27. November 2024, 11:34 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die Geschichte von Orca Kshamenk macht nicht nur traurig, sondern auch fassungslos. Nicht nur, dass der Walbulle seit über 32 Jahren in einem winzigen Becken lebt, in dem er sich kaum bewegen kann. Er ist auch seit über zwei Jahrzehnten komplett allein.
Im Internet tauchen immer wieder Videos auf, die Orca-Wal Kshamenk zeigen. Auf diesen sieht man den Walbullen in einem offensichtlich viel zu kleinen und tristen Becken, in dem er nur knapp im Kreis schwimmen kann. Die Aufnahmen zeigen, wie der Meeressäuger, der seit über 32 Jahren in Gefangenschaft lebt, trostlos auf der Stelle schwimmt und lethargisch die Wand anstarrt. Es sind Bilder, die kaum zu ertragen sind und Kshamenk in den Medien den Spitznamen „der einsamste Wal der Welt“ eingebracht haben.
Orca kann sich in seinem kleinen Becken nur im Kreis drehen
„Das Leben von Orca Kshamenk ist in doppelter Hinsicht unfassbar traurig und trostlos“, bestätigt auch Dr. Tanja Breining auf PETBOOK-Anfrage. Sie ist Biologin und Fachreferentin für Wassertiere bei der Tierschutzorganisation Peta. „Seit seiner Kindheit ist er in einem winzigen, kahlen Betonbecken eingesperrt, in dem er sich nur im Kreis drehen kann.“
Zudem werde der Orca auch einzeln gehalten, kritisiert die Tierschützerin. „Er ist Tag für Tag, Jahr für Jahr und Jahrzehnt um Jahrzehnt, mit sich selbst allein. Dabei sind Orcas keine Einzelgänger, sondern hochsoziale Tiere, die in Freiheit in Familiengruppen unterwegs sind. Männliche Orcas bleiben sogar oft ein Leben lang bei ihren Müttern.“
Wissenschaftlerin vermutet, dass Kshamenk an Depressionen leidet
Kshamenk muss hingegen laut Medienberichten bereits seit mehr als 20 Jahren ein einsames Dasein fristen. Denn damals starb seine Partnerin. Seither lebt er ohne Artgenossen in einem Freizeitpark. Nur gelegentlich kommen Delfine zu ihm. Doch das könne nicht sein natürliches Bedürfnis nach Interaktion mit Artgenossen ersetzen, erklärt Breining. „Kshamenk kann seine natürlichen Verhaltensweisen in diesem Betongefängnis und in Einzelhaft in keiner Weise ausleben.“
Das zeige auch sein anteilnahmsloses Verhalten, so die Biologin. „Sein lethargisches Verhalten verdeutlicht, wie traurig und hoffnungslos er ist und dass er vermutlich unter Depressionen leidet. Im Ozean könnte er jetzt weite Strecken schwimmen, mit Artgenossen tauchen, in Strömungen und Wellen spielen, die Meeresfauna und ein sich täglich änderndes Umfeld erkunden und eine Partnerin suchen.“ Das ist ihm in Gefangenschaft nicht möglich. Daher steht der Mundo Marino-Freizeitparkt schon länger in der Kritik.1
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Freizeitparkt behauptet, Orca „gerettet“ zu haben
In dem argentinischen Vergnügungspark werden größtenteils im Wasser lebende Tiere gezeigt, die teilweise vor Publikum Kunststücke aufführen müssen. Ein Unding, wie viele Tierschützer finden. Doch hier scheinen sich die Meinungen zu unterscheiden. Während Tierschutzorganisationen wie Peta das Ende solcher Parks fordern, behauptet der Mundo Marino-Freizeitparkt den Orca „gerettet“ zu haben.
So heißt es dazu auf der Seite des Freizeitparks, dass Kshamenk im November 1992 gerettet wurde, nachdem er mit einer Gruppe von Artgenossen auf dem sumpfigen Grund der Samborombón-Bucht gestrandet war. „Sein Rehabilitationsprozess war komplex und erforderte angesichts des Traumas der Strandung und der Trennung von seiner Familie eine langwierige Behandlung, um sowohl seine körperlichen als auch seine geistigen Bedürfnisse zu erfüllen.“
»Alle Testergebnisse liegen in einem für sein Alter normalen Bereich
Nach Abstimmung mit Experten habe man aber beschlossen, den jungen Orca zu behalten, da eine Auswilderung keine Option gewesen wäre. „Er hätte keine Überlebenschance gehabt.“ Daher habe Mundo Marino mit Unterstützung der Regierungsbehörden die Verantwortung für seine Pflege übernommen.2
Dort gehe es ihm gut, heißt es auf der Seite des Freizeitparks. So erfreue sich der Orca aktuell eines „ausgezeichneten Gesundheitszustands“, heißt es dazu auf der Seite von Mundo Marino. Dies hätten medizinische Untersuchungen ergeben, die Mitte Oktober von einem Team aus drei Tierärzten, acht Pflegern und sieben externen Spezialisten durchgeführt wurden. Diese seien im Rahmen eines strengen Vorsorgeplans, der monatliche Kontrolluntersuchungen beinhalte, entstanden.
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„Wir dürfen Kshamenk nicht aufgeben!“
Die Ergebnisse, bestehend unter anderem aus Bluttests, Proben des Mageninhalts sowie des Atemflusses, zeigten, dass alle Werte von Kshamenk im normalen Bereich für Orcas seines Alters lägen. Dennoch hält Biologin und Peta-Sprecherin Dr. Tanja Breining die Unterbringung von Kshamenk im Park für alles andere als angebracht, wie sie PETBOOK erklärt.
„Wir dürfen Kshamenk nicht aufgeben! Wenn alle Menschen bei der Leitung des Wasserparks Mundo Marino und bei der argentinischen Regierung seine Umsiedlung in ein Sanctuary, also in eine betreute Auffangstation im Meer, einfordern, ebenso wie die Schließung aller Delfinarien, dann hat Kshamenk noch die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in Semi-Freiheit.“
Zudem könne jeder etwas für Tiere wie Kshamenk tun, erklärt die Tierschüzerin. „Wenn niemand mehr eine Eintrittskarte in Meereszoos kauft, werden auch keine Orcas und andere Tiere mehr eingesperrt.“