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Evolution

Warum Vögel eigentlich Reptilien sind

Ein Vogel und eine Schildkröte auf einem Ast
Optisch verschieden und doch ein und dasselbe? Reptilien und Vögel sind eigentlich gar nicht so unterschiedlich. Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

7. Februar 2025, 14:18 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

In der Schule haben wir gelernt: Es gibt fünf verschiedene Tierklassen. Nämlich Säugetiere, Vögel, Fische, Reptilien und Amphibien. Allerdings scheint dieses lange in Lehrbüchern festgeschriebene Wissen nicht zu stimmen und Vögel und Reptilien sind sich im Grunde so ähnlich, dass eine Unterscheidung kaum möglich ist.

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Lachen Sie jetzt bitte nicht: Ich habe im Abitur drei Leistungskurse belegt. Einfach, weil ich mich nicht zwischen Englisch, Deutsch und Biologie entscheiden wollte. Noch heute habe ich meine alten Bio-Schulbücher bei mir im Regal liegen und ziehe sie manchmal zurate. Schlägt man eines davon auf, findet man unweigerlich im Evolutionskapitel: den Stammbaum der Arten von Carl Linné. Der schwedische Naturforscher gliederte Tiere und Pflanzen in verschiedene Systeme ein, darunter Reich, Klasse, Ordnung, Gattung, Familie und Art. Da klingelt es auch bei Ihnen? Dann vergessen Sie das jetzt bitte direkt. Denn die immer noch in Schulen gelehrte Einteilung der Arten ist bereits seit den 1940er-Jahren nicht mehr gängige Meinung unter Forschern. Die Erkenntnis, dass Vögel eigentlich Reptilien sind, ist also nicht einmal neu. Trotzdem hat sie mein Verständnis der Natur grundlegend verändert.

Die überraschende Verbindung zwischen Vögeln und Dinosauriern

Vögel gehören zur Klasse der Aves, während Reptilien traditionell als eine eigene Gruppe von Wirbeltieren betrachtet werden. Doch aus evolutionärer Sicht sind diese Grenzen gar nicht so klar, wie es Schulbücher lange vermittelten. „Ich würde sagen, dass jeder moderne Biologe sagen würde, oder sagen sollte, dass Vögel Reptilien sind“, sagte Martin Stervander, Evolutionsbiologe und leitender Kurator für Vögel am National Museums Scotland, im Wissenschaftsmagazin „LiveScience“.

Der Schlüssel liegt in der Abstammungsgeschichte: Wissenschaftler haben zweifelsfrei nachgewiesen, dass Vögel direkte Nachfahren der Dinosaurier sind. Genauer gesagt der theropoden Dinosaurier, zu denen auch der berühmte Tyrannosaurus rex, aber vor allem verschiedene Raptoren gehören. Denn bereits im 19. Jahrhundert fiel Wissenschaftlern auf, dass es frappierende Ähnlichkeiten zwischen Vögeln und kleinen fleischfressenden Dinosauriern, den Velociraptoren, gibt.

Auch der Urvogel Archaeopteryx, der vor etwa 150 Millionen Jahren lebte, zeigt sowohl reptilienartige Merkmale wie Zähne und einen langen Schwanz als auch Merkmale von modernen Vögeln wie Federn und Flügel. Schon zu diesem Zeitpunkt entstand der Gedanke, Vögel könnten mit Dinosauriern verwandt sein. DNA-Analysen, wie wir sie heute kennen, begannen etwa in den 1940er-Jahren und lösten das Linnésche System ab. Stattdessen wird der Phylogenetische Baum verwendet. Dieser sieht eher genetische Knotenpunkte bei Vorfahren heutiger Tiere, arbeitet aber nicht mehr mit starren Einteilungen. In der Biologie spricht man sogar nur noch von Taxa, nicht mehr von Arten.

Warum macht das Vögel zu Reptilien?

Rein biologisch betrachtet ist der Begriff „Reptilien“ also nicht mehr ganz zeitgemäß, aber im Sprachgebrauch noch geläufig. Klassischerweise fasst er Tiere wie Schlangen, Echsen und Schildkröten zusammen. Diese Tiere haben eine trockene Haut mit Hornschuppen und regulieren ihre Körpertemperatur über die Umwelt, sind also wechselwarm.

„All diese Tiere – Schlangen, Schildkröten, Krokodile und Vögel, ebenso wie Dinosaurier, als sie noch lebten – haben einen gemeinsamen Vorfahren“, so Stervander. „Das bedeutet schlicht, dass Vögel per definitionem Reptilien sind.“ Denn nach der modernen Systematik gehört zu den Reptilien auch eine Gruppe, die – auch von Linné – übersehen wurde: die Dinosaurier. Da Vögel ihre direkten Nachfahren sind, sind sie rein evolutionär betrachtet nichts anderes als eine hochspezialisierte Gruppe von Reptilien.

Die Verwandtschaft war jedoch nicht immer so leicht zu erkennen. „Der Grund, warum Vögel so anders erscheinen als die restlichen heute lebenden Reptilien, ist, dass alle evolutionären Zwischenstufen ausgestorben sind, sodass wir keinen direkten Vergleich haben“, erklärt Klara Widrig, Postdoktorandin in der Abteilung für Wirbeltierzoologie am Smithsonian’s National Museum of Natural History in Washington, D.C. im Magazin „LiveScience“.

Gemeinsame Merkmale von Vögeln und Reptilien

Darum schauen wir uns nun genauer die Anatomie und Physiologie von Vögeln und Reptilien von heute an. Die Gemeinsamkeiten sprechen für sich:

  • Schuppige Füße: Die Schuppen an den Beinen von Vögeln gleichen denen von Reptilien, da sie denselben Ursprung haben.
  • Eier mit harter Schale: Sowohl Vögel als auch Reptilien legen Eier mit einer kalkhaltigen Schale – eine Anpassung an das Leben an Land.
  • Skelettstruktur: Viele Knochenmerkmale, darunter die dreizehige Fußstruktur und die spezielle Anordnung der Hüftknochen, weisen eine enge Verwandtschaft zu Dinosauriern und damit zu Reptilien auf.
  • Luftsäcke: Das hoch entwickelte Atmungssystem der Vögel mit Luftsäcken hat seine Ursprünge bereits bei theropoden Dinosauriern.

Die Evolution der Vögel – ein langsamer Prozess

Die Genetik der Vögel und Dinosaurier zu enträtseln und vor allem zu verifizieren, ob sie Federn hatten, war dagegen etwas schwieriger. Vor allem Fossilienfunde aus China haben entscheidend dazu beigetragen, die Evolution der Vögel zu entschlüsseln. Besonders bemerkenswert ist der Fund von Zhenyuanlong suni, einem gefiederten Theropoden, der nahe mit Velociraptor verwandt ist. Obwohl er kurze Arme hatte und nicht fliegen konnte, besaß er ein Federkleid, das modernen Vögeln ähnelte. Woher man das weiß? Das Tier wurde durch einen Vulkanausbruch so konserviert, dass man zum ersten Mal Federn bei Dinosauriern sehen konnte.

„Das Spektrum umfasst neun Meter lange, mit Flaum bedeckte Verwandte der Ahnen von Tyrannosaurus rex, hundegroße Pflanzenfresser mit einfachen, langen, dicken Stachelhaaren sowie krähengroße Gleiter mit richtigen Flügeln“, schrieb Paläontologe Stephen Brusatte in seiner Reportage im Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ zu den beeindruckenden Funden.

Die Fossilien aus der chinesischen Provinz Liaoning zeigen, dass Federn nicht plötzlich mit den ersten Vögeln auftraten, sondern schon bei ihren Dinosaurier-Vorfahren existierten. Welchen Zweck die Federn erfüllten, ist jedoch eher schwierig zu sagen. Heute erfüllen sie mehrere Zwecke. Sie halten Vögel und ihre Eier warm, werden für den Fortpflanzungserfolg präsentiert, aber natürlich dienen sie vor allem einem Zweck: dem Flug.

Welche dieser Funktionen sich zuerst entwickelt hat, lässt sich laut Brusatte schwer beantworten. „Fliegen konnten diese Tiere nicht“, schreibt der Paläontologe weiter. „Sie besaßen keine Flügel; außerdem hätten solche Gebilde einem Luftstrom gar nicht widerstanden. Ihr Zweck musste ein anderer gewesen sein. Vermutlich hielten sie jene kleinen Dinosaurier warm.“

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Was bedeutet das für unser Naturverständnis?

Dass Vögel wissenschaftlich betrachtet Reptilien sind, zeigt, wie sehr sich unser Verständnis der Tierwelt verändert hat. Die Einteilung in klassische Gruppen – Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien – basiert auf äußeren Merkmalen, während moderne Wissenschaft zunehmend evolutionäre Zusammenhänge betrachtet. „Bis in die 1940er-Jahre dachten Biologen, dass Vögel eine ganz eigene Gruppe sind, da sie warmblütig und gefiedert sind“, sagt Widrig bei „LiveScience“. „Doch durch genetische Untersuchungen wurde klar, dass sie sich nahtlos in den Stammbaum der Reptilien einfügen.“

Für die Wahrnehmung von Vögeln bedeutet das auch: Wenn wir heute eine Taube auf der Straße sehen oder eine Meise im Garten beobachten, blicken wir in Wahrheit auf die letzten lebenden Dinosaurier. Die nächste Begegnung mit einem Vogel könnte also mit ganz neuen Augen gesehen werden – als ein kleines Stück Urzeit, das die Erde noch immer bevölkert.

Die Evolution der Vögel ist ein faszinierendes Beispiel für den allmählichen Wandel von Lebewesen über Millionen von Jahren. Sie zeigt, dass große Veränderungen nicht abrupt, sondern in kleinen Schritten erfolgen. So haben sich Vögel nicht plötzlich aus dem Nichts entwickelt, sondern sind das Produkt einer langen Kette von Anpassungen – und damit sind sie letzten überlebenden Dinosaurier unserer Zeit.

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