
24. April 2024, 17:40 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bewusste Entscheidungen zu treffen und sich an positive wie negative Erfahrungen zu erinnern, galt lange als Privileg des Menschen. Doch die Erforschung von unterschiedlichsten Tieren deckt mehr auf, dass diese Annahme nicht stimmt. Eine Gruppe renommierter Wissenschaftler geht nun sogar so weit, eine offizielle Deklaration über das Bewusstsein verschiedenster Tiere zu erlassen.
Lange war man in Forschung und Gesellschaft davon ausgegangen, dass der Mensch das einzige Wesen mit einem Bewusstsein ist. Allerdings sprechen neuere Studien mittlerweile eine ganz andere Sprache. Nicht nur bei Säugetieren und Vögeln gibt es etliche Beweise für das Vorhandensein bewussten Empfindens und einem Erkennen des eigenen Selbst. Forscher konnten dies mittlerweile auch bei Insekten und Oktopussen nachweisen. Diese moralische Frage hat führende Wissenschaftler dazu angeregt, eine Deklaration über das Bewusstsein von Tieren aufzusetzen und ein Umdenken im Umgang mit ihnen zu fordern.
New York Declaration of Animal Consciousness stellt alte Annahmen infrage
Deklarationen und Proklamationen stehen historisch gesehen stets für große Ereignisse. Die Unabhängigkeitserklärung der USA (Declaration of Indepence) oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind nur zwei Beispiele. Nun soll diesen wichtigen Dokumenten ein weiteres folgen: die Erklärung über das Bewusstsein von Tieren.
In der Erklärung selbst heißt es dazu, dass es mittlerweile viele Punkte gibt, bei denen die Forschung übereinstimmt. Denn nicht nur Säugetiere und Vögel machen bewusste Erfahrungen, auch viele andere Tierarten zeigen Verhalten, was darauf schließen lässt.
Empirische Belege deuteten darauf hin, dass zumindest eine realistische Möglichkeit bewusster Erfahrung bei allen Wirbeltieren (einschließlich Reptilien, Amphibien und Fischen) und vielen wirbellosen Tieren (zumindest bei Kopffüßern, Zehnfußkrebstieren und Insekten) besteht.1
Wie definiert man eigentlich das Bewusstsein bei Tieren?
Ganz allgemein ausgedrückt, kann das Wort Bewusstsein mehrere Bedeutungen haben. Man kann es im Bereich der Wahrnehmung ansiedeln, aber auch im Bereich des Wissens, der Empfindung und des Erlebens.
Die New Yorker Erklärung zum Bewusstsein von Tieren konzentriert sich laut ihrer Website auf eine wichtige Bedeutung, auf das „phänomenale Bewusstsein“. Dies sei unmittelbare gefühlte Erfahrung, egal ob sensorisch oder emotional. Dies werde auch als „Empfindungsvermögen“ bezeichnet.1
Tiere können also sensorische Erfahrungen einer bestimmten Berührung, eines Geschmacks oder Geruchs und Seheindrücke bewusst wahrnehmen. Auch können sie ihre Erfahrungen bewerten. Sie empfinden Schmerz, Angst, Hoffnung oder Freude und wissen, dass sie sich dabei gut oder schlecht gefühlt haben.
Auf welchen Studien die Deklaration basiert
Aber sind Tiere tatsächlich in der Lage, sich selbst als Individuum zu sehen? Können sie unterscheiden, dass sie ein einzelnes Wesen sind, dass sich seiner Entscheidungen und Handlungen tatsächlich bewusst ist? Laut der Deklaration der Wissenschaftler kann man diese Frage datenbasiert mit einem „es ist möglich“ beantworten.
„Es wäre unangemessen, bei der Suche nach dem tierischen Bewusstsein von ‚Belegen‘, ‚Gewissheit‘ oder ‚schlüssigen Beweisen‘ zu sprechen“, heißt es auf der Website weiter. Denn auch die Natur des Bewusstseins selbst sei immer noch heftig umstritten. Es sei jedoch durchaus angebracht, die bemerkenswerten Leistungen von Tieren als Beweis für Bewusstsein zu interpretieren. Anschließend zitieren die Unterzeichner der Deklaration zehn bahnbrechende Studienergebnisse, die seit 2013 bekannt wurden.
- Man kann Krähen darauf trainieren, zu melden, was sie sehen
- Oktopusse meiden Schmerzen und schätzen Schmerzlinderung
- Tintenfische erinnern sich an bestimmte vergangene Ereignisse und wissen, wie sie sich dabei gefühlt haben
- Putzerlippfische erkennen sich selbst im Spiegel (PETBOOK berichtete)
- Strumpfbandnattern bestehen eine duftbasierte Version desselben Tests
- Zebrafische zeigen neugieriges Verhalten
- Hummeln spielen mit Bällen (PETBOOK berichtete)
- Krebse können Ängste empfinden und reagieren positiv auf Stimmungsaufheller
- Krabben können flexible Entscheidungen je nach Motivation treffen
- Fruchtfliegen haben verschiedene Schlafmuster – die von Einsamkeit gestört werden
Tiere zeigen alle „Symptome“ von Bewusstsein
Wenn man also derartige Fähigkeiten als Beweis für Bewusstsein interpretieren kann – wie es bei Säugetieren inklusive des Menschen bereits getan wird – spricht dies laut der Deklaration für bewusste Verarbeitung von Informationen. „Diese Verhaltensweisen machen es wahrscheinlicher, dass diese Tiere Bewusstsein haben“, heißt es. Quasi, als würden sie alle Symptome einer Krankheit zeigen, obwohl der Beweis, dass sie wirklich krank sind, noch nicht gefunden sei.1
Die Deklaration wurde zunächst von 40 Wissenschaftlern unterzeichnet. Nach nur fünf Tagen sind es bereits 87 (Stand 24. April 2024). Darunter befinden sich nicht nur Experten für Tierverhalten, sondern auch Philosophen, Artenschutz-Experten, sowie Kognitions- und Gehirnforscher und viele weitere Experten auf den unterschiedlichsten Gebieten.
Unter anderem haben Professoren der New York University, der Sorbonne Universität in Frankreich, sowie von Cambridge und Oxford in England unterzeichnet. Aber auch Vertreter der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Humboldt-Universität in Berlin setzten ihre Signatur unter die Deklaration.

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Was die Forscher mit der Deklaration erreichen wollen
Doch was könnten diese Erkenntnisse und das offizielle Dokument nun für Konsequenzen haben? Ein Ziel sei es, Begeisterung für die aufkommende Wissenschaft in diesem Bereich zu vermitteln und mehr Arbeit dazu zu fördern. Denn qualitativ hochwertige Forschung habe unsere Ungewissheit über diese Fragen zum Bewusstsein von Tieren bereits verringert.
Ein zweites Ziel ist es, zum Nachdenken über den Tierschutz anzuregen. Die Erklärung enthalte zwar keine spezifischen politischen Empfehlungen. Wenn jedoch die realistische Möglichkeit bestehe, dass ein Tier ein Bewusstsein hat – zum Beispiel, dass ein Oktopus leiden kann –, dann sollte diese Möglichkeit in politischen Kontexten berücksichtigt werden. Zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, ob die kommerzielle Oktopuszucht unterstützt werden soll.
Denn es sei unverantwortlich, diese Möglichkeit bei Entscheidungen, die dieses Tier betreffen, zu ignorieren. „Wir sollten die Risiken für das Wohlergehen der Tiere in Betracht ziehen und die Beweise nutzen, um unsere Antworten auf diese Risiken zu finden.“ Die politischen Entscheidungsträger sollten also angemessene Maßnahmen ergreifen, um die Risiken für das Wohlergehen aller Wirbeltiere und vieler wirbelloser Tiere zu mindern, während die Forscher versuchten, unser Verständnis für diese Tiere zu verbessern.2