25. September 2024, 19:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
In wenigen Monaten soll Deutschland ein generalüberholtes, neues Tierschutzgesetz bekommen. Doch wie viel Neues und wie viel Schutz enthält es wirklich? Vertreter von Tierschutzorganisationen übten bei einer gemeinsamen Pressekonferenz harte Kritik und sehen sogar verfassungswidrige Praktiken in der Novelle.
Am 26. September soll der nächste Schritt gegangen werden, Deutschland ein neues Tierschutzgesetz zu geben: Die Novellierung geht in den Bundestag. Was an sich erstmal nach Verbesserungen klingt, geht Tierschützern jedoch nicht weit genug. Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form sei laut neun Tierschutzorganisationen nicht nur unzureichend, sondern teils sogar verfassungswidrig, wie sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz berichten. PETBOOK legt die Positionen und Forderungen der Tierschützer dar.
Tierschutzbund-Präsident: „Ein umfassendes Tierschutzgesetz zu haben, ist überfällig“
Eine Stunde lang stellten sich Vertreter von Tierschutzorganisation des Deutschen Tierschutzbundes, ProVieh, Vier Pfoten, des Tierschutznetzwerks „Kräfte bündeln“ und weiteren Tierschutzorganisationen den Fragen von Medienvertretern und legten ihre Positionen dar. Eingangs fand Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, sehr eindrückliche Worte für die aktuelle Situation. „Ein umfassendes Tierschutzgesetz zu haben, ist überfällig – eines, das den Schutz der Tiere in den Mittelpunkt stellt und nicht den Nutzen der Tiere für den Menschen.“
Leider gebe es bisher keine echte Tierschutzpolitik der aktuellen Regierung. „Der Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes aus dem Hause Özdemir weist massive Lücken auf. Es wurde nicht vom Staatsziel Tierschutz geleitet, sondern fokussiert sich erneut darauf, wie der Nutzen des Tieres für den Menschen geregelt werden kann, ohne grundlegende Verbesserungen für die Tiere zu erzielen. Es wird vieles beim Alten bleiben.“
Ähnlich äußerte sich auch Claudia Lotz, 1. Vorsitzende vom Bundesverband Tierschutz. Sie wünschte sich generell einen anderen Standpunkt, was Tiere betrifft. Denn seit 2002 ist das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz verankert. „Wir sitzen jetzt hier und kämpfen um Details. Warum gehen wir mit Tieren noch so um? Warum denken wir das Ganze nicht ganz anders?“ Denn solange der Umgang mit Tieren keinen ethischen oder moralischen Grundsätzen folge, könne die Arbeit an einem Tierschutzgesetz nur Flickwerk sein und bestehende Verhältnisse zementieren.
Zu lange Übergangsfristen
Zwar begrüßten die Tierschützer die Präzisierung der Qualzucht im Bereich der Heimtierhaltung, allerdings kritisierte Thomas Schröder die lange Dauer der Rückzüchtungspläne.
Denn laut dem aktuellen Gesetzesentwurf ist eine Übergangsfrist von 15 Jahren vorgesehen, in denen Mops, Französische Bulldogge und viele weitere Rassen weiterhin mit Merkmalen gezüchtet werden, unter denen sie massiv leiden. „Was bedeutet, dass weiterhin Tausende Tiere mit Leiden geboren werden. Das zeigt, dass der Schutz der Tiere nicht konsequent genug umgesetzt wird“, so Schröder weiter.
Die Tierschützer sprachen außerdem darüber, dass nach wie vor wichtige Aspekte in der Novellierung keine Beachtung fänden. Explizite Verbote für Tierversuche, obwohl durch EU-Recht vorgeschrieben, fehlten weiterhin. Auch die Kastrationspflicht für Freigängerkatzen sei nach wie vor nicht enthalten. Obwohl die Tierheime überfüllt seien, weil sich verwilderte Katzen unkontrolliert vermehrten.
Anbindehaltung dauerhaft erlauben? Nicht mit den Tierschützern!
„Es gibt zwar nun eine Pflicht zur Kennzeichnung und Registrierung von Katzen und Hunden, aber die Umsetzung wird den Ländern überlassen. Das führt zu einem Flickenteppich an Regelungen, da der Bund hier keine Verantwortung übernimmt“, ordnet Schröder die geplante Novellierung weiter ein.
Insgesamt blieben auch viele weitere Lücken im Tierschutz bestehen, obwohl im Koalitionsvertrag versprochen wurde, diese zu schließen. „Wichtige Themen wie Tiertransporte in Drittstaaten oder die Anbindehaltung sind im Entwurf völlig unzureichend geregelt“ mahnen die Tierschützer.
Diese Haltungsform von Kühen erklärte Schröder in seinem Statement „als Straftat nach dem Tierschutzgesetz“. Laut dem jetzigen Entwurf sie soll sogar noch zehn Jahre lang ganzjährig erlaubt bleiben, in manchen Fällen in Kleinbetrieben sogar dauerhaft.1
„Wo die Politik nicht selbstständig kann, müssen Gerichte sie bewegen“
Besonders dieser Punkt sorgte bei den Tierschützern für harsche Kritik. Allerdings würden sie auch alles daransetzen, dass das Gesetz noch einmal verbessert werde, wie Femke Hustert von Vier Pfoten betont. Zudem denke sie, man könne froh sein, wenn das neue Tierschutzgesetz überhaupt komme. „Denn in einer neuen Legislaturperiode wissen wir nicht, ob wir mit einem besseren Entwurf rechnen können.“
Doch Thomas Schröder sagte auch klar, dass wenn das Gesetz so beschlossen werden würde, wie es gerade auf dem Tisch läge, die Tierschutzverbände unzufrieden seien. Besonders das Thema der Anbindehaltung bewegte die Gemüter weiter. Sie könnten dann gar nicht anders „als über Strafanzeigen gegen Landwirte, die sie praktizieren, etwas zu bewegen“, mahnte er an. „Weil offenbar die Politik selbstständig nicht kann, müssen Gerichte sie bewegen. Was ist das Tierschutzgesetz wert, was ist das Staatsziel wert und wo muss dann die nächste Regierung aufgrund von Gerichtsurteilen das Gesetz verbessern?“
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Auch Ariane Kari, die erste Bundestierschutzbeauftragte, bemängelte, dass das Tierschutzgesetz „stiefmütterlich“ behandelt worden sei. Es sei an der Zeit, dass wir bessere Bedingungen für Tiere, unsere Mitgeschöpfe in Deutschland, schufen. „Überall besteht noch enormer Nachbesserungsbedarf, damit diese Novelle nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein wird.“
Doch auf die Frage hin, was sich die Tierschützer sich in Bezug auf das alte und neue Tierschutzgesetz wünschten, antwortete Dr. Claudia Preuß-Ueberschär vom Tierschutznetzwerk „Kräfte bündeln“: „Irgendwo ist es ja die Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Also wenn wir das Gesetz nicht kriegen, dann bleibt alles wie es ist. Und damit sind wir auch nicht zufrieden. Und wenn wir es kriegen, auch nicht.“ Aber in jedem Fall sei es so, dass das Tierschutzgesetz dann die nächsten zwanzig Jahre nicht wieder angepasst werde.
Daher bekräftigten die Vertreter deutscher Tierschutzorganisationen, weiter im Gesetzgebungsverfahren für ihre Forderungen zu kämpfen. Diese sind unter anderem:
- wirtschaftliche Interessen legitimieren kein Tierleid (Anbindehaltung, Kupieren von Schwänzen, etc.)
- Pflicht zur Erlaubnis von Züchtung und Haltung von Tieren sowie regelmäßige Fortbildungen
- Kürzung von überlangen Übergangsfristen von 10 bzw. 15 Jahren
- Verbot der Anbindehaltung (ganzjährig und saisonal)
- Videoüberwachung in jedem Schlachthof
- Vollzugsfähiges Verbot von Qualzuchten bei allen Tieren
- Kastrationspflicht für Freigängerkatzen
- Sachkundenachweis vor Anschaffung eines Tiers
- Verpflichtende Indentifikationsnachweise für den Online-Handel