10. Dezember 2024, 15:04 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Dass es nicht besonders rosig um die Artenvielfalt steht, ist vielen bewusst. Daher werden viele junge, vitale Tiere geschont, um für Nachwuchs zu sorgen. Allerdings scheint diese Herangehensweise allein nicht auszureichen. Denn auch der Erhalt älterer Tiere könnte viel wichtiger für das Überleben mancher Arten sein als bislang angenommen.
Viele wollen das Thema Altern am liebsten ganz weit von sich wegschieben. So läuft es auch in der Wissenschaft. Denn in großem Stil werden Begleiterscheinungen des Alters meist nur untersucht, damit ihre Effekte durch Medizin gemildert werden können. Lange Zeit war daher auch die Herangehensweise in der Biologie von diesem menschlichen Zurückschrecken vor dem Alter geprägt. Man wusste von einigen Einzelfällen, wie alten Elefantenkühen, die ihre Herde zusammenhalten und mit ihrer Erfahrung leiten. Oder von Orcas in der Menopause, die sich besonders gut darin zeigten, Jagdtechniken weiterzugeben. Doch wie essenziell alte Tiere für ihre jeweiligen Arten sein können, zeigt nun erstmals eine Übersichtsstudie.
Ältere Fische und Schildkröten bekommen mehr Nachwuchs
Hierbei geht es jedoch nicht nur um die weisen Lehrmeister des Tierreichs, wie der Hauptautor der Studie, Keller Kopf von der Charles-Darwin-Universität in Darwin, Australien, schreibt. Die Untersuchung von 9000 Studien zum Thema, die er und seine Kollegen durchführten, wurde im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht. 1
Auch im Wissenschaftsmagazin „The Conversation“ legt der Forscher dar, wie viele Arten von dem Erhalt von älteren Tieren profitieren können. Denn der auch „kulturelle Weitergabe“ genannte soziale Faktor bei erlernten Kenntnissen ist nur eine Art, wie Populationen von älteren Tieren profitieren können.
Kopf und sein Team haben sich zu dem Thema zum Stellenwert von älteren Individuen für ihre Art über 9000 Untersuchungen und Studien angeschaut. Darin wurde ersichtlich, dass dies besonders ein Problem ist, wenn ältere Tiere dem Meer entnommen werden. Denn Fische und Schildkröten wachsen lange – manche bis an ihr Lebensende – weiter.
Je nachdem wie alt sie werden, produzieren viele Tiere mehr Nachwuchs und legen mehr Eier. Dies gilt vor allem für Kaltblüter, wie Reptilien und Fische. Anscheinend haben die Nachkommen dieser älteren Tiere auch eine bessere Überlebenschance, wie die Forscher in ihrer Untersuchung feststellen konnten. Auch bei Vögeln scheint dies der Fall zu sein. Ältere Brutpaare haben häufig ein besseres Habitat mit einem besseren Nahrungsangebot. Entsprechend höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Nestlinge überleben.
Ältere Männchen halten soziale Gruppen zusammen
Wie Kopf in seinem Essay weiter berichtet, gilt dies aber nicht nur für brütende Weibchen. Auch ältere Männchen dienen dem Arterhalt. Denn Weibchen tendieren häufig dazu, sich mit älteren Männchen zu paaren. Diese übernehmen häufig führende und leitende soziale Positionen.
So sorgen sie für weniger aggressives Verhalten in der Gruppe, als es jüngere Männchen tun würden. Die Entscheidungen, die diese Tiere fällen, sorgen für besseren Gruppenzusammenhalt und sozialen Austausch und bessere Überlebenschancen für den Nachwuchs.
Kopf setzt sich daher dafür ein, dass eine neue Art des Naturschutzes priorisiert wird, die „Konservierung der Langlebigkeit“. Denn nach wie vor ist es bei vielen Arten so, dass besonders die jüngeren Tiere geschont werden. Die alten und großen Fische werden gefangen und für die menschliche Ernährung genutzt. Allerdings tut sich hierbei eine ökologische Lücke auf, die die zurückbleibende Population instabiler macht.
Verlust von alten Tieren macht die ganze Art schwächer
„Die Entnahme aller großen Fische aus einigen Populationen hat beispielsweise das kollektive Gruppengedächtnis geschwächt, das oft für die Wanderung und die Kenntnis der Laichgebiete benötigt wird“, schreibt Kopf. Dies sei vor allem für Zugvögel, rudeljagende Fleischfresser und viele Fische relevant. Kopf sagt weiter, dass schon jetzt 79 bis 97 Prozent der älteren Fische in den Populationen fehlen würden.
Besonders eklatant ist die Situation bei Elefanten. Die Wilderei und der Elfenbeinhandel waren natürlich vor allem auf die großen, alten Tiere mit langen Stoßzähnen konzentriert. Wie groß der Wissensverlust dadurch bei den in einem starken Sozialverbund lebenden Dickhäutern ist, kann heute nur geschätzt werden.
Denn bestimmte Routen, an die sich Elefanten halten, sind etabliert und bringen sie zu Orten, an denen sie geschützt sind oder genügend Futter finden, um Dürreperioden zu überleben. Entnimmt man also alte Tiere, geht dies stets mit einem Wissensverlust für den Rest der Gruppe einher. Wie dramatisch dies sein könnte, lässt sich nicht einmal erahnen.
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Alter noch kein Bewertungskriterium der Roten Liste
Aktuell sei das Thema Konservierung der Langlebigkeit noch kein Bewertungskriterium der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN), der Herausgeberin der Roten Liste der bedrohten Arten. Es bedürfe entscheidender neuer politischer Maßnahmen und Aktionen, um die entscheidenden ökologischen Funktionen und Leistungen alter, weiser und großer Tiere zu schützen und wiederherzustellen.
So sollte laut Kopf beispielsweise die formelle Anerkennung und Vermeidung von „Überfischung durch Langlebigkeit“ ins Fischereimanagement aufgenommen werden, um die langfristige Nachhaltigkeit der Fischerei zu gewährleisten.
Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und bedrohter Arten sollten auch die Altersstruktur schützen. „Dies ist besonders wichtig bei langlebigen Arten, die mit zunehmendem Alter mehr Nachkommen produzieren oder bei denen Migration, soziale Netzwerke und die kulturelle Weitergabe von Wissen für das Überleben wichtig sind.“