4. Juli 2024, 6:42 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Brieftauben werden für monetäre Zwecke ausgenutzt und gequält – so die Ansicht vieler Tierschützer. Auch Experten sehen den Brieftauben-Sport zunehmend kritisch. Wie genau funktionieren aber diese Wettkämpfe? Welche Trainingsmethoden werden angewandt und wie wirken sie sich auf das Wohlbefinden der Tauben aus? PETBOOK hat nachgeforscht.
Tauben haben eher einen schlechten Ruf. Auch als „Ratten der Lüfte“ verschrien, sind sie in Großstädten nicht gern gesehen. Dabei hat der Mensch die Haustaube (Columba livia f. domestica) erst zu dem gemacht, was sie heute ist: ein domestiziertes Tier. Heute existieren vermutlich weltweit über 800 Rassen. Bei der sogenannten Brieftaube handelt es sich jedoch nicht um eine spezielle Züchtung. Darunter fallen Haustauben, die (ursprünglich) zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt wurden.
Heute züchtet man Brieftauben zum Beispiel für Wettkämpfe. Diese Wettkämpfe stehen aus verschiedenen Gründen zunehmend in der Kritik. PETBOOK hat dazu sowohl den Deutschen Tierschutzbund als auch den Verband Deutscher Brieftaubenzüchter zu Wort kommen lassen.
Warum bringen Tauben Briefe?
Tauben sind sozial und haben einen besonders ausgeprägten Standortsinn. Das bedeutet: Sie finden auch über weit entfernte Strecken wieder zurück nach Hause zu ihrem Partner. Historisch verwendete man Brieftauben, um wichtige Nachrichten in entlegene Gebiete zu übermitteln. Diese Praxis, bekannt als Taubenpost, hat eine lange Geschichte und wurde in vielen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten genutzt, besonders vor der Entwicklung moderner Kommunikationsmittel.
Wie laufen Wettkämpfe beim Brieftaubensport ab?
Bei als „sportlichen Wettbewerben“ bezeichneten Brieftauben-Wettkämpfen treten speziell trainierte Brieftauben gegeneinander an. Von einem Startpunkt, der oft mehrere hundert Kilometer entfernt liegt, sollen sie möglichst schnell zu ihrem Heimatschlag zurückkehren.
Der Besitzer oder die Besitzerin des Vogels, der am schnellsten wieder am Ausgangspunkt ankommt, bekommt einen Geldpreis und eine Medaille oder einen Pokal. Auch kann eine siegreiche Taube einen erheblichen Zuchtwert erlangen. So sind die Nachkommen erfolgreicher Tauben oft sehr gefragt und man kann sie zu hohen Preisen verkaufen.
Um die Brieftauben auf die Wettkämpfe vorzubereiten, trainieren sie ihre Besitzer – oftmals sind das die Züchter – regelmäßig. Das Ziel des Trainings: die Tiere dazu zu bewegen, möglichst schnell und ohne Umwege zum Heimatschlag zurückzukehren. Um das zu erreichen, machen die Besitzer sich den Familien- und Standortsinn der Tiere mithilfe der sogenannten „Nestmethode“ oder der „Witwermethode“ zunutze.
Auch interessant: 6 überraschende Fakten über Tauben
Was sich hinter „Nest-“ und „Witwermethode“ verbirgt
Setzt man eine erwachsene Taube an einem fremden Ort aus, findet sie aus beliebigen Richtungen und Entfernungen in ihren Heimatschlag zurück – ganz gleich, welche Strapazen und Gefahren sie dabei überwinden muss.
Bei Wettflügen machen Besitzer sich den natürlichen Trieb der Tauben, zum Nest beziehungsweise zum Partner zurückzukehren, zunutze. Sowohl die Witwer- als auch die Nestmethode soll dafür Sorge tragen, dass die Tauben ihrem ursprünglichen Standort treu bleiben und so schnell wie möglich an den gewünschten Ort zurückfliegen.
- Bei der sogenannten „Witwermethode“ sollen die Tauben zu ihrem Partnertier zurückkehren. Im Rahmen des Trainings trennt man die Tiere immer wieder von ihrem Partner, was bei ihnen eine Sehnsucht erzeugt.
- Bei der „Nestmethode“ trennt man die Tiere von ihrem frisch geschlüpften Nachwuchs. Sie sollen dann möglichst schnell zu ihrem Nest beziehungsweise den Nestlingen zurückfliegen.
Darum kritisieren Tierschützer den Brieftauben-Sport
Laut Ansicht vieler Experten beeinflussen beide Methoden das Verhalten und das Wohlbefinden von Tauben. So betont Lea Schmitz, Pressesprecherin beim Deutschen Tierschutzbund e.V. auf Anfrage von PETBOOK: „Das Auseinanderreißen der Taubenpaare oder die Trennung vom Nest erzeugt psychischen Stress und einen Leidensdruck. Hierbei handelt es sich um Tiermissbrauch, weil die Treue zu den Partnertieren oder den Nestlingen von den Züchtern ausgenutzt wird, die Tiere also gewissermaßen auf eine Zwangsreise geschickt werden.“
Anders sieht dies Mareike Kühntopp vom Verband Deutscher Brieftaubenzüchter e.V. Sie sagt: „Verhalten und Wohlbefinden der Tauben ist durch beide Methoden nicht beeinflusst. Auch wenn ein Züchter die Nestmethode anwendet, so trennt er in der Regel zu gewissen Zeiten die Paare, um ihnen die notwendigen Ruhephasen zu gönnen.“
Ist Brieftaubenzucht moralisch vertretbar?
Nicht nur die Wettkampfbedingungen und Trainingsmethoden, mit denen man die Brieftauben auf die Preisflüge vorbereitet, seien laut Lea Schmitz problematisch. Auch die Zucht und Selektion seitens der Züchter bergen ihrer Ansicht nach Tierschutzprobleme. Sie sagt: „Die Tötung von Tauben, die unter anderem züchterische Ziele nicht erfüllen, ist gang und gäbe. Ebenso sortieren Brieftaubenzüchter nach wenigen Jahren Tauben aus, die sich in Wettkämpfen nicht bewähren“.
Ein Vorwurf, der laut Verband Deutscher Brieftaubenzüchter nicht haltbar ist. Mareike Kühntopp betont, dass Zucht und Einsatz von Brieftauben grundsätzlich keine unzumutbare Belastung für die Tiere seien. „Die Brieftauben werden ganzjährig täglich vom Züchter versorgt, sogar mehrmals täglich. Ihre Schläge werden regelmäßig gereinigt. Dort, wo es die Greifvogelpopulation zulässt, werden sie auch ganzjährig täglich am Haus fliegen gelassen.“ Auch die tierärztliche Betreuung finde ganzjährig regelmäßig statt, durch Impfungen, die Untersuchung von Kotproben und im Bedarfsfall auch durch Untersuchung einzelner Tiere.
Wie hoch ist die psychische Belastung beim Brieftaubensport?
Bei Preisflügen müssen Brieftauben weite Distanzen zurücklegen – teilweise mehr als tausend Kilometer –, die sie an ihre Leistungsgrenzen bringen. Laut Merkblatt 121 der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. müssen die Tiere bei Weitstrecken in der Lage sein, circa zehn Stunden ohne Pause zu fliegen, ohne ihre Belastungsgrenze und einen zu hohen Verlust an Körpermasse zu riskieren.
Auch das Tierschutzgesetz verbietet es, einem Tier Leistungen abzuverlangen, die es nicht erbringen kann. So heißt es in § 3 Nr. 1 TierSchG: „Es ist verboten, einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen.“
Mareike Kühntopp sagt hierzu: „In den Sommermonaten werden die Tiere akribisch auf die Flüge vorbereitet. Ihr Gesundheitszustand wird minutiös überwacht und bei kleinsten Veränderungen zum Negativen werden die Tiere einem Tierarzt vorgestellt. Bei hochsommerlichen Temperaturen oder anderen unsicheren Wetterlagen finden keine Distanzflüge statt. Sollte es doch einmal zu schwierigen Flügen kommen, so werden diese von einer übergeordneten Kommission überprüft und analysiert.“
Eine Studie deutet jedoch darauf hin, dass die Stressbelastung insbesondere bei Langstreckenflügen sehr hoch ist. Brieftauben weisen vor beziehungsweise nach einem Flug und bis zu einem Monat nach dem Wettkampf erhöhte Cortisolspiegel auf.1 Ein zusätzlicher Stressfaktor für Brieftauben, die an Wettkämpfen teilnehmen: der Transport zum Austragungsort und die lange Strecke, die sie beim Wettkampf zurücklegen müssen. Ob und in welcher Form durch die Besitzer sichergestellt wird, dass die Tiere in der Lage dazu sind, die langen Flüge zu bewältigen, ist fraglich. Ebenso wie die Auswirkungen der Wettflüge hinsichtlich der Stressbelastung für die Tiere.
Unterschiedliche Daten zu Verlustraten
Zusätzlich führen auch Beutegreifer, Unwetter, zu hohe Temperaturen und das Fliegen gegen Windräder und Strommasten dazu, dass Brieftauben bei Wettkämpfen sterben. Insbesondere Jungtiere sterben entweder durch Verfliegen, durch Beutegreifer, an Kollisionsverletzungen oder Entkräftung.
Wie viele Tiere bei Preisflügen genau ihr Leben lassen? Dazu liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Eine Quelle geht von einer durchschnittlichen Verlustrate von 53 Prozent aus.2 Im Merkblatt 121 schätzt die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz die Verluste auf 5 bis 20 Prozent.3
Es sei schwer, die rückkehrenden und verloren gegangenen Tiere zu erfassen, sagt auch Lea Schmitz. Sie betont: „Es fehlt oftmals an Transparenz oder überhaupt an der Verpflichtung zur Dokumentation“. Zudem schlössen sich Tauben, die sich verfliegen, Stadttauben an. Dadurch wären sie dem Dauerstress durch Lärm, Abgase und Vertreibung sowie dem Überlebenskampf bei der ständigen Futtersuche ausgesetzt.
Taubenverband: »Behauptungen von sogenannten Tierrechtsorganisationen nicht haltbar
Mareike Kühntopp vom Verband Deutscher Brieftaubenzüchter sagt hierzu jedoch, dass viele Behauptungen, „insbesondere von sogenannten Tierrechtsorganisationen“, jedoch nicht haltbar seien und nicht der Realität entsprächen. „Wenn solche Organisationen von Verlustzahlen sprechen, führen sie eine simple Rechnung durch, die die Satzzahlen der verschiedenen Wochen miteinander vergleicht, sie ziehen jedoch die Gründe für niedrigere Satzzahlen nicht in die notwendige Relation.“
Denn oft genug ließen Züchter im Laufe der Saison einen Partner zu Hause, um den vermeintlich stärkeren Partner zusätzlich zu motivieren. „Auch verletzte oder verspätet heimgekehrte Tauben werden selbstverständlich nicht zum nächsten Distanzflug eingesetzt. Zum Ende der Saison hören insbesondere jüngere Züchter mit Familien oft auch auf, um den Sommerurlaub anzutreten.“ All diese Tauben seien natürlich nicht verlustig. „Sie sind zu Hause, sie sind oder werden wieder fit, aber sie werden eben nicht eingesetzt.“ Dieser Unterschied werde bei den vermeintlich hohen Verlustzahlen jedoch nicht berücksichtigt.
Trommeltaube, Bodenpurzler, … Qualzuchten bei Tauben – diese Rassen sind betroffen
Ausgezeichnetes Engagement Die Gewinner des Deutschen Tierschutzpreises 2023
Möglicherweise gefährlich Achtung! Angebliche Briefe vom Tierschutzbund enthalten unbekanntes Pulver
Tierschützer wünschen sich mehr Transparenz
Um den Tierschutz zu gewährleisten, wünscht sich Lea Schmitz vom Gesetzgeber strengere Regelungen und Kontrollen im Brieftauben-Sport. So wäre ihrer Ansicht nach das Einführen von Sendern, um die Reisen der Tauben nachverfolgbar zu machen, sowie eine Verpflichtung zur Dokumentation, inklusive einer Erfassung und Auswertung der Verlustraten und Rückkehrquoten, sinnvoll.
Zudem müsste eine zusätzliche Steuer für Brieftauben erhoben werden, sodass Tierschutzvereine nicht auf den entstehenden Kosten sitzen bleiben, wenn sie hilfebedürftige Brieftauben aufnehmen.