1. Oktober 2024, 12:47 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Farblosigkeit ist im Tierreich eher selten. Umso besonderer ist es, wenn gleich fünf Albino-Waschbären auf einmal auftauchen. PETBOOK-Autorin Manuela Bauer hat die besonderen Tiere einen Tag lang in der Reptilienauffangstation München besucht und erzählt ihre traurige Geschichte.
Sie sehen aus wie knuffige Schneeflöckchen mit roter Nase, zartrosa Pfötchen und den typischen roten Äuglein: Fünf Albino-Waschbären sind nach einer Beschlagnahmung in der Auffangstation für Reptilien München e. V. gelandet. Doch woher stammen die seltenen Kleinbären? Manuela Bauer hat sich für PETBOOK auf die Spuren der weißen Bande begeben.
Woher stammen die Albino-Waschbären?
Die Informationen sind in diesem Tierschutzfall recht dünn, denn es gibt ein laufendes Verfahren. Deshalb dürfen die Behörden keine weitere Auskunft geben, solange die Tiere nicht freigegeben sind. Alles, was die Tierschützer der Reptilienauffangstation München wissen, ist, dass die Albino-Waschbären ursprünglich aus dem Norden Deutschlands kamen und dort in einer Auffangstation für Wildtiere lebten.
Um ihre Vergangenheit ranken sich aber noch weitere Geheimnisse: Laut Dr. Markus Baur, dem Leiter der Münchner Reptilienauffangstation handelt es sich um einen Fall von Animal Hoarding. Der vorherige Halter der besonderen Tiere lebt in der Nähe von Dingolfing in Bayern.
Beim örtlichen Veterinäramt ist der Exotenhalter seit Jahren bekannt und auch immer wieder negativ aufgefallen. Diesmal hatte er für fünf Albino-Waschbären keine Haltegenehmigung. Ebenfalls beschlagnahmt wurden zwei Stinktiere wegen nicht artgerechter Haltung, erfahre ich bei meinem Besuch weiter. Zudem hatte er noch weitere Waschbären aus einem Altbestand, die er bereits vor dem EU-Verbot 2014 angeschafft hatte und daher behalten durfte.
Albino-Eltern zur Zucht genutzt?
Bei den Albino-Waschbären handelt es sich vermutlich um eine Familie. Die Elterntiere werden auf circa vier bis zehn Jahre geschätzt, die weiteren drei auf maximal zwei Jahre. Dr. Markus Baur kann deshalb nur mutmaßen, „dass die drei jüngeren Tiere in dieser Auffangstation geboren worden sind, was ein Rechtsverstoß wäre, da sie in menschlicher Obhut kastriert werden müssen und nicht nachgezüchtet werden dürfen.“
Ob in diesem Fall auch Inzucht im Spiel sei, sei schwierig zu sagen, meint Dr. Baur weiter. „Um weiße Tiere zu bekommen, müssen irgendwann Tiere mit dieser Genmutation gekreuzt werden. Weil es reinerbig vererbt wird, ist es üblich, dass man nahe Verwandte miteinander kreuzt.“
Laut dem Cleveland Museum of Natural History wird nur einer von 10.000 – 20.000 Waschbären mit Albinismus geboren.1 Wahrscheinlich auch, weil es in der Natur nur äußerst selten vorkommt, dass zwei Tiere mit Albino-Merkmal Junge bekommen. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in diesem Artikel: Warum Albinos im Tierreich angegriffen werden.
Albino-Waschbären sollen zunächst zu ihren Artgenossen ins Tierheim
Nach ihrer Ankunft in München wurden die Tiere unmittelbar kastriert und gechippt und mussten für acht Wochen in Quarantäne. Denn sie können eine Reihe Krankheiten wie Spulwürmer übertragen. „Es werden noch Kotproben genommen und wenn alles sauber ist, dürfen sie zu den anderen Waschbären in das Gehege mit Naturboden und Bepflanzung, das im Tierheim München steht.“
Diese Gehege gibt es dort, „da wir jedes Jahr Waschbär-Babys bekommen, wenn ihre Eltern bejagt wurden, weil es für die keine Schonzeit gibt“, berichtet Dr. Marcus Baur weiter. „Spaziergänger finden die Kleinen jämmerlich kreischend und bringen sie zu uns“, sagt der Experte für exotische Tiere.
Viele zögen die Kleinbären gemäß einem Waschbärenmanagementplan auch erstmal selbst auf, seien aber froh, wenn sie sie wieder loswerden. „Halbstarke Waschbären machen jede Menge Blödsinn und zerlegen einem die Wohnung.“ Zudem benötigt man eine Sondergenehmigung für die Haltung, die mit starken Auflagen für den Bau des Geheges verbunden ist.
Vermittlung von Waschbären? Schwierig!
Waschbären in gute Hände zu vermitteln, ist in vielen Fällen bereits sehr schwierig. Denn die Tiere gelten in Deutschland als invasiv und haben sehr spezielle Anforderungen an ihre Haltung.
Im Fall der Albino-Waschbären ist die Vermittlung jedoch nochmal eine besondere Herausforderung für Dr. Markus Baur: „Für klassisch geführte Zoos sind solche Tiere mit Fehlfarben uninteressant, da sie diese Tiere nachzüchten, um sie als Botschafter ihrer Art vorzustellen. Da machen Albinos wenig Sinn. Vielleicht wären sie aber in einem kleineren Wildpark ein Publikumsmagnet.“
Als erste Voraussetzung, um Waschbären zu halten, braucht man ein Fundament oder einen sogenannten Untergrabe-Schutz. „Die Tiere sind Ausbrecherkönige und buddeln sich unten durch oder klettern oben drüber, deshalb braucht es auch noch einen ‚Überkletterschutz‘ oder ein festes Dach.“ Mehr dazu erfahren Sie in diesem Artikel: Kann man Waschbären als Haustiere halten?
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Extra Pflegeaufwand durch Albinismus
Dementsprechend schwierig ist es nun für die putzigen, weißen Waschbären geeignete Plätze zu finden. Denn zusätzlich zu den strengen Haltungsanforderungen erfordert der Albinismus der Tiere weiteren Pflegeaufwand: „Sie sind prädestiniert, Sonnenbrand zu bekommen und die Neigung zu Hautkrebs ist durchaus höher. Unsere Albinos brauchen deshalb ausreichend Schatten und dunkle Ecken“, weiß Dr. Markus Baur.
In freier Wildbahn werden Albino-Waschbären meist kein Jahr alt, da sie oft gesundheitliche Probleme haben und sich mit ihrem weißen Fell nicht gut vor Fressfeinden verstecken können. Denn durch den Pigmentmangel in Haaren, Haut und Augen sind sie sehr lichtempfindlich, wobei UV-Licht besonders schädlich für die Zellen ist.
Potenzielle neuen Halter müssen nicht alle Tiere übernehmen. Allerdings sollten Waschbären auf keinen Fall allein gehalten werden, da sie sehr soziale Tiere sind. Sie brauchen eine Gruppe und werden 10–15 Jahre alt. Bei ernsthaftem Interesse an den Albino-Waschbären können Sie Kontakt mit der Reptilienauffangstation München aufnehmen.
Mein Tag bei den Albino-Waschbären
Als Tierfreundin habe ich mir schon immer eine Begegnung mit Waschbären gewünscht. Dass es sich dabei um fünf auf einen Streich und obendrein noch um Albinos handeln würde, hatte ich nicht zu träumen gewagt.
Zum Glück waren die fünf Racker mit der Quarantäne durch und so verabredete ich mich mit Jennifer Vogl, der PR-Referentin der Reptilienauffangstation München, die dort auch für exotische Kleinsäuger zuständig ist. „Sie sind noch sehr scheu“ hatte mir Dr. Markus Baur am Telefon gesagt. Daher hoffte ich, wenigstens eines der scheuen Tiere mit auf ein Foto zu bekommen. Doch Jennifer Vogl, kurz Jen genannt, kennt natürlich die Vorlieben der Tiere und deshalb brachte sie eine Schale mit leckeren Weintrauben mit.
Beim Betreten des Geheges war tatsächlich nicht einer der Waschbären zu sehen. Denn die Bande hatte sich hoch über dem Eingang platziert, um den Besuch erstmal abzuchecken. Ich habe selten etwas Entzückenderes gesehen! Kaum hatten sie jedoch die Weintrauben entdeckt, kam die komplette Gruppe auch schon wie ein Überfallkommando über die Gitter herabgeklettert. Jen rief nur: „Niemals die Schüssel loslassen!“
Sekunden später hatte ich das Gefühl, als ob ich bei einer sehr intensiven Zoll-Kontrolle am ganzen Körper abgetastet würde: Waschbärenfinger überall! Dazu scharfe Zähnchen und spitze Krallen, mit denen sie unermüdlich versuchten, an mir hochzuklettern. Hatte Markus Baur nicht etwas von „sehr scheu“ erzählt? Schwupps war auch schon die Schüssel mit den leckeren Früchten leer, was die kleinen Gangster aber nicht glauben wollten. Ich zog deshalb mit Jen den geordneten Rückzug an.
Denn mein Oberteil ähnelte mittlerweile einem zerrupften Geschirrtuch mit unzähligen langen, losen Fäden. Daher mein Tipp: Gehen Sie niemals mit einem Kleidungsstück aus grob gewebtem Stoff in ein Waschbärengehege! Waschbären-Krallen zerpflücken alles! Das glückselige Grinsen auf meinem Gesicht ist nach der Begegnung mit den Albino-Waschbären allerdings auch heute noch nicht verschwunden. Dafür opfere ich doch gerne mal ein Kleidungsstück.