27. Juli 2023, 14:19 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Vögel gelten als monogame Tiere. Sie paaren sich für eine Brutzeit oder sogar fürs Leben. Doch nicht jede Vogelbeziehung scheint ewig zu halten. Manche Vögel lassen sich „scheiden“, und zwar aus scheinbar ähnlichen Gründen wie wir Menschen. Das hat ein Forschungsteam aus China und Deutschland herausgefunden. Vogelschutz-Experte Martin Rümmler schätzt die Ergebnisse ein..
Vögel bilden feste Partnerschaften: Experten schätzen, dass sich um die 90 Prozent der Vögel für eine Brutzeit oder sogar länger mit einem einzigen Partner paaren. Doch ähnlich wie bei uns Menschen können auch Vogelbeziehungen in die Brüche gehen. Manche Vögel wechseln nach einer Brutzeit den Partner, auch wenn dieser noch lebt und lassen sich damit praktisch „scheiden“. So bezeichnen Ornithologen tatsächlich dieses Verhalten.
Wissenschaftler der chinesischen Universität Sun Yat-sen und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie haben untersucht, warum sich die Tiere so verhalten. Sie verglichen per Meta-Daten-Analyse mehrere Vogelarten miteinander und identifizierten zwei Faktoren, die eine Scheidung beeinflussen könnten. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“
Untreue ist bei Vögeln ein No-Go – aber nur bei einem Geschlecht
Bereits frühere Studien haben untersucht, warum sich Vögel scheiden lassen. Allerdings lag der Fokus meist auf einzelnen Vogelarten oder Artengruppen. Anders ist es bei der aktuellen Studie der Forscher aus China und Deutschland: Sie analysierten einen großen Datensatz aus bereits veröffentlichten Studien, der unter anderem die Scheidungsraten von 186 Vogelarten umfasste. Sterblichkeitsraten sowie Migrationsentfernungen waren ebenfalls im Datensatz enthalten. Zudem entwickelten die Erstautorin Yiqing Chen und ihre Kollegen anhand der Daten einen „Promiskuität-Score“, also einen „Untreue-Wert“ für die Vögel.
Dabei zeigte sich, dass sich Vogelpaare, bei denen das Männchen häufiger untreu oder polygam ist, auch öfter trennen. Es scheint auch einen Zusammenhang zwischen enger verwandten Arten zu geben. „Regenpfeifer, Schwalben, Trupiale und Amseln weisen beispielsweise sowohl hohe Scheidungsraten als auch männliche Promiskuität auf“, schreiben die StudienautorInnen. Sturmvögel, Albatrosse, Gänse und Schwäne hingegen weisen niedrige Scheidungsraten und männliche Untreue auf.
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Weibchen kommen mit dem Fremdgehen davon
Interessanterweise scheint das Fremdgehen weiblicher Vögel weniger ausschlaggebend dafür zu sein, ob Vögel sich scheiden lassen. „Wenn ein männlicher Vogel untreu ist, wird dies oft als eine Verringerung seines Engagements empfunden, da seine Aufmerksamkeit und Ressourcen auf mehrere Weibchen aufgeteilt werden“, sagte Co-Autorin Zitan Song gegenüber der britischen Zeitung „The Guardian“. Dies könnte dazu führen, dass er als Partner weniger attraktiv wirkt.
Weibliche Untreue könnte laut Song genau die gegenteilige Reaktion auslösen. Wenn es Unklarheit über die Vaterschaft der Jungen gibt, könnten sich die Männchen möglicherweise mehr am Nachwuchs beteiligen.
Auch „Fernbeziehungen“ ist ein Scheidungsgrund bei Vögeln
Neben der Promiskuität der Vögel kann aber auch die Migrationsdistanz eine Auswirkung auf die Beziehung haben. „Nach der Migration können Paare asynchron an ihrem Ziel ankommen, was dazu führen kann, dass sich die Frühankömmlinge mit einem anderen Partner paaren, was zu einer ‚Scheidung‘ führt“, so Song.
Es könne auch passieren, dass die Partner an verschiedenen Brutplätzen landen und der „versehentliche Verlust“ eine Scheidung erzwingt. „Dieser Effekt verstärkt sich mit zunehmender Migrationsentfernung“, sagt die Wissenschaftlerin. Denn längere Flugspannen würden auch das Zeitfenster für die Brut verengen. Eine Trennung ermögliche es den Vögeln, so bald wie möglich mit der Brut anzufangen.
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Könnte der Klimawandel einen Einfluss auf das Migrationsverhalten haben?
Dass der Klimawandel einen Einfluss auf das Migrationsverhalten – und somit auf die Paarung von Zugvögeln – haben wird, kann sich Martin Rümmler gut vorstellen. Er ist Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) und war nicht an der Studie beteiligt. Inwiefern und welchem Maße eine Klimakrise das Verhalten beeinflussen wird, sei jedoch eine ganz andere Frage.
„Eine Klimakrise kann etwa dazu führen, dass – je nach Art und je nach Zugverhalten – eine Reduktion des Vogelzugs zustande kommt, weil Tiere nicht mehr wandern oder nur noch kurze Strecken oder neue Wege nehmen“, sagt Rümmler gegenüber PETBOOK. Auch die Distanzen könnten immer länger werden, weil geeignete Rast- und Überwinterungsgebiete weiter entfernt liegen. „Man hat auch festgestellt, dass Zugvögel zum Teil schneller nach Hause fliegen, um dem vorangeschrittenen Frühling quasi hinterherzufliegen.“
Der Vogelschutz-Experte gibt aber auch zu bedenken: „Die Monogamie bei Vögeln ist vor allem an den Brutplatz gekoppelt und nicht immer an den Brutpartner.“ Das würde in der Studie gut kommuniziert. Jedoch seien Begriffe wie Monogamie etwas irreführend. Besonders für Säugetiere etwa biete die Monogamie einen „evolutionären Vorteil“ für das Großziehen der Nachkommenschaft, was oft mehrere Jahre in Anspruch nimmt. „Das ist bei den meisten Vögeln aber nicht der Fall“, so Rümmler. Ihre Jungtiere würden innerhalb der Brutsaison „erwachsen werden“. Begriffe, die auf uns Menschen zutreffen, auch für Tiere zu verwenden, sei laut dem Experten zwar ein gutes Vehikel, um bestimmte Verhaltensmuster zu erklären. Gleichzeitig bestehe dadurch aber die Gefahr, dass jemand etwas Falsches hineininterpretiert.