
9. Januar 2025, 13:28 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ameisen sind soziale Insekten und leben in großen Gemeinschaften. Da gibt es auch schon mal Streitigkeiten – vor allem unter rivalisierenden Kolonien. Eine Studie zeigte nun erstmals, dass Ameisen aus schlechten Erfahrungen mit ihren Nachbarn lernen und nachtragend sind. Manche rächen sich sogar an ihren Artgenossen.
Wer im sozialen Verbund zusammenlebt, muss wissen, wer Freund und wer Feind ist. Ameisen erkennen ihre Nestmitglieder am Geruch und wissen genau, wer zur Sippe gehört und wer nicht. Doch Forscher fanden jetzt heraus, dass sich die kleinen Insekten sogar merken, mit welchen fremden Artgenossen sie schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Etwa, weil sie von ihnen attackiert worden sind. Diesen begegnen sie beim nächsten Mal mit erhöhter Aggression. Man könnte auch sagen: Ameisen sind nachtragend. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht.
Erkennen Ameisen woher fremde Artgenossen stammen?
Dass sich Ameisen untereinander regelrecht bekriegen und fremde Nester überfallen, ist bereits bekannt und gut erforscht. Eine Sache gab Wissenschaftlern bisher jedoch Rätsel auf: Ameisen verhalten sich besonders aggressiv gegenüber Individuen, die aus Nachbarkolonien stammen, die besonders nah an der eigenen liegen. Wahrscheinlich kommt es zwischen diesen Kolonien öfter zu Konflikten. Doch woher wissen die Ameisen, aus welchen Kolonien fremde Artgenossen stammen und wie weit diese entfernt liegen?
Um Licht ins Dunkel der Ameisen-Rivalität zu bringen, untersuchte ein Team von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe Evolutionsbiologie und Tierökologie an der Universität Freiburg, wie sich Schwarze Gartenameisen (Lasius niger) verhalten, wenn sie mit verschiedenen Artgenossen aus fremden Nestern konfrontiert werden. Würden die Ameisen einen Unterschied zwischen den einzelnen Individuen machen, oder attackieren sie generell jeden, der „fremd“ ist und nicht zur eigenen Kolonie gehört?
Der „Unangenehme-Nachbar-Effekt“
Die Forscher führten das Experiment in zwei Phasen durch. In der ersten Phase, die den Namen „Unangenehmer-Nachbar-Effekt“ trug, sollten die Ameisen verschiedene Erfahrungen mit Artgenossen sammeln. Eine Gruppe traf auf Ameisen aus dem eigenen Nest, die zweite Gruppe auf Ameisen aus einem rivalisierenden Nest A und die dritte Gruppe auf Ameisen aus einem rivalisierenden Nest B. Dabei lag Nest A näher an der Kolonie der Testameisen. Es ist also davon auszugehen, dass die Tiere mit diesen Individuen bereits negative Erfahrungen gemacht hatten, als mit den Ameisen aus dem weiter entfernt liegenden Nest B.
In der zweiten Testphase wurde untersucht, wie sich die Ameisen aus den verschiedenen Gruppen verhielten, wenn sie auf die Konkurrenten aus Nest A trafen. Würden die Tiere sich erinnern, dass die Rivalen sich ihnen gegenüber aggressiv verhalten hatten, und entsprechend reagieren?
Ameisen sind nachtragend
Tatsächlich erinnerten sich die Testameisen an negative Erfahrungen, die sie bei Begegnungen mit Rivalen in der ersten Phase gemacht hatten. Dabei verhielten sie sich aggressiver, wenn sie auf Ameisen aus einem Nest trafen, das sie zuvor als aggressiv erlebt hatten, als gegenüber Ameisen aus ihnen unbekannten Nestern. Sie erkannten aber nicht etwa einzelne Individuen wieder, sondern reagierten generell aggressiver auf Ameisen, die aus dem näher gelegenen Nest A stammten und mit dessen Individuen sie bereits schlechte Erfahrungen gesammelt hatten. Tiere, die auf Mitglieder eines Nestes trafen, aus dem sie zuvor nur passive Ameisen getroffen hatten, waren hingegen weniger aggressiv. Das zeigt: Ameisen sind nachtragend.
Die Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass Ameisen am Geruch erkennen, welche Artgenossen aus welchen Nestern stammen. Die Forscher vermuten, dass dies über bestimmte Kohlenwasserstoffe geschieht. So haben bereits frühere Studien gezeigt, dass Ameisen Kohlenwasserstoffe mit einer Futterbelohnung in Verbindung bringen können. In dem Fall ist der Effekt andersherum: Die Ameisen verknüpfen die Erkennungshinweise der Rivalen mit der „schlechten Erfahrung“, wenn diese sie angreifen. Deshalb sind sie aggressiver, wenn sie mit Konkurrenten aus Nestern konfrontiert werden, die sie bereits kennen.
Ameisen rächen sich an fremden Artgenossen
„Mit unseren Experimenten zeigen wir, dass die spezifische Erfahrung von Individuen zur Verhaltensvariation beiträgt“, schreiben die Forscher in ihrer Diskussion der Ergebnisse. Diese zeigen, dass Ameisen aggressiver gegenüber Artgenossen aus anderen Nestern sind, wenn sie bereits mit anderen Individuen aus derselben Kolonie schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Wird eine Ameise also von einem Konkurrenten der benachbarten Kolonie attackiert, merkt sie sich deren Geruch. So erkennt sie später, ob fremde Ameisen, die ihr begegnen, aus demselben Volk stammen, und verhält sich ihnen gegenüber aggressiv – auch wenn diese in diesem Moment vielleicht gar nicht angreifen. Ameisen sind also nicht nur nachtragend – sie rächen sich auch an Mitgliedern fremder Nester.
Effekt war nicht sehr robust
Dass Ameisen nachtragend sind, ergibt aus biologischer Sicht einen Sinn. Die Verteidigung des eigenen Nestes ist ein hochkomplexes Verhalten. Zu erkennen, welche Artgenossen für die eigene Kolonie potenziell eine Gefahr darstellen, ist von Vorteil. Doch der Effekt, dass Ameisen gegenüber Artgenossen aus bekannten Nachbarkolonien aggressiver sind als gegenüber unbekannten, war in allen Experimenten nicht sehr robust, wie die Forscher schreiben. Das lässt sich auch an den Grafiken der Ergebnisse sehen, die generell eine große Streuung aufweisen. Das bedeutet also, dass es relativ viele Individuen gab, die sich ganz anders verhielten.
Dies kann zum einen auf Unterschiede im Versuchsdesign zurückzuführen sein, wie auch die Forscher selbst anmerken. Wahrscheinlich wird aber auch die Kaste der einzelnen Ameisen eine Rolle gespielt haben. Wie viele soziale Insekten leben Ameisen in arbeitsteilig organisierten Staaten. Dabei übernehmen drei Kasten jeweils verschiedene Aufgaben: Während die Königin Eier legt und die Männchen diese befruchten, versorgen die Arbeiterinnen den Nachwuchs und kümmern sich um die Nahrung und den Nestbau. 1
Individuelle Variationen
Da Sammler mehr Zeit außerhalb des Nestes verbringen, haben sie in der Regel mehr Erfahrung mit fremden Artgenossen. Das ermöglicht es ihnen später, Eindringlinge besser zu erkennen und damit früher anzugreifen, schreiben die Forscher. Im Experiment könnte dies dazu geführt haben, dass ältere Arbeiterinnen, insbesondere Sammlerinnen, aggressiver waren als Arbeiterinnen innerhalb des Nestes.
„Da sich die Individuen in den Erfahrungen, die sie machen, unterscheiden, führt dieser Prozess zu individuellen Variationen im Nestabwehrverhalten, was darauf hindeutet, dass es bei sozialen Insekten weit mehr Individualität gibt, als durch Alterspolyethismus oder Größenpolymorphismus allein vorhergesagt werden würde“, schlussfolgern die Forscher.

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Sind auch Bienen nachtragend?
„Wir haben oft die Vorstellung, dass Insekten wie vorprogrammierte Roboter funktionieren“, zitiert das Fachmagazin „Physorg“ Studienleiter Dr. Volker Nehring. „Unsere Studie liefert neue Beweise dafür, dass im Gegenteil auch Ameisen aus ihren Erfahrungen lernen und nachtragend sein können.“ Als Nächstes wollen Nehring und sein Team untersuchen, ob und inwiefern Ameisen ihre Geruchsrezeptoren an ihre Erfahrungen anpassen und damit auch das Gelernte auf dieser Ebene widerspiegeln.
Zudem vermuten die Forscher ähnliche Effekte bei anderen sozialen Insekten. So könnten also nicht nur Ameisen, sondern auch Honigbienen oder Termiten nachtragend sein. Denn auch sie leben in großen Kolonien zusammen und werden von Nachbarvölkern angegriffen. Für sie ist es also ebenso wichtig zu unterscheiden, wer zum eigenen Nest gehört und wer aus einem Volk kommt, das in der Vergangenheit die eigene Kolonie angegriffen hat.