7. Juni 2023, 17:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Viele denken, Dinosaurier seien die ältesten Tiere, die je auf unserem Planeten lebten. Doch das stimmt nicht. Ein unscheinbares Tier, von dem lange nicht mal klar wurde, ob man es überhaupt als solches bezeichnen kann, ist noch viel älter.
Über 100 Jahre haben Forscher nach dem ältesten Lebewesen auf unserem Planeten gesucht. In den letzten Jahren wurden die Möglichkeiten auf Schwämme oder Rippenquallen eingeschränkt, die bereits seit vielen Millionen Jahren existieren und sogar noch älter sind als die Dinosaurier. Allerdings wird auch noch immer darüber gestritten, ob man diese Lebensformen überhaupt als Tiere bezeichnen kann.
Eine Gruppe Wissenschaftler um Darrin Schultz von der Universität Wien in Österreich glaubt, nun den endgültigen Beweis erbracht zu haben, dass Rippenquallen das Rennen um das älteste Lebewesen auf dem Planeten gewonnen haben. Zu diesem Zweck haben sie fünf sehr urtümliche Stämme von Wesen untersucht, die sich früh aus der genetischen Entwicklung anderer Tierarten „ausgeklinkt“ haben. Laut den Forschern entstanden früh in der Evolution fünf Hauptlinien der Tiere, die bis heute überlebt haben. Darunter sind Schwämme, die Rippenquallen, Placozoen (mikroskopisch kleine, flache Tiere), Nesseltiere wie Anemonen und Quallen und Bilateria (Zweiseitentiere), zu denen letztendlich auch alle Wirbeltiere gehören.
Was wird eigentlich als „Tier“ definiert?
Generell unterteilen Biologen die Lebewesen auf unseren Planeten in Einzeller, Pflanzen, Pilze und Tiere. Wissenschaftler verwenden auch gern den Begriff „Metazoa“ (zu Deutsch Mehrzeller) als Synonym für Tiere. Allen gemein ist, dass sie aus mehreren Zellen aufgebaut sind, die spezialisiert sind. Zum Beispiel bilden einige Zellen Organe, andere Knochenstrukturen usw. Dieser spezielle Bauplan der Metazoa ist auch in ihrer Genetik verankert.
Bei ihrer Untersuchung fanden die Wissenschaftler heraus, dass Rippenquallen in ihren Zellen aber auch genetische Merkmale mit den Nicht-Tieren besitzen. Man vermutet, dass sie sich daher schon sehr früh in der Evolution vom Stamm aller anderen Metazoen „genetisch getrennt“ haben. Damit stellen sie ein lange gesuchtes Bindeglied der Evolution dar. „Die Fingerabdrücke dieses uralten evolutionären Ereignisses sind noch Hunderte von Millionen Jahren später in den Genomen der Tiere zu finden“, sagte Hauptautor Darrin Schultz in einer Pressemitteilung des Wissenschaftsportals „Phys.org“.
Wenn wir an Tiere denken, umfasst das in der Regel Vertreter des Stamms der Bilateria. Kein Wunder: ihm können etwa 95 Prozent aller Tiere zugeordnet werden. Alle seine Vertreter bestehen aus mehreren Zellen und sind symmetrisch. Es gibt ein Vorne, ein Hinten, ein Oben und ein Unten. Diese Tiere haben ein Gehirn und einen den Körper durchlaufenden Verdauungstrakt. Zu diesem Stamm zählen neben Wirbeltieren wie Dinosaurier, Affen und Menschen auch Insekten, Schnecken, Würmer und Kraken.
Wann entstanden Tiere auf der Erde?
Der Stamm der Bilateria entstand während der sogenannten „Kambrischen Explosion“. Dies ist für die Evolutionsgeschichte ein relativ kurzer Zeitraum von circa 5 bis 10 Millionen Jahren, der vor circa 500 Millionen Jahren stattfand. Nach dieser Zeit hat sich das Tierreich dauerhaft verändert und die Körperbaupläne der meisten Tiere wurden bilateral-symmetrisch.
Allerdings waren die Rippenquallen, Schwämme, Anemonen und andere Quallenarten zu diesem Zeitpunkt bereits eigene evolutionäre Wege gegangen. Dies macht diese Lebewesen heute so einzigartig und ihre Gene nur schwer mit denen der anderen Tiere vergleichbar. Dies geht so weit, dass nicht wirklich klar ist, ob es sich bei Schwämmen um Tiere oder Kolonien von hoch spezialisierten Einzellern handelt. Auch bei den Rippenquallen wurde lange über ihre Zuordnung zu den Tieren diskutiert. Doch wie stellt man nun fest, welches dieser wirklich urzeitlichen Tiere (oder Nicht-Tiere) das älteste der noch lebenden Wesen auf der Erde ist?
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Genetische Analyse bestätigt die Einzigartigkeit von Rippenquallen
Mithilfe einer detaillierten Genanalyse konnten die Wissenschaftler feststellen, welche Hauptlinie der Tiere der älteste ist. „Wir haben eine neue Methode entwickelt, um einen der tiefsten Einblicke in die Ursprünge des tierischen Lebens zu erhalten“, sagt Hauptautor Schultz gegenüber „Phys.org“. Bei der Analyse der Genome konnten die Forscher feststellen, dass bei allen untersuchten Lebewesen außer den Rippenquallen die Chromosomen ähnlich gebildet sind. Und das, obwohl sie sich optisch so wenig gleichen. Dies bedeutet, dass die Rippenquallen die wenigsten genetischen Überschneidungen mit anderen Lebewesen haben und sich demnach als Erstes von den anderen getrennt haben.
„Der jüngste gemeinsame Vorfahre aller Tiere lebte wahrscheinlich vor 600 oder 700 Millionen Jahren“, sagte Daniel Rokhsar, Mitautor der Studie „Phys.org“ weiter. Es sei jedoch schwer zu sagen, wie sie aussahen, denn sie seien Weichkörpertiere gewesen und hätten keine direkten fossilen Spuren hinterlassen. „Aber wir können Vergleiche zwischen lebenden Tieren anstellen, um etwas über unsere gemeinsamen Vorfahren zu erfahren.“ Die Biologen blickten mit ihrer Studie tief in die Vergangenheit zurück, wo es keine Hoffnung gäbe, Fossilien zu finden. „Aber durch den Vergleich von Genomen lernen wir etwas über diese sehr frühen Vorfahren.“
Rippenquallen haben sich tatsächlich, nachdem sie sich vom großen Stammbaum der Tiere abgesetzt haben, noch weiter entwickelt. So ähneln die heutigen Rippenquallen mehr den Bilateria, als man bisher vermutete. Auch der Name führt tatsächlich etwas in die Irre, denn obwohl die Tiere den Quallen sehr ähnlich sehen, sind sie mit ihnen nicht verwandt.
Rippenquallen sind der Schwesterstamm aller Tiere
Somit konnten die Wissenschaftler mit ihren Studienergebnissen bewiesen, dass Rippenquallen sich zwar von den anderen Tieren evolutionär getrennt haben. Trotzdem entwickeln sie sich quasi wie ein Schwesterstamm parallel. Sie zeigen ebenfalls Ähnlichkeiten mit Bilateria-Tieren, was deutlich macht, dass die Evolution der Tiere auch später weiterging und parallel lief. Weltweit gibt es mehr als 100 Arten der Rippenquallen, die es in den Weltmeeren leben.
In der Regel sind Rippenquallen farblos. Viele Arten erzeugen in der Dunkelheit jedoch Biolumineszenz. Das heißt, sie schillern durch chemische Reaktionen in allen Regenbogenfarben und erzeugen Licht. Andere Arten leben in einer Symbiose mit Algenzellen und sind deshalb farbig. Sie ernähren sich von Plankton, Larven oder Fischeiern. Die faszinierenden Urzeittiere ziehen ein Leben in der Tiefsee vor und sind daher für die Haltung in einem Heimaquarium nicht geeignet.
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Quellen
- Schultz, D. T., Haddock, S. H., Bredeson, J. V., Green, R. E., Simakov, O., & Rokhsar, D. S. (2023). Ancient gene linkages support ctenophores as sister to other animals. Nature, 1-8.
- Oleg Simakov et al, Deeply conserved synteny and the evolution of metazoan chromosomes, Science Advances (2022).
- Borchiellini, C., Manuel, M., Alivon, E., Boury-Esnault, N., Vacelet, J., Le Parco, Y. (2008) Sponge paraphyly and the origin of Metazoa. Journal of Evolutianary Biology (05 September 2008).