6. Februar 2024, 12:00 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Am 6. Februar 2023 trafen schwere Erdbeben Syrien und den Osten der Türkei und brachten auch zahllosen Tieren den Tod. Gemeinsam mit der Organisation „House of Cats Ernesto“ leistete die Welttierschutzgesellschaft in den betroffenen Gebieten vor Ort Hilfe und rettete tausenden Tieren das Leben. Ein Jahr nach der Katastrophe ziehen die Tierschützer Bilanz und schildern ihren Blick auf diese aufwühlende Zeit.
Im Februar trafen Syrien und die Türkei die schwersten Erdbeben seit 1939. Tausende von Menschen und Tieren starben. Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) unterstützte als einzige Organisation die Tierrettung in den betroffenen Gebieten vor Ort in Syrien (PETBOOK berichtete). Ein Jahr nach der Katastrophe ziehen die Tierschützer Bilanz und schildern ihren Blick auf diese aufwühlende Zeit. PETBOOK wollte vor allem wissen, welche Folgen die Erdbeben auch heute noch für die Tiere in Syrien haben.
Mehr als 1300 Tiere gerettet
Nahezu täglich rückten Helferinnen und Helfer nach den Erdbeben in Syrien aus, um Tiere in den Trümmern zu suchen und vor Ort gesundheitlich zu versorgen. „Unsere Partnerorganisation ‚House of Cats Ernesto‘ war ja mit unserer Unterstützung seit dem Tag des Bebens in der betroffenen Region mehr als ein halbes Jahr lang im Einsatz“, berichtet Christoph May, Pressesprecher der WTG, gegenüber PETBOOK.
Insgesamt wurden mehr als 1300 Tiere gerettet. Darunter Katzen, Hunde, Esel, Rinder und weitere Tiere, die von den Folgen der Katastrophe unmittelbar betroffen waren. Zudem wurden fast 2000 Kilogramm Tierfutter verteilt.
Erinnerungen an die Tierrettung nach dem Erbeben
Bereits am Morgen nach dem Erdbeben begannen die Helferinnen und Helfer in Syrien mit der Bergung der ersten Tiere. Das Team um Tierarzt Dr. Mohammad Youssef rettete verschüttete Tiere aus den Trümmern, versorgte hilfsbedürftige und verletzte Tiere und nahm sie bei Bedarf in ihre sichere Obhut.
„Das Erdbeben betraf ein riesiges Gebiet“, erinnert sich der Veterinär zurück. „Viele der am schlimmsten betroffenen Orte waren sehr weit von uns entfernt. Der Weg dorthin war mühsam, zum Teil war die Arbeit auch wirklich gefährlich und schwierig wegen der Schäden an den Straßen, der Zerstörung der Häuser und der schieren Anzahl der betroffenen Tiere.“
Viele Tiere waren bis zur Genesung auf wochenlange Versorgung angewiesen
Die ersten Tage nach dem Beben konzentrierte sich der Einsatz ganz auf die Rettung von Tieren, die unter den Trümmern gefangen waren oder sich – verängstigt von den anhaltenden Nachbeben – darunter versteckten und somit in Lebensgefahr brachten.
„Eine der größten Schwierigkeiten war die enorme Zahl der betroffenen Tiere“, erzählt Dr. Ahmed Al Yousef. „Wir benötigten eine große Menge an Medikamenten und viele Tiere waren bis zur Genesung auf wochenlange Versorgung angewiesen. Die Aufgabe war für uns fast überwältigend – selbst die Werkzeuge, die wir hatten, reichten zunächst nicht für die Aufgaben aus.“
Auch Mohammad Wattar, Mitarbeiter der Organisation House of Cats of Ernesto erinnert sich: „Wir mussten lernen, mit der Lage umzugehen. Nach den vielen Kriegsjahren kannten wir einzelne Viertel, die in Schutt und Asche lagen. Aber die Schäden, die die Erdbeben verursacht hatten, waren so weitreichend und auf viele Gebiete verteilt. Wir mussten daher schnell sein und von einem Gebiet zum nächsten ziehen, um so viele bedürftige Tiere wie möglich zu versorgen.“
Viele Tiere litten unter Hämatomen und Quetschwunden
Mehrere dutzend Hunde und Katzen konnten dank des schnellen Einsatzes gerettet werden. Viele von ihnen hatten schwere Hämatome oder Quetschwunden und wurden zur Behandlung in eine stationäre Klinik gebracht.
„Auch die Weißhelme waren da, um den menschlichen Opfern zu helfen“, erinnert sich Dr. Ahmed Al Yousef an die Zusammenarbeit mit dem syrischen Zivilschutz zurück. „Sie informierten uns über Tiere, die sie gesehen hatten, und wir berichteten ihnen im Gegenzug, wenn wir auf menschliche Körper stießen.“
Tierschützer und Helfer Kamal Issa ist ein Tier besonders in Erinnerung geblieben: „Ich kann eine Katze nicht vergessen, die unter einem zerstörten Haus war. Als ich sie erreichte, atmete sie kaum noch. Ich habe mich dann mit all meiner Kraft bemüht, sie zu befreien. Ich war so froh, dass ich ihr eine zweite Chance im Leben geben konnte – aber leider sah ich auch viele tote Tiere, die unter den Trümmern umgekommen waren. Das hat mich sehr berührt.“
Diese Auswirkungen hatte das Beben auf die Tiere
Auch Abd Alrazaq Janderma half damals bei der Bergung der Tiere nach dem Erdbeben in Syrien mit. Zwar konnten die Wunden von Katzen, Hunden und Nutztieren meist medizinisch versorgt werden. Die Naturkatastrophe hatte für viele aber langfristige Folgen: „Alle Tiere waren von den Erdbeben enorm verschreckt. Viele tragen diese Angst noch immer in sich. Besonders schlimm war es bei den Nachbeben. Viele werden ihr gesamtes Leben von diesen seelischen Wunden gezeichnet sein.“
Zudem haben viele Tiere ihre Halter und ihr Zuhause verloren, sagt Mohammad Wattar. „Überlebende Menschen mussten an Orte ziehen, die für ihre Tiere ungeeignet sind – etwa für Nutztiere wie Esel und Ziegen.“ Zwar bauten ihnen die Menschen neue Unterstände, aber die entsprachen wegen fehlender finanzieller Möglichkeiten oft nicht den Bedürfnissen der Tiere. Das betraf vor allem diejenigen, die in Flüchtlingslager umziehen mussten.
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Einige Tiere haben bis heute Angstzustände
„Hinzu kommt, dass die Tiere, die in den Trümmern zum Beispiel Pfoten oder ein Auge verloren haben, für immer von der Katastrophe gezeichnet sein werden und ein schweres Leben dadurch haben“, fügt Mohammad Wattar hinzu. „Einige Tiere leiden seitdem auch unter Krankheiten wie Diabetes oder haben bis heute Angstzustände.“
Zwar bleibt die Situation in Syrien angesichts andauernder Kriegshandlungen, Krankheitsausbrüchen und Naturkatastrophen weiterhin schwierig. Die Einsätze waren insgesamt aber ein Erfolg. „Die Nothilfe nach dem Erdbeben hat viel zur stärkeren Wahrnehmung unserer Arbeit vor Ort beigetragen“, zieht Dr. Youssef, leitender Tierarzt der Aktion, Bilanz. „Die Menschen kennen uns mittlerweile und wissen, dass hinter dem Namen ‚House of Cats Ernesto‘ ein starkes Team steckt, das Tiere rettet und professionell behandelt. Menschen, die nichts von uns wussten, haben nun Kenntnis davon, wo sie uns finden und was wir tun, weil wir im gesamten Gebiet von Idlib nach den Erdbeben Tiere gerettet haben.“