht wahr. Tatsächlich sind sie extrem vorsichtige Tiere. Selbst große Räuber wie der Weiße Hai beobachten ihre Beute genau, bevor sie handeln, und oft ziehen sie sich zurück, wenn sie unsicher sind. Drohnenaufnahmen zeigen regelmäßig Weiße Haie, die unter Surfbrettern oder Schwimmern vorbeiziehen, ohne auch nur ans Angreifen zu denken.“

Warum denken Sie, dass diese Missverständnisse so weit verbreitet sind?
„Die Medien tragen stark dazu bei. Sie hypen Haiangriffe so sehr, dass die Menschen glauben, sie seien allgegenwärtig, obwohl sie extrem selten sind. Es gibt weltweit Hunderte Millionen Menschen, die jedes Jahr ins Wasser gehen, und nur eine Handvoll Haiunfälle. Dennoch haben diese Missverständnisse dazu geführt, dass Menschen Haie als Monster wahrnehmen.“

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