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Dehnel-Phänomen

Warum manche Tiere im Winter ihr Gehirn schrumpfen

Ein Maulwurf gräbt sich aus seinem Maulwurfshügel aus
Maulwürfe haben einen sehr aktiven Stoffwechsel, der ihnen im Winter zum Verhängnis werden kann. Daher sparen die Tiere Energie, indem sie ihr Hirn und ihren Schädel schrumpfen. Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

30. November 2024, 8:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Den Winter zu überstehen ist leicht, wenn man als Mensch in einer warmen Wohnung sitzen kann. Doch wie handhaben dies eigentlich Tiere? Nicht alle fallen in einen monatelangen Schlaf. Manche schrumpfen mithilfe des Dehnel-Phänomens einfach ihr Gehirn.

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Winterstarre, -ruhe oder -schlaf – es gibt viele Arten, wie Tiere über die kalte Jahreszeit kommen. Doch Maulwürfe und einige andere Tiere nutzen eine ganz besondere Taktik: Sie schrumpfen einfach ihr Hirn. Das belegen internationale Studien, die sich mit dem sogenannten Dehnel-Phänomen befassen.

Geschrumpfte Organe bei Säugetieren durch das Dehnel-Phänomen

Das Phänomen ist dafür verantwortlich, dass die Köpfe von kleinen Säugetieren schrumpfen können. Dies ist bereits für einige Arten belegt, unter anderem bei Spitzmäusen, Hermelinen und Wieseln. Kleine Tiere mit einem sehr aktiven Stoffwechsel verlieren dadurch in Vorbereitung auf das limitierte Nahrungsangebot im Winter bis zu 30 Prozent der Körpermasse. Dies gilt auch für ihre Organe und Knochen.

Benannt nach dem polnischen Wissenschaftler August Dehnel, galt das gleichnamige Phänomen lange als reine Theorie. Bereits 1949 erstmals beobachtet, erlangte es jüngst jedoch größere Bekanntheit. Es besagt, dass die Köpfe von kleinen Säugetieren nicht nur schrumpfen können, sondern im Frühling und Sommer das verlorene Gewebe und die Knochenmasse auch wiederherstellen. Ein regenerativer Therapieansatz, der auch für Menschen nützlich sein könnte, erklärt das neuerwachte, rege Interesse der Forscher. 1

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Spitzmäuse werden durch Dehnel-Phänomen bis zu 30 Prozent kleiner

Bei Spitzmäusen ist das Phänomen bereits seit Längerem bekannt. Die Tiere schrumpfen nicht nur ihr Gehirn, sondern auch weitere Organe und ihren Schädel. So können sie im Winter auch mit einem geringeren Nahrungsangebot ihren schnellen Stoffwechsel mit weniger Energie betreiben.

In einer Studie aus dem November 2024 konnten Forscher nun auch belegen, wie dieser Prozess funktioniert. Dazu untersuchten sie den Hypothalamus der Tiere, in dem sich in den verschiedenen Jahreszeiten Unterschiede zeigten. 2

„Wir haben eine Reihe von Genen gefunden, die sich im Laufe der Jahreszeiten verändern und die an der Regulierung der Energiehomöostase beteiligt sind, sowie Gene, die den Zelltod regulieren und von denen wir annehmen, dass sie mit der Verringerung der Gehirngröße in Zusammenhang stehen“, sagte der Studienleiter William R. Thomas dem Wissenschaftsmagazin „Phys.org“.

Eruopäische Maulwürfe wenden auch Dehnels an …

2022 fand ein weiteres Forscher-Team auch heraus, dass Europäische Maulwürfe in Vorbereitung auf den Winter ebenfalls ihr Gehirn und ihren Schädel um bis zu elf Prozent schrumpfen können. Im Gespräch mit der Max-Planck-Gesellschaft erklärte Dr. Dina Dechmann, eine der Autorinnen der Studie, dass die Wissenschaftler am Anfang nicht verstanden hätten, was die wirklichen Druckpunkte für das Schrumpfen waren. Also die genauen Umweltauslöser, welche den Prozess des Dehnel-Phänomens antrieben. Zu diesem Zweck untersuchten sie den Europäischen und den Iberischen Maulwurf, der häufig in Spanien und Portugal vorkommt.

Das Nahrungsangebot des Iberischen Maulwurfs ist in den trockenen, mediterranen Sommern am geringsten. Daher stellten die Forscher die Theorie auf, dass das Dehnel-Phänomen beim Iberischen Maulwurf im Sommer stattfinden müsse. Die Brutzeiten beider Arten unterscheiden sich grundlegend. Der Iberische Maulwurf ist im milderen Winter am aktivsten und pflanzt sich dann fort. Beim Europäischen Maulwurf ist es umgekehrt und er zeigt die meiste Aktivität im Sommer.

Die Studie zeigte reversible Veränderungen an den Schädelgrößen der Europäischen Maulwürfe. So ließ sich im November ihres ersten Lebensjahres ein um bis zu elf Prozent kleinerer Schädel als im Sommer feststellen. Die Wissenschaftler konnten außerdem nachweisen, dass die Tiere im Frühling beginnen, ihren Kopf wieder zu vergrößern. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass im Juli das Nachwachsen der Schädel mit vier Prozent am größten war. Demnach ist es also erwiesen, dass der Europäische Maulwurf dem Dehnel-Phänomen unterliegt und seinen Schädel sowie sein Gehirn schrumpfen kann.

… Iberische Maulwürfe aber nicht

Die Forscher nahmen mehrere Messungen an den Köpfen und der Backenzahnreihe der beiden Maulwurf-Spezies vor. Einerseits sollte so ihre Hypothese belegt, andererseits das Alter der Tiere bestimmt werden. Zusätzlich zu den Messungen führten die Wissenschaftler CT-Scans durch, um die Knochendichte der verschiedenen Maulwurfsschädel bestimmen zu können.

Dabei zeigte sich, dass der Iberische Maulwurf keine Anzeichen eines verkleinerten Schädels zeigt und das ganze Jahr denselben Kopfumfang hatte. Somit hat sich diese Theorie der Forscher nicht bestätigen lassen, dass reduziertes Nahrungsangebot allein für das Schrumpfen der Gehirne von Maulwürfen verantwortlich sei. Sie gehen nunmehr davon aus, dass die Auffälligkeit ein saisonaler Faktor ist, der durch winterliches Klima bedingt ist. Wenig Futter könnte jedoch ein zusätzlicher Punkt sein, der das Dehnel-Phänomen bedingt. 3

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Dehnel-Phänomen erlaubt Reproduktion von Hirnmasse im Frühjahr

Alle Tiere, bei denen das Dehnel-Phänomen bisher nachgewiesen werden konnte, teilen eine ganzjährige Aktivität ohne Winterschlaf. Zudem haben sie einen schnellen Stoffwechsel und eine herabgesetzte Möglichkeit, Fett einzulagern. Weitere Studien müssen zeigen, ob die Tendenz zum Schrumpfen durch unterschiedlich tiefe Temperaturen vergrößert wird und wie die evolutionäre Entwicklung zustande kam.

Allerdings ergeben sich durch die Arbeiten an den Maulwürfen und Spitzmäusen auch Erkenntnisse dafür, wie die Tiere ihre Hirnmasse im Frühjahr wieder neu bilden. Das könnte von medizinischer Relevanz sein, denn wie der Hypothalamus bei Spitzmäusen schrumpft und wieder nachwächst, könnte eines Tages helfen, Abbau der Hirnmasse bei Menschen im Alter umzukehren. Denn beim Menschen sind viele Stoffwechselstörungen mit neurologischen Erkrankungen verbunden, der zum Abbau von Zellen führt.

Auch Dechmann sieht mögliche Auswirkungen auf die Humanmedizin in ihrer Forschung. Sie sagte der Max-Planck-Gesellschaft, dass Säugetiere, die Knochen- und Hirngewebe wieder nachwachsen lassen können, enormes Potenzial für die Erforschung von Krankheiten wie Alzheimer und Osteoporose hätten. „Je mehr Säugetiere wir mit Dehnels entdecken, desto relevanter werden die biologischen Erkenntnisse für andere Säugetiere und vielleicht sogar für uns.“ 4

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Quellen

  1. MPG.de, „Individuelles Schrumpfen und erneutes Wachsen als Winteranpassung bei hochmetabolischen Tieren“ (aufgerufen am 30.11.2024) ↩︎
  2. William R Thomas et al, Seasonal and comparative evidence of adaptive gene expression in mammalian brain size plasticity, eLife (2024). ↩︎
  3. Nováková, Lucie; Lázaro, Javier; Muturi, Marion; Dullin, Christian; Dechmann, Dina K. N. (2022): „Winter conditions, not resource availability alone, may drive reversible seasonal skull size changes in moles". The Royal Society. Collection.   ↩︎
  4. Max-Planck-Gesellschaft.de, „Maulwürfe schrumpfen ihr Gehirn im Winter“ (aufgerufen am 30.11.2024) ↩︎
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