29. September 2024, 8:07 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Tierhybride gibt es in der Natur viel häufiger als man meinen könnte. Zu diesen Kreuzungen zweier Arten zählt auch der sogenannte „Cappuccino-Bär“ – eine Kreuzung aus Braun- und Eisbär, die auf clevere Weise den Klimawandel austrickst.
Haben Sie schon mal etwas von „Cappuccino-Bären“, Pizzlys oder Brolar-Bären gehört? Diese Tiere sind eine Hybridform, die aus Braunbären oder Grizzlys und Polarbären entsteht. Lange hielten die Wissenschaftler diese Paarung für unmöglich, da die beiden Arten unterschiedliche Lebensweisen und -räume hatten. Doch der Klimawandel bringt Eisbären und Grizzlys näher zusammen, weshalb es in Zukunft wohl noch viel mehr Hybridbären gibt. Es ist nicht einmal das erste Mal, dass „Cappuccino“-Bären sich auf dem Vormarsch befinden, denn wirklich getrennt sind die beiden Arten scheinbar erst seit 70.000 Jahren. In evolutionären Verhältnissen ist das nichts – und vor allem nicht in Stein gemeißelt.
Übersicht
- „Cappuccino-Bären“ zunächst nicht anerkannt, sondern gejagt
- Hybride „Cappuccino-Bären“ kommen in Zukunft wohl häufiger vor
- Mehrere Generationen von „Cappuccino-Bären“ nachgewiesen
- „Cappuccino-Bären“ passen sich an veränderte klimatische Bedingungen an
- Während der letzten Eiszeit gab es schon einmal „Cappuccino-Bären“
- Quellen
„Cappuccino-Bären“ zunächst nicht anerkannt, sondern gejagt
2006 wurde der erste „Cappuccino-Bär“ auf dem nordamerikanischen Kontinent gesichtet. Im nördlichen Kanada, in der Provinz Nunavut, wurde ein vermeintlicher Eisbär von einem Jäger geschossen. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass der Bär ein Hybrid aus Eisbär und Grizzly war. Der Fall ging damals durch die Medien, weil Jäger Jim Martell sich für 50.000 US-Dollar eine Lizenz zur Jagd von Eisbären gekauft hatte. Ihn erwartete eine Strafe von 1000 Dollar, da er den falschen Bären getötet hatte. Einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von „Cappuccino-Bären“ und dem Klimawandel sahen die Medien damals nicht. Auch den Abschuss von Eisbären, die ebenfalls im Jahr 2006 als gefährdet eingestuft wurden, sah man nicht als problematisch an.
Vor dem „Fund“ in Kanada und einem zweiten im Jahr 2010, waren die Hybridbären nur aus versehentlichen Verpaarungen in Zoos und Tierparks bekannt. Im Zoo Osnabrück lebten die beiden Hybridbären Tips und Taps, die 2004 geboren wurden. Die Tiere entstanden durch einen Unfall, da man damals noch davon ausging, dass Eisbären und Braunbären sich nicht miteinander paaren könnten. So wurden drei unterschiedliche Arten von Bären in einem Gehege gehalten.
2005 schämte man sich noch im Zoo wegen der entstandenen Hybridbären. „Bastarde“ wurden Tips und Taps damals genannt. „Sie sind halb Eisbär, halb Europäischer Braunbär“, sagte Biologe Jörg Fliße dem „Tagesspiegel“. Tips und Taps seien wohl die Einzigen ihrer Art, befand er damals. Es sei ein Unfall im Zooalltag gewesen, über den sie nur ungern öffentlich redeten, denn er zeuge von einer nicht artgerechten Tierhaltung. In freier Wildbahn liefen sich beide Bären nicht über den Weg. „Mischlinge sind wider die Natur“, schrieb der Tagesspiegel.
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Hybride „Cappuccino-Bären“ kommen in Zukunft wohl häufiger vor
In den folgenden Jahren änderte sich der Blick auf das Vorkommen von „Cappuccino-Bären“. Am 11.4.2013, zur Eröffnung der Klimatopia-Aussstellung, wurden die beiden Hybridbären Tips und Taps zu Klimabotschaftern erklärt. Bär Taps lebt mittlerweile alleine im Zoo von Osnabrück, seine Schwester brach 2017 aus dem gemeinsamen Gehege aus und wurde erschossen, wie unter anderem der „Spiegel“ berichtete. Auch die wild lebenden Verwandten der Hybridbären wurden genauer untersucht. Forscher kamen in einer Studie bereits 2021 zu dem Schluss, dass die hoch spezialisierte Ernährungsweise der Eisbären ihre Fähigkeit, sich an die erwärmende Arktis anzupassen, stark begrenze.
Doch anscheinend haben die Eisbären einen anderen Weg gefunden, sich an den Klimawandel anzupassen. Sie sind nahe Verwandte der Grizzlys. Die Arten können sich miteinander verpaaren, sowie Nachwuchs zeugen. Lange galt dies in der Natur als unwahrscheinlich, da Eisbären während der Paarungszeit der Grizzlys eher im Meer unterwegs sind, um Robben und andere Tiere zu jagen. Mehr und mehr scheint jedoch das Verbreitungsgebiet der Tiere zu überlappen, sodass Grizzlys und Eisbären sich auch in der Natur häufiger begegnen.
Mehrere Generationen von „Cappuccino-Bären“ nachgewiesen
Eine Gruppe von Forschern hat 2017 einige hybride „Cappuccino-Bären“ untersucht und konnte feststellen, dass sich eine Eisbärin mit zwei Grizzlys gepaart hatte und Jungen mit cremebraunen Fell zur Welt brachte. Dies scheint jedoch keine Präferenz der Bärin für Männchen mit dunklem Fell zu bedeuten, sondern ist vielmehr eher evolutionär bedingt und bringt den Tieren Vorteile. Ihre Nachkommen waren ebenfalls „Cappuccino-Bären“, die sich wiederum auch mit Grizzlys paaren konnten. Dadurch wurde ihre Fellfarbe wieder etwas dunkler, sodass man sie wahrscheinlich eher „Espresso-Macchiato-Bären“ nennen könnte.
„Normalerweise sind Hybriden nicht besser an ihre Umgebung angepasst als ihre Eltern“, sagte Larisa DeSantis, Paläontologin und außerordentliche Professorin für Biowissenschaften an der Vanderbilt University in Tennessee, gegenüber dem Wissenschaftsmagazin LiveScience. Es bestehe aber die Möglichkeit, dass diese Hybriden in der Lage sind, ein breiteres Spektrum an Nahrungsquellen zu erschließen.
„Cappuccino-Bären“ passen sich an veränderte klimatische Bedingungen an
Zudem haben Eisbären längere Schädel, was sie zu Experten darin macht, Robben aus dem Meer zu fischen, so DeSantis weiter. „Aber ihre Backenzähne sind kleiner als typisch für ihre Körpergröße, weil sie den ganzen Tag nur Blubber fressen.“ Als Blubber wird die energiereiche Fettschicht von Walen und Robben bezeichnet, die Eisbären mit Vorliebe verschlingen, um ihren Kalorienbedarf zu decken. Grizzlys hingegen könnten laut DeSantis fressen, was sie wollen. „Wir wissen es noch nicht, aber vielleicht könnte der Zwischenschädel des Pizzly einen biomechanischen Vorteil bieten.“
Eisbären sind bedroht und finden in den arktischen Gewässern durch den Klimawandel immer weniger Beute. Daher ziehen sie gen Süden, sodass sich ihre Habitate mit denen der Grizzlys häufiger überschneiden. Dort finden die Eisbären anderes Futter, aber dadurch kommt auch es zu mehr Kontakt und auch Paarungen zwischen den Arten. In Zukunft ist es daher wahrscheinlich, dass es immer mehr „Cappuccino-Bären“, die auch Pizzlys oder Grolar-Bär genannt werden, geben wird.1
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Während der letzten Eiszeit gab es schon einmal „Cappuccino-Bären“
Eine Studie konnte bereits 2012 nachweisen, dass Braunbären und Eisbären sehr nahe Verwandte sind, die sich erst vor 500.000 bis 600.000 Jahren in unterschiedliche Arten teilten. Anhand paläontologischer Funde konnten die Wissenschaftler aber auch beweisen, dass es vor 110.000 bis 130.000 Jahren schon einmal zu einer Hybridisierung kam. Bei der Untersuchung eines Eisbären-Kieferknochens wurde eine sehr nahe Verwandtschaft zwischen in Norwegen lebenden Eisbären und Alaska lebenden Braunbären belegt.2
Dieser Fund passt in die jüngste Kaltzeit der Pleistozän-Eiszeit, als auch Mammuts die Erde bevölkerten und sich kilometerhohe Gletscher bildeten. Unter anderem fror die Beringsee zwischen Asien und Nordamerika in dieser Zeit zu, sodass zuvor isolierte Populationen in Kontakt kommen konnten. Im Falle von Eis- und Braunbären war der Kontakt wohl auch damals schon mehr als freundschaftlich. Tatsächlich sollen sich die beiden Arten erst vor 70.000 Jahren wirklich wieder getrennt haben, wie eine Studie 2024 nachweisen konnte.3
Eine weitere Studie konnte 2018 nachweisen, dass sich die Verbreitung von hybriden Bären jedoch nicht auf die Kaltzeiten beschränkt, sondern auch verstärkt vorkommt, wenn das Klima dauerhaft wärmer wird. „Die Vermischung zwischen Eisbären und Braunbären ist geografisch weitverbreitet“, schrieben die Wissenschaftler. Zudem stehe sie im Zusammenhang mit Klimaschwankungen während der letzten Eiszeit und der gegenwärtigen Wärmeperiode. Die Ergebnisse deuteten sogar darauf hin, dass eine Vermischung wahrscheinlich immer dann stattgefunden hat, wenn sich die Verbreitungsgebiete dieser beiden Arten überschnitten hätten.4
Ob man sie nun „Cappuccino-Bären“ oder Pizzlys nennen möchte, die Tiere sind auf keinen Fall als „Bastarde“ anzusehen. Stattdessen sind sie ein Zeichen dafür, wie Eisbären die Evolution nutzen, um Phasen des Klimawandels auszutricksen.