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Seit 52 Jahren in Gefangenschaft

Biologe warnt: „Den Orca Lolita auf sich allein gestellt freizulassen, wäre eine Katastrophe“

Orca Lolita im Miami Seaquarium
Orca Lolita, auch bekannt als Tokitae, im Jahr 2012 im Miami Seaquarium, wo sie jahrzehntelang als Touristenattraktionen auftreten musste Foto: picture alliance / abaca | Geyres Christophe/ABACA
Ninja Sinke Autorin

14. April 2023, 16:25 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Nach einem halben Jahrhundert in Gefangenschaft soll der im Miami Seaquarium lebende Orca Lolita künftig in einem Meeresrefugium leben dürfen. So verkündeten es die Eigentümer des Ozeaniums und ihre Partner auf einer Pressekonferenz in Miami, Ende März dieses Jahres. Viele Befürworter dieses Vorhabens reagieren erfreut, doch auch kritische Stimmen werden laut. PETBOOK sah sich die Vergangenheit des Tieres genauer an und sprach mit einem Experten über das Vorhaben.

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Sie wurde 1970 als Jungtier im Nordwesten des Pazifiks gefangen, von ihrer Familie getrennt und in ein Betonbecken in Miami gebracht. Dort lebt der weibliche Orca Lolita, auch bekannt als Tokitae oder Toki, seit fast 53 Jahren. Mehr als 40 Jahre davon ohne andere Artgenossen. Ende März dieses Jahres verkündeten die Betreiber des Miami Seaquariums auf einer Pressekonferenz Pläne für ihre Umsiedlung in ein Meeresrefugium. Doch ist die Entscheidung über Lolitas Zukunft für den Orca wirklich ein Segen? Unklar ist, ob der Orca mit seinem angeschlagenen Gesundheitszustand dem anstehenden Transport und neuen Lebensbedingungen gewachsen ist. PETBOOK sprach dazu mit Biologe Ulrich Karlowski, von der gemeinnützigen Organisation Deutsche Stiftung Meeresschutz, über seine Einschätzung der Situation.

Als Orca-Kalb brutal von der Familie getrennt

Als gerade mal vierjähriges Orca-Kalb fing man Lolita im August 1970 in den berüchtigten Penn-Cove-Fängen nahe Seattle im Bundesstaat Washington ein, wie die Tierschutzorganisation World Animal Protection berichtet. Zusammengetrieben wurden dabei etwa 80 Mitgleider der Orca-Population. Lolita wurde nicht nur von ihrer Familie getrennt und aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt. Mindestens fünf Orcas ertranken infolge der Fangaktion in Netzen im Ozean. Die überlebenden Kälber wurden in Marineparks gebracht, so auch Lolita in das Miami Seaquarium. Dort erhielt sie ihren Show-Namen Lolita. Ein Tierarzt benannte sie zuvor als Tokitae, was in der Chinook-Sprache „schöner Tag, schöne Farben“ bedeutet. Ein positiver Name für ein Tier mit brutaler Vergangenheit.

Seit 1980 ist Lolita der einzige Orca im Becken

Die meisten der ehemals wilden Orcas, die mit Lolita gefangen wurden, überlebten in den Marineparks nicht lange. Das Schwertwalweibchen ist eine der wenigen Ausnahmen. Gesellschaft erhielt sie in dem viel zu kleinen Becken von einem männlichen Orca namens Hugo, so berichtet es die Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) auf ihrer Internetseite. Nach 10 Jahren verstarb Hugo jedoch an einem Hirn-Aneurysma – er hatte wiederholt mit dem Kopf gegen die Beckenwand geschlagen. Seitdem teilt Lolita sich das Becken mit einem Weißseitendelfin namens Lii, Artgenossen hat sie jedoch nicht.

Auch interessant: Warum Orcas die größten „Muttersöhnchen“ im Tierreich sind 

»Das Miami Seaquarium ist notorisch für die schlechte Behandlung der Tiere bekannt

Das Becken, in dem Orca Lolita ihren Alltag verbringt, entspreche der Tierschutzorganisation WDC nach nicht den Vorgaben der US-Behörden. Vor zwei Jahren, 2021, veröffentlichte das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) einen Bericht, der die alarmierenden Haltungsbedingungen im Miami Seaquarium dokumentiert. Unter anderem machte dieser Bericht bekannt, dass die Tiere in schmutzigem Wasser und mit schlechtem Futter leben müssen. Auch das offensichtliche Missachten von tierärztlichen Anweisungen sorgte nach Veröffentlichung des Berichts für Empörung.

Auch in Deutschland weiß man um die Umstände der Tierhaltung im Miami Seaquarium. Biologe Ulrich Karlowski von der Stiftung Deutscher Meeresschutz berichtet im Gespräch mit PETBOOK, das Miami Seaquarium sei „notorisch dafür bekannt, dass die Tiere dort schlecht behandelt werden und die Becken viel zu klein sind.“ Er spricht außerdem von wenig Mitgefühl oder gar Einfühlungsvermögen für die dort gehaltenen Meeresbewohner.

Pläne für eine Umsiedlung von Lolita in ein Refugium gibt es wohl seit mindestens 10 Jahren

Tierrechts-Aktivisten, Demonstranten und sogar Anwälte setzen sich seit Jahrzehnten für den Orca Lolita ein – lange Zeit ohne Erfolg. Im März 2022 geschieht eine erste Veränderung, als der Besitzer des Miami Seaquarium wechselt. Die neuen Besitzer bekommen keine amtliche Erlaubnis mehr, Orca Lolita und Delfin Lii gegen Bezahlung einem Publikum präsentieren zu dürfen, berichtet auch die Tierschutzorganisation WDC zu dem Zeitpunkt. Seitdem kehrt für die beiden Tiere etwas mehr Ruhe ein. Außerdem erhält Lolita regelmäßige unabhängige Gesundheits-Checks, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Gerüchte zu einer möglichen Umsiedlung kamen immer häufiger an die Oberfläche. Denn die Pläne, Lolita in ein Meeresrefugium zu bringen, gibt es wohl seit mindestens zehn Jahren, das geht aus einer Mitteilung der Tierschutzorganisation WDC hervor. Knapp ein Jahr später findet dann endlich eine öffentliche Verkündigung Ende März dieses Jahres statt: Der neue Eigentümer des Miami Seaquarium, Pritam Singh, Mitbegründer der Organisation Friends of Lolita und Jim Irsay, Unternehmer und Spendengeber der Umsiedlung waren dabei anwesend. Sie eröffnen dabei auch, dass einer Umsetzung der Pläne noch eine ausstehende Zustimmung der Bundesbehörden im Wege stehe.

»Lolita in ein Meeresrefugium zu bringen, wäre das Beste

Nach Erhalt der Transporterlaubnis, die noch aussteht, steht für den Orca Lolita die Umsiedlung in ein Meeresschutzgebiet vor der Küste des Staates Washington und Kanadas an. Im Refugium in ihrem Heimatgewässer soll das Tier im bestmöglichen Fall lernen, sich selbst zu versorgen und zu jagen, berichtet die Tierschutzorganisation International Marine Mammal Project (IMPP) in einer Mitteilung. Die Vereinbarung mit Lolitas Besitzern sieht vor, dass die Organisation Friends of Toki die Verantwortung für die gesamte tierärztliche Versorgung und Pflege des Schwertwals übernimmt. Dazu gehört auch die Suche nach einem Umsiedlungsort sowie der Bau und die personelle Ausstattung des Rückzugsorts. Ulrich Karlowski erklärt für PETBOOK: „Für den Bau eines Meeresrefugiums wird ein Teil einer Bucht mit entsprechenden Netzkonstruktionen abgesperrt. Das Tier hat dort viel mehr Platz als im Becken und eine natürliche Umgebung. Menschen müssen sich aber weiterhin um den Orca kümmern.“

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Für den Experten wäre die Freilassung des Orcas eine Katastrophe

Richtung und Erfolg der Umsiedlung von Lolita sind trotz aller Bemühungen abhängig von dem Orca selbst. Aus der Mitteilung der Tierschutzorganisation IMPP geht hervor, dass der Gesundheitszustand des Tieres zwangsläufig über die Umsetzung der Pläne bestimmen wird. „Ein Umzug ist für das Tier immer mit Stress verbunden“, erklärt auch Ulrich Karlowski im Gespräch mit PETBOOK. „Die Umsiedlung von Florida nach Washington sollte man dennoch versuchen, wenn aus tierärztlicher Sicht nichts dagegenspricht.“

Eine vollständige Freilassung des Orcas Lolita kann Karlowski sich dagegen aktuell nicht vorstellen. Die Überlebenschancen des Tieres wären gleich null. „Das wäre Tierquälerei und eine Katastrophe. Sich im Meer zu orientieren, das ginge zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht.“ Aufgrund seines hohen Alters hätte der Orca nicht die Fähigkeit, auf sich alleine gestellt zu überleben, so Karlowski weiter. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Bedingungen für Lolitas Umsiedlung diesen Schritt in naher Zukunft ermöglichen werden und sie zumindest in ihre Heimatgewässer zurückkehren kann.

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