24. Juni 2023, 8:25 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bei der umstrittenen Jagd auf Grindwale und weitere Delfinarten vor den Färöer-Inseln sterben jedes Jahr hunderte Tiere – mehr als 500 sind es bereits in diesem Jahr. Für viele Bewohner ist es eine Tradition, Tierschützer kritisieren das Vorgehen scharf. PETBOOK sprach mit einem Biologen, der sich seit 15 Jahren mit der Thematik beschäftigt.
Die Meinungen gehen stark auseinander im Hinblick auf die sogenannte „Grindadráp“. Für die Einwohner der Färöer-Inseln im Nordatlantik ist die Treibjagd auf Grindwale und weitere Delfinarten, wie den Weißseitendelfin, eine jahrhundertealte Tradition, die sie fortführen. Die Jäger treiben die Tiere mit Booten in Buchten und töten sie dort im seichten Wasser. Aufnahmen zeigen, wie sich das Wasser blutrot färbt. Tierschützer dagegen verurteilen die Art und Masse des Tötens. Im September 2021 wurden etwa an einem einzigen Tag mehr als 1400 Weißseitendelfine im Skálafjord getötet. Dabei handelt es sich um die höchste Zahl jemals bei einer Delfinjagd getöteter Exemplare. In diesem Jahr liege die Zahl Berichten der „Tagesschau“ zufolge bereits bei mehr als 500 Tiere. Ulrich Karlowski, Biologe und Vorstand der Deutschen Stiftung Meeresschutz, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit der Thematik.
Übersicht
»Die Delfine erleben das Sterben ihrer Familienmitglieder bei vollem Bewusstsein
PETBOOK: Bei der Jagd auf Delfine und Grindwale vor den Färöer-Inseln handelt es sich nicht um ein einmal im Jahr stattfindendes Ereignis.
Ulrich Karlowski: Die Jagd findet, wenn es die Umstände zulassen, immer dann statt, wenn eine Gruppe von Tieren in der Nähe der freigegebenen Buchten gesichtet wird. Das ist im Winter aufgrund des Seegangs und der Wetterbedingungen seltener der Fall als im Sommer.
Was bedeutet das genau für die Tiere?
Das Töten der Tiere in den Buchten läuft nicht tierschutzgerecht ab. Sie müssen eine unvorstellbare Qual aushalten, bis die Erlösung in Form des Todes kommt. Die Jäger durchtrennen ihr Rückenmark, das Bewusstsein der Meeressäuger schalten sie dadurch nicht aus. Denn ihr Organismus ist von Natur aus darauf ausgelegt, unterschiedlich lange Zeit auch ohne Sauerstoffzufuhr überleben zu können. Die Grindwale und Delfine sind daher bei vollem Bewusstsein, wenn sie ausbluten. Sie bekommen das Sterben ihrer Familienmitglieder mit.
Keine bedrohten Arten von der Delfinjagd betroffen
Sind die Tiere bedroht?
Nein, weder der Grindwal noch Weißseitendelfine sind gefährdet. Mitunter sind Entenwale ebenfalls betroffen, über deren Populationsgröße ist weniger bekannt. Bedrohte Arten sind von der Jagd daher nicht betroffen. Dennoch sind die Arten immensem Druck in ihrem Lebensraum ausgesetzt. Mit der Jagdpraxis der Bewohner der Färöer-Inseln kommt noch ein Punkt hinzu, der sie auf ihren Wanderungen dezimiert.
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Wirkt sich die Delfinjagd auf die Population aus?
Im letzten Jahr wurden geschätzte zwei Prozent der Weißseitendelfine der Population im Nordatlantik auf einen Schlag getötet. Das mag zunächst nicht viel klingen. Im Hinblick auf die Gesamtpopulation ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass nur knapp die Hälfte der Tiere Weibchen sind. Von denen wiederum sind ein Drittel bis zwei Drittel der Weibchen vermehrungsfähig. Die Widerstandsfähigkeit der Population gegenüber äußeren Einflüssen sinkt dadurch erheblich. Die Jagd der Inselbewohner spielt daher durchaus eine Rolle. Für die Art ist sie in diesem Ausmaß nicht gefährdend.
»Das Fleisch von Grindwalen und Delfinen ist stark kontaminiert
Was passiert mit den getöteten Tieren?
Die Jagd findet nicht aus kommerziellen Gründen statt. Die Bewohner teilen das Fleisch unter denen, die es haben möchten, kostenlos auf. Reste werden zu Futtermittelbestandteilen weiter verarbeitet.
Handelt es sich bei dem Fleisch um eine Delikatesse?
Bei den Bewohnern der Färöer-Inseln mag das so sein. Früher war es sicherlich so, damit meine ich vor 100 bis 150 Jahren, als die Jagd eher sporadisch erfolgreich war. Heute müsste das Fleisch aufgrund der Belastung mit Umweltgiften eigentlich auf der Mülldeponie entsorgt werden. Ob es sich bei dem Fleisch in anderen Ländern um eine Delikatesse handelt, die exportiert wird, ist nicht bekannt.
Sollten Menschen das Fleisch der Delfine heute noch essen?
Beim Delfinfleisch handelt es sich um ein stark kontaminiertes Nahrungsmittel. Die Inselbewohner konsumieren damit viele Giftstoffe, wie Quecksilber, PCB und andere Umweltgifte. Dazu gehören auch Gifte, die zum Teil noch gar nicht untersucht sind. Denn die Tiere befinden sich auf der oberen Nahrungsebene, was dazu führt, dass sich in ihrem Fett, ihren Organen und dem Muskelgewebe Gifte ansammeln. Das ist besonders für Schwangere und ihre ungeborenen Kinder gefährlich und mit Gesundheitsrisiken verbunden. Vor einigen hundert Jahren mag die Bevölkerung auf diese Nahrung angewiesen gewesen sein, aktuell ist das nicht der Fall.
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»Die Delfinjagd kann die genetische Widerstandsfähigkeit der Arten beeinträchtigen
Dient die Delfinjagd der notwendigen Eindämmung der Population auf den Färöer-Inseln?
Nein, die Jagd ist weit davon entfernt, etwas mit dem Management der Population anderer Länder zu tun zu haben.
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Wie schätzen Sie das Vorgehen auf den Färöer-Inseln aus Ihrer Sicht als Biologe ein?
Die Grindwaljagd löscht immer Familienverbände in Toto aus. Sowohl schwangere Tiere, Männchen und Jungtiere, in unterschiedlicher Größe, sterben. Der Population werden damit wichtige genetische Informationen entnommen. In einem Familienverband könnten beispielsweise verschiedene genetische Variationen vorhanden gewesen sein. Etwa könnte das, vollkommen spekulativ, die Fähigkeit sein, besser in wärmeren Wassertemperaturen überleben zu können. Die Gesamtentnahme ganzer Familienverbände beeinträchtigt diese sogenannte genetische Widerstandsfähigkeit einer Art. Es ist möglich, dass dabei eine Gruppe von Tieren vernichtet wird, dessen wichtige genetische Ausrüstung sich in der Gesamtpopulation durchgesetzt hätte.