4. Oktober 2024, 16:09 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Am 4. Oktober ist Welttierschutztag. Doch warum brauchen wir einen speziellen Tag, um uns daran zu erinnern, dass Tiere ein Anrecht auf Schutz und Wohlbefinden haben? Sollte das nicht eigentlich jeden einzelnen Tag klar sein? Dass dieser Tag nach wie vor wichtig ist, liegt für PETBOOK-Redakteurin Louisa Stoeffler auf der Hand.
Zum mittlerweile 99. Mal jährt sich 2024 der Welttierschutztag. Denn auch nach fast einhundert Jahren leiden immer noch zu viele Tiere weltweit unter unsachgemäßer Haltung oder unzureichendem Schutz. Das Leid von streunenden Haustieren wird oft übersehen und Nutztiere nicht tierfreundlich gehalten. Auch das neue Tierschutzgesetz, dass noch dieses Jahr verabschiedet werden soll, geht nicht weit genug.
Denn nach fast 100 Jahren Tierschutz sollten wir uns andere moralische und ethische Fragen stellen als: „Hat das Schwein ein Anrecht auf 20 Prozent mehr Platz im Stall?“ An diesem Welttierschutztag müssen wir endlich größer denken, unsere Verantwortung gegenüber unseren Mitgeschöpfen annehmen und uns nicht in Detailfragen verlieren.
Neues Tierschutzgesetz greift zu kurz
Wenn man sich einmal das Tierschutzgesetz aufruft, steht ganz oben das Ausfertigungsdatum: 24.07.1972. Einerseits ist dieses Datum schön, denn es zeigt, dass seit es seit über fünfzig Jahren existiert. Allerdings regt dies auch zum Nachdenken an. Denn auch wenn einige Sätze angepasst und Worte in einigen Regelungen hinzugefügt wurden, heißt es doch, dass in diesem Gesetz auch sehr lange fundamental nichts geschehen ist.
Dies soll sich mit der Novelle des Gesetzes nun ändern. Allerdings verändert auch dies nicht die Ausgangslage. Als Beispiel hierfür soll die Anbindehaltung von Rindern dienen. Diese ist laut einem Amtsblatt der Europäischen Union seit 2008 als tierschutzwidrig eingestuft.1 Seit 2023 ist die Anbindehaltung nach einer Studie der Europäischen Behörden für Lebensmittelsicherheit und einem entsprechenden Beschluss der EU-Öko-Basisverordnung verboten. 2
Sollen Tiere noch einmal 100 Jahre leiden müssen?
Und das sollte sie auch sein. Stellen sie sich einmal vor, eine ihrer Gliedmaßen würde das ganze Jahr über in einer unnatürlichen Haltung nach oben angebunden werden, damit sie sich nicht bewegen können. Das dies ethisch und moralisch nicht vertretbar ist, sollte jedem klar sein. Und doch ist die Übergangsfrist von zehn Jahren, die diese tierschutzwidrige Haltung erlaubt, mit dem neuen Gesetzesvorschlag noch weiter aufgeweicht worden.
Ähnlich sieht es auch Karina Omelyanovskaya, Kampagnenverantwortliche bei Vier Pfoten. „Wer sich heute den sogenannten ‚Tierschutz‘ in Deutschland genauer anschaut, stellt entsetzt fest, dass Tiere noch immer unter diesem Etikett für die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen der Menschen ausgebeutet werden.“
„Uns allen sollte bewusst sein, dass Tierschutz nicht bedeutet, fühlende Lebewesen marginal weniger zu quälen, sondern dass Tierschutz dafür stehen sollte, den uns ausgelieferten Tieren mit Mitgefühl und Respekt zu begegnen. Für einen richtigen Tierschutz müssen wir noch einen sehr weiten Weg gehen“, sagt Omelyanovska in einer Pressemitteilung.
In puncto Anbindehaltung wird gar von einer „dramatischen Zäsur für die Rinderhaltung“ gesprochen. Also soll für Kleinbetriebe mit weniger als 50 Tieren diese Haltungsform dauerhaft erlaubt werden? Scheinbar ja, wenn sich beim Tierschutzgesetz nicht noch etwas tut. Die Anbindehaltung sei ein Auslaufmodell, heißt es von mancher Stelle. Man baue ja gar keine Ställe dieser Art mehr, von anderer. Doch wie lange muss dieses tierquälerische Auslaufmodell noch bleiben? Etwa nun nochmal 15 Jahre, durchschnittlich noch drei Milchkuhleben lang? Oder gar noch einmal 100 Jahre?
Welttierschutztag geht auf Schutzheiligen der Tiere zurück
Denn bereits 1924 setzte sich Heinrich Zimmermann, Hundewissenschaftler und späterer Chefredakteur der Zeitschrift „Mensch und Hund“ für einen internationalen Tag für Tierschutz ein. Dieser wird seit 1925 in Deutschland gefeiert und international auch seit 1931 begangen.
Wirkliche große Erfolge und ein Umdenken ließen jedoch lange auf sich warten. Bleiben wir einmal bei Nutztieren. Seit 2022 ist das Kükentöten in der Eierwirtschaft verboten. Wie Recherchen der Animal Society jedoch 2023 aufzeigen konnten, haben die „geretteten“ männlichen Küken durch die Pflicht zur Aufzucht kein gutes Leben (PETBOOK berichtete). So entstand ein neuer „Trend“ in der Massentierhaltung. 45 Millionen männliche Küken müssen nun versorgt werden. In vielen Fällen so kostengünstig und platzsparend wie möglich. Wer glaubte, den sogenannten Bruderhähnen würde es dabei gut gehen, der irrt gewaltig.
Lebenslange Verpflichtung an das Haustier
Doch auch, wenn man sich bei unseren geliebten Haustieren umschaut, bleibt dieser Tag notwendig. Wie der Deutsche Tierschutzbund bereits 2023 mit dem ersten großen Katzenschutzreport zeigen konnte, leben bei Weitem nicht alle Katzen beschützt und behütet bei ihren Haltern (PETBOOK berichtete). 15 Prozent der Streuner wurden laut den Daten der Tierschützer ertränkt. 10 Prozent der ausgesetzten Katzen erschlagen.
Wer sich für ein Haustier entscheidet, der sollte sich allerdings bewusst machen, dass man sich ein Leben lang um das Tier kümmern sollte. Doch noch immer werden die Bedürfnisse der Tiere und auch die entstehenden Kosten laut dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe e. V. unterschätzt. „Ein tierischer Zuwachs verändert das Leben stark, und zwar mindestens ein Tierleben lang“, macht Norbert Holthenrich, Präsident des ZZF, in einer Pressemitteilung deutlich. „Wir raten daher zur überlegten und geplanten Anschaffung von Heimtieren.“ Zudem empfiehlt der Verband den Besuch in einem Tierheim und eine zweite Chance. Besonders für Hund und Katze.
Denn viele Tiere sind ohne ihr eigenes Zutun im Tierheim gelandet. Einfach, weil sie nicht mehr zur Lebenssituation von Haltern passten. Oder weil die Gebühren beim Tierarzt zu teuer waren. Oder auch, weil sich die Elterntiere unkontrolliert vermehrten. Insbesondere junge Katzen müssen dann einen Sozialisierungsprozess durchlaufen, damit sie den Kontakt zu Menschen erlauben und nicht verwildern (PETBOOK berichtete). Denn Hund und Katze, aber auch Tauben sind allesamt Haustiere, die etwas Besseres verdient haben, als auf der Straße zu leben.
Das Axolotl hol’ ich ins Aquarium, nach der Taube trete ich!
Zudem mahnt der ZZF anlässlich des Welttierschutztages auch vor unüberlegtem Anschaffen von Tieren mit speziellen Bedürfnissen. Gerade, wenn es sich um Tiere dreht, die nicht zu den klassisch domestizierten Haustieren gehört, gibt es oft noch Nachholbedarf in der Haltung. Eine ausführliche Beratung, die über die Bedürfnisse der Tiere aufklärt, gehöre daher vor der Anschaffung unbedingt dazu.
Und jetzt frage ich: Warum muss ich denn eigentlich einen Kronengecko oder ein Axolotl in meinem Zuhause halten? Diese Tiere sind in der Natur vom Aussterben bedroht, leben in winzigen Populationen in nur einem ganz speziellen Gebiet auf der anderen Seite des Erdballs. Dient all das wirklich dem Artenschutz, wenn diese Tiere in Gefangenschaft gehalten und einzig für den Heimtiermarkt gezüchtet werden?
Gleichzeitig sehe ich, wie Mütter ihre kleinen Kinder fröhlich anfeuern, nach einem Schwarm Tauben zu treten und sie zu scheuchen. „Das ist lustig, die übertragen ja sonst nur Krankheiten. Die Tauben haben hier nichts zu suchen.“ Doch, haben sie. Denn sie – im Gegensatz zu Exoten – sind Haustiere. Um die sich nur niemand mehr kümmern will. Die einen angezüchteten Reproduktionsdrang haben, sich unkontrolliert vermehren und vor unseren Augen gequält, erwürgt oder verhungern gelassen werden. Wir treten also den Tierschutz und unsere Verantwortung für andere Lebewesen buchstäblich und weiterhin mit Füßen.
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»Die letzten Jahre waren für internationale Tierschutzarbeit enorm herausfordernd
Jetzt wird es sicherlich noch immer Menschen geben, die fragen: „Haben wir nicht im Moment andere Probleme?“ Ja, die haben wir. Und auch gerade die Krisen der letzten Jahre haben den praktischen Tierschutz mitgenommen. „Die vergangenen Jahre waren mit Corona-Pandemie, globaler Inflation und den wachsenden Folgen der Klimakrise für die internationale Tierschutzarbeit enorm herausfordernd“, schätzt Christoph May von der Welttierschutzgesellschaft die Lage für PETBOOK ein.
Als Beispiel: Die Lage der Ukraine ist und bleibt prekär. Menschen müssen evakuiert werden, ihre Heimat verlassen. Und an was denken sie währenddessen? An ihre Tiere, die sie nicht mitnehmen konnten und die von mutigen Menschen und vom Militär gerettet werden, wenn es noch geht (PETBOOK berichtete). Denn genau das ist der Punkt: Wir haben Probleme und Krisen auf der Welt. Nicht nur wir Menschen, sondern auch die Tiere, die wir zu uns geholt haben. Und die Tiere, deren Lebensraum von anderen Menschen zerbombt wird. Eine Verantwortung, der wir uns bewusst sein sollten.
„Der Welttierschutztag ist eine wichtige Gelegenheit, um auf Tierschutzproblematiken hinzuweisen und Verbesserungen im Sinne der Tiere einzufordern. Gerade angesichts der zahlreichen Krisen unserer Zeit – die auch weitreichendes Leid für die Tiere verursachen – hat dieser Tag großes Gewicht“, sagt Christoph May weiter.
Daher stärke ein Ereignis wie der Welttierschutztag, der das Engagement so vieler Menschen unterstreiche und wertschätze, ungemein den Mut und Willen, nachhaltige Verbesserungen für die Tierwelt zu schaffen. Deshalb sei die Tierschutzarbeit unverzichtbarer denn je. „Diese Botschaft senden wir gemeinsam mit vielen anderen Tierschützer*innen auch in diesem Jahr wieder in die Welt!“