12. Dezember 2024, 17:59 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Jedes Jahr im Dezember gibt das Bundesinstitut für Risikoforschung Zahlen darüber heraus, wie viele Versuchstiere in Deutschland verwendet wurden. Man spricht für 2023 von einem neuen Tiefststand bei einigen Tierversuchen – Tierschützer widersprechen.
In Deutschland wurden im Jahr 2023 wieder viele Tierversuche durchgeführt. Insgesamt umfasst die Statistik 2.128.520 Tiere, die das Labor lebend erreichten – und 1.373.173, die für die Wissenschaft gezüchtet, aber nie „verwendet“ wurden. Diese Daten erhebt das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) seit 2020. Zuvor war das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für die Erhebung der Zahlen zuständig.
Beide Instituten sprachen von einem signifikanten Rückgang der Tierversuche oder gar von einem „historischen Tiefststand“. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, findet jedoch, dass es immer noch 3.501.693 Tiere zu viel sind und die Ausstiegsstrategie aus Versuchen der nächste Schritt sein müsste.
„Historischer Tiefststand bei schwer belastenden Versuchen“
Die Statistik der im Labor genutzten Tiere umfasst eine Zahl von 2.128.520. Davon wurden 1,46 Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke und Experimente genutzt, 670.000 weitere dafür sogar getötet. Diese dienten vor allem der Organforschung.
Bei 80 Prozent der verwendeten Versuchstiere handelte es sich laut den Daten um Nagetiere (73 Prozent Mäuse, 7 Prozent Ratten). 11 Prozent waren Fische, 4,6 Prozent Kaninchen und 1,4 Prozent Vögel. Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) lag ein Hauptaugenmerk bei der Erforschung von Krankheiten auf Krebsleiden. Hier wurden 39 Prozent der Versuchstiere im Bereich der angewandten Forschung eingesetzt.
Das zuständige Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) spricht von einem Abwärtstrend, der sich immer schneller fortsetze. Demnach wurden 15,6 Prozent weniger Tiere als noch 2022 in deutschen Forschungslaboren eingesetzt. Insgesamt betrifft dies 270.000 Tiere in Experimenten als im Vorjahr und 400.000 weniger „nicht verwendete“ Tiere. „Der Rückgang an Tierversuchen betrifft fast alle Bereiche, so die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung“, sagt BfR-Präsident Professor Andreas Hensel. „Bemerkenswert ist insbesondere ein historischer Tiefststand bei schwer belastenden Versuchen.“
1,3 Millionen Tiere gezüchtet und „nicht verwendet“
Allerdings starben 2023 auch 1,37 Millionen Tiere, die zwar für die Wissenschaft gezüchtet – und teils sogar genetisch verändert wurden – und nie für Tierversuche eingesetzt wurden. Die Tiere, die letztendlich in Experimenten genutzt wurden, wurden in folgenden Bereichen eingesetzt:
- 59 Prozent der Tiere in Grundlagenforschung
- 14 Prozent in der Einwicklung neuer Therapien und Medikamente
- 17 Prozent in der Qualitätskontrolle medizinischer Produkte und Sicherheitsprüfung chemischer Substanzen
- 6 Prozent für Erhaltung genetisch veränderlicher Population
- 4 Prozent Aus-, Fort- und Weiterbildung, sowie Umwelt und Artenschutz
Das BMEL berichtet, dass 64 Prozent für die Tiere als gering belastend eingeschätzt wurden. Mittlere oder schwere Belastungen hätte es bei Tierversuchen 2023 noch in 27,5 beziehungsweise 3,5 Prozent der Tests gegeben. Zusätzlich wurden 11 Prozent der Tiere in der Grundlagenforschung zur Entstehung von Krebs verwendet. Andere vorrangige Zwecke waren die Untersuchung des Immun- und des Nervensystems und ihrer Erkrankungen sowie Infektionen.
22 Prozent weniger „überzählige“ Versuchstiere
Seit 2021 gibt das BfR auch die Zahl der Tiere aus, die für Forschungszwecke gezüchtet, letztlich aber nicht genutzt wurden. Diese „überzähligen“ Tiere werden dann getötet. 2023 schrumpfte diese Zahl um 22 Prozent und umfasst nun 1,37 Millionen Tiere. Insgesamt waren dies 400.000 weniger als 2022. Insbesondere Mäuse und Fische waren betroffen. Diese entstanden bei der Zucht von genetisch veränderten Versuchstieren.
Seit 2021 wird auch erfasst, ob Tiere nur einmal oder mehrmals für Versuche genutzt werden. 31.714 von ihnen wurden 2023 mehrfach für Tierversuche eingesetzt, dies entspricht etwa 6000 Tieren mehr als 2022. Ebenso lässt sich den Daten entnehmen, das 38 Prozent der im Labor verwendeten Kaninchen, 25 Prozent der Schweine und 23 Prozent der Kopffüßer die Experimente nicht überlebten. Genetisch veränderte Tiere fanden sich vor allem bei Zebrafischen (66 Prozent), Mäusen (48 Prozent) und Frettchen (23 Prozent).
„50.741 Tiere erlitten den höchsten Grad an Schmerzen, Leiden oder Schäden“
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft beteuert in der Pressemitteilung, dass Tierschutz eine Aufgabe sei, die uns alle angehe. Das Rekordtief an Versuchstieren in der Forschung sei eine gute Nachricht aus der Wissenschaft. „Das zeigt, dass Alternativmethoden und der verantwortungsvolle Umgang mit Versuchstieren immer weiter an Bedeutung gewinnen.“
Doch für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, geht das nicht weit genug. „Noch immer sind es 3.501.693 Tiere zu viel, die im Namen der Wissenschaft genutzt und getötet werden. Der Großteil davon musste für die reine Grundlagenforschung herhalten, ohne konkreten oder absehbaren Nutzen der Versuchsergebnisse. Insgesamt 50.741 Tiere erlitten in den Versuchen den höchsten Grad an Schmerzen, Leiden oder Schäden“, kommentiert Schröder.
Ein Beispiel für sei ein Tod durch Ersticken nach der Injektion von Giftstoffen. „Erschreckend bleibt, dass deutschlandweit immer noch 1.373.173 sogenannter Überschusstiere zwar für die Wissenschaft gezüchtet, letztlich aber als überzählig getötet wurden.“ Schröder ordnet jedoch der Rückgang der Versuchstierzahlen als ersten Schritt in die richtige Richtung ein.
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Özdemir: »Muss Ansporn sein, die Zahl der Tierversuche noch weiter zu reduzieren
„Ein zügiger Beschluss der geplanten Reduktionsstrategie ist nun umso wichtiger, damit die Zahlen durch effektive und konkrete Maßnahmen nachhaltig sinken können“, so Schröder weiter. Allerdings sei es mit einer Verringerung der Zahlen ist jedoch nicht getan; es brauche eine Strategie zum Ausstieg aus Tierversuchen. „Diese muss als nächster Schritt folgen, um auf eine tierversuchsfreie Wissenschaft umzustellen. Entscheidend hierfür wird sein, die Vergabe von Fördergeldern umzustrukturieren, um die weitere Entwicklung tierversuchsfreier Methoden mit höchster Priorität voranzutreiben.“
Ähnlich argumentiert auch Özdemir. Es sei ein wichtiger Schritt hin zu einer ethischeren und nachhaltigeren Wissenschaft und müsse zugleich Ansporn sein, die Zahl der Tierversuche noch weiter zu reduzieren. „Um eine tierversuchsfreie Wissenschaft stärker zu fördern, machen wir unseren Tierschutzforschungspreis ab dem kommenden Jahr durch ein höheres Preisgeld noch attraktiver“, so der Minister abschließend.