24. Mai 2024, 6:12 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Er ist kuschelig und wärmt hervorragend an kalten Tagen: ein Pullover aus Kaschmirwolle. Doch wegen der hohen Nachfrage werden oft Tierschutzstandards in der Haltung der Tiere und der Gewinnung der Edelwolle, die von den Kaschmirziegen stammt, nicht eingehalten. PETBOOK hat nachgeforscht und erklärt, wie viel Tierleid in der Produktion von Kaschmirwolle stecken kann.
Neben Merino-, Alpaka-, Mohair-, Angora- oder Vikunjawolle wird die feine Unterwolle der Kaschmirziege als eine der edelsten Fasern weltweit geschätzt und verarbeitet. Die Tiere produzieren allerdings mit etwa 200 Gramm pro Jahr relativ wenig des feinen Materials. Für ein Kilo der Kaschmirwolle bekommen die Produzenten ca. 200 Euro. Der Endverbraucher muss für einen Pulli oder eine Jacke aus reinem Kaschmir bis zu 500 Euro auf den Tisch legen.
Um den Gewinn zu maximieren, werden die Herden in der Mongolei und in China immer größer, und Hersteller sparen bei den Haltungsbedingungen. Die Leidtragenden sind in diesem System wie so oft die Tiere. Vielen Käufern ist dies bewusst und sie achten auf die Haltung der Ziegen und die Herkunft der Wolle. Gütesiegel und Zertifikate versprechen, das zu überprüfen und garantieren das Tierwohl. Aber kann der Verbraucher diesen Angaben auch trauen? Wer weiß schon genau, was sich in entlegenen Farmen in der Mongolei oder in China wirklich abspielt?
Die Kaschmirziege
Die mittelgroße Ziege stammt ursprünglich aus dem Hochgebirge Zentralasiens. Besonders markant sind ihre Schlappohren und die nach außen drehenden Hörner bei Böcken sowie die kleinen, sichelförmigen Hörner bei weiblichen Ziegen.
Ihre Fellfarbe kann grau, braun, schwarz oder gescheckt sein. Bei der Wollgewinnung wird weißes Fell bevorzugt, da es beliebig eingefärbt werden kann. Das Deckhaar ist lang und grob, doch darunter befindet sich die feine Unterwolle, die als Einzige zur Wollgewinnung genutzt wird. Dank dieser Wolle ist die Ziege bei extremen Wetterverhältnissen gut geschützt.
Früher galt die Ziege als die „Kuh des kleinen Mannes“. Das relativ anspruchslose und robuste Tier wird in ursprünglichen, kargen Gegenden gerne wegen der Milch und ihrem Fleisch gehalten, aber auch Haut, Hörner und Fell verarbeitet man.1
Darum ist die Wolle der Kaschmirziege so beliebt
Ihre Wolle wärmt um das Sechsfache besser als Schafwolle. Kommen die Fasern mit Feuchtigkeit in Kontakt, saugen sie diese schnell auf und leiten sie nach außen ab. Kaschmir ist sowohl schmutz- als auch wasserabweisend und nimmt kaum Gerüche auf. Das weiche Gefühl auf der Haut entsteht durch die Feinheit der Fasern, deren Durchmesser 19 Mikron nicht überschreitet. (1000 Mikron = ein Millimeter)2
Wie die Wolle der Kaschmirziege gewonnen wird
In den meisten der weltweiten Zuchten, mit ca. 190 Millionen Ziegen, beginnt man im Frühjahr die Tiere auszukämmen oder zu scheren. Manche Züchter wiederholen die Prozedur mehrmals pro Jahr.
Das Auskämmen mit einem langzackigen Metallkamm ist aufwendig und kann schmerzhaft sein, wenn die Wolle verfilzt ist. Dies kann zu Verletzungen führen, wie auch das Scheren. Die Arbeiter sind angehalten, schnell zu arbeiten, wenn das Tier aber nicht ordentlich fixiert ist und zappelt, kann die Schermaschine oder die Schere der Ziege schlimme und tiefe Wunden zufügen.
Die Tierschutzorganisation PETA klagt dies an und bemängelt, dass die Tiere in diesem Fall keine Schmerzmittel bekommen. Zudem werden ausrangierte Ziegen, die nicht mehr profitabel sind, ohne Betäubung geschlachtet. Viele Mode-Labels wie Tom Tailor, Bonita, Ulla Popken und Cecil produzieren deshalb keine Produkte wie Pullis, Jacken, Mützen, Schals oder Decken aus Kaschmir.3
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Wie sicher sind Tierwohl-Siegel?
Laut der Tierschutzorganisation PETA entwickelten mehrere Modeunternehmen nach einer Video-Enthüllung von PETA Asien 2019 das Zertifikat „The Good Cashmere Standard“. Daneben setzen sie auch verstärkt auf bereits bestehende Zertifizierungen der Sustainable Fibre Alliance (SFA).
Diese Zertifizierungen versprechen den Verbrauchern, dass die Wolle nachhaltig produziert wird und kein Tier unter den Produktionsbedingungen leiden muss. Doch PETA Asien hat 2022 erneut recherchiert und bestätigt, dass Kaschmirziegen noch immer in der Kaschmirindustrie misshandelt werden, denn die Betriebe werden nach wie vor kaum kontrolliert.4
Der Betrieb in folgendem Video ist z.B. SFA zertifiziert, dennoch herrschen dort weiterhin schlimme Zustände: Manche Mode-Labels wie Chanel setzen deshalb auf eine Produktion in Europa, z.B. in Schottland, wo die Herstellung besser überwacht werden kann.
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Wie die Kaschmirziege nach Europa kam
Anfang des 19. Jahrhunderts sollte in Frankreich die erste Kaschmirziegenzucht aufgemacht werden. Die lange und beschwerliche Reise überlebten angeblich nur 430 der rund 1300 Tiere. Kaschmirziegen fanden ihren Weg aber auch nach Australien, Neuseeland und in den Iran.5