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PETBOOK-Interview

Experte zu Gründen für Walstrandungen: »Der Lärm im Meer lässt die Tiere in Panik geraten 

Zwei Grindwale liegen sterbend an einem Strand im irischen Donegal, nachdem sie mit zehn anderen Meeressäugern gestrandet waren. Sie waren ursprünglich gerettet worden, strandeten aber ein zweites Mal.
Zwei Grindwale liegen sterbend an einem Strand im irischen Donegal, nachdem sie mit zehn anderen Meeressäugern gestrandet waren. Sie waren ursprünglich gerettet worden, strandeten aber ein zweites Mal Foto: Getty Images / Stephen Barnes
Dennis Agyemang
Redakteur

3. August 2023, 14:37 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

In den letzten Wochen häufen sich die Meldungen von Wal-Massenstrandungen. So kamen erst Ende Juli knapp 100 gestrandeten Grindwale in Australien ums Leben. Wenige Tage zuvor waren an der Westküste Schottlands bereits 55 Meeressäuger gestrandet und qualvoll verendet. Die genauen Ursachen dafür stellen Meeresbiologen vor ein großes Rätsel. Im Interview verrät ein Experte, mögliche Gründe.

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Es scheint wie ein Spießrutenlauf gegen die Zeit, denn die Situation von Walen und Delfinen in den Meeren ist kritisch und spitzt sich weiter zu. Welche Gründe solche Wal-Massenstrandungen haben können, hat Meeresbiologe Fabian Ritter von Whale and Dolphin Conservation (WDC) im Gespräch mit PETBOOK erklärt. Außerdem verrät er, mit welchen verhältnismäßig leichten Mitteln das Leben der Meeressäuger verbessert werden kann, um so einigen Strandungen vorzubeugen.

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PETBBOK: In den letzten Monaten kam es immer wieder zu Massenstrandungen von Walen. Was könnten im Allgemeinen Gründe dafür sein?
Fabian Ritter: „Man muss zwischen den natürlichen Ursachen und den menschengemachten unterscheiden. Bei den natürlichen Ursachen können Krankheiten oder Verletzungen von einem Tier eine Rolle spielen. Bei den Grindwalen – und auch generell bei Walen – muss man auch ihr Sozialsystem bedenken: Grindwale leben in sehr engen Familienverbänden zusammen und sind ein Leben lang miteinander verbunden. In diesen Verbänden gibt es Leitfiguren, und zwar die älteren Weibchen, die Großmütter. Das sind die sogenannten Matriarchinnen – ähnlich wie bei Elefanten. Die haben ein vergleichbares Sozialsystem, und dort haben tatsächlich die Weibchen ‚den Hut auf‘ beziehungsweise eine Leitfunktion. Wenn diese Tiere sterben, krank werden oder sonst irgendwie in Schwierigkeiten geraten, ist es durch den sozialen Zusammenhalt oft so, dass die Tiere gemeinsam sterben. Bei Grindwalen ist das ein bekanntes Phänomen. Das ist auch die Art, die am stärksten von Massenstrandungen betroffen ist. Aber auch bei Pott- und Schnabelwalen weiß man, dass manchmal dutzende Tiere zusammen stranden.

»Der Schalldruck tötet jedes Lebewesen, das sich in der Nähe befindet

Augenzeugen hatten bei der Massenstrandung der Grindwale vermutet, dass ein Orca die Tiere gejagt hat. Kann das sein?
„Grindwale und Orcas sind zwar sehr nah miteinander verwandt, aber sie gehen sich normalerweise aus dem Weg. Es könnte sein, dass Grindwale beim Ausweichen dann in Küstennähe geraten, wo sie überhaupt nicht hingehören, da sie eigentlich in tiefen Gewässern von mindestens 500 Metern und tiefer leben. Dass sie dabei stranden, kann eine Konsequenz des Fluchtversuchs sein. Dann gibt es noch die Theorie, dass sich Wale an Magnetfeldern orientieren, und die werden durch Sonnenwinde durcheinander gebracht. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass die Wahrscheinlichkeit von Walstrandungen bei starken Sonnenwinden – die man messtechnisch nachweisen kann – höher ist. Das liegt vermutlich daran, dass dabei Magnetfelder durcheinandergeraten und die Wale dadurch desorientiert werden. Auch Erdbeben können eine sehr laute Schallquelle sein, die Schockwellen aussenden und Wale durchaus in Schwierigkeiten bringen können.

Das waren jetzt mögliche natürliche Faktoren. Welche sind menschengemacht?
„Mit dem Auftreten von moderner Technologie ist es in den Meeren unglaublich laut geworden. Das ist wohl der Hauptfaktor für viele der Massenstrandungen. Bei Schnabelwalen weiß man, dass militärische Übungen mit Mittelfrequenz-Sonaren – das sind enorm laute technische Geräte – dazu führen, dass Schnabelwale Panikreaktionen zeigen und dann zu schnell aus der Tiefe auftauchen und schwer geschädigt an den Stränden landen – teilweise Dutzende von Tieren. Seismische Untersuchungen, also die Suche von Öl und Gasfeldern unter dem Meeresboden, sind eine ganz problematische Angelegenheit. Da werden Schallkanonen eingesetzt. Die erzeugen Schalldrücke, die jedes Lebewesen, das sich in der Nähe befindet, sofort töten.“

„Laut Sicherheitsbestimmungen dürfte da kein menschlicher Schwimmer ins Wasser“

Reagieren denn Wale und Delfine empfindlicher auf solche Schallwellen als andere Meeresbewohner?
„Wale und Delfine haben ein sehr empfindliches Gehör. Um mal so eine Vorstellung zu bekommen: Wenn eine Schallkanone auf der einen Seite des Atlantiks gezündet wird, dann ist es durchaus möglich, dass man sie auf der anderen Seite des Atlantiks noch hört. Wir sprechen hier von tausenden Kilometern! Seismische Explorationen finden überall statt, im Mittelmeer, vor Brasilien, inzwischen auch in der Arktis. Die Schallkanonen werden hinter den Schiffen hergezogen, teilweise Wochen– oder Monate lang und zünden alle paar Sekunden. Das muss man schon als Höllenlärm bezeichnen. Laut Sicherheitsbestimmungen dürfte kein menschlicher Schwimmer ins Wasser, weil er sofort schwer verletzt oder getötet würde. Das, was mit einem Menschen passiert, passiert natürlich auch mit einem anderen Säugetier auf ähnliche Weise.“

»Eine Schiffsschraube kann einen Wal schwer verletzen oder sogar töten

Wie reagieren die Tiere auf den menschengemachte Dauerlärm unter Wasser?
„Viele Wale leben an sehr stark befahrenen Schifffahrtsstraßen, wie etwa der Straße von Gibraltar. Da herrscht Unterwasserlärm, wie wenn man direkt neben einer Autobahn lebt. Das führt zu Stress – bei uns Menschen, wie auch bei Walen oder Delfinen. Die zeigen da ganz ähnliche Reaktionen, mit hohen Stresshormonen etc. Stress macht sie anfälliger für Krankheiten. Zudem kann es zu Verletzungen kommen, wenn Wale von Schiffen angefahren werden. Dabei kann eine Schiffsschraube einen Wal durchaus erheblich verletzen oder sogar töten. All das führt dazu, dass Wale geschwächt und desorientiert sind und so steigt die Wahrscheinlichkeit von Strandungen. Letztlich sind praktisch alle menschlichen Aktivitäten, auch der Tourismus, die Ölförderung oder der Bau von Windkraftanlagen im Meer mit Lärm verbunden, der Walen und Delfinen das Leben zunehmend schwer macht.“

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Früher sind viele Strandungen komplett unentdeckt geblieben

In letzter Zeit hört man vermehrt von Massenstrandungen. Ist das ein Phänomen, das sich gerade zuspitzt, oder wird einfach nur mehr darüber berichtet als früher?
„Das ist schwierig zu sagen. Was man aber sicher sagen kann ist, dass die Anzahl von Schnabelwal-Massenstrahlungen in den letzten Jahrzehnten sehr stark zugenommen hat. Bei den Schnabelwalen ist die Kausalkette inzwischen ziemlich gut beschrieben und durchleuchtet. Wissenschaftlern ist nämlich aufgefallen, dass überall, wo Schnabelwale gestrandet waren, kurz zuvor militärische Übungen stattgefunden haben oder Militär-Sonare im Einsatz waren. Die US-amerikanische Navy sowie auch alle anderen beteiligten Länder haben, darauf angesprochen, gemeint, nichts damit zu tun zu haben. Bis dann irgendwann klar wurde, wie die Zusammenhänge sind: Der enorme Lärm, der dabei unter Wasser erzeugt wird, desorientiert die Wale, die dann eine Schreckreaktion zeigen und teilweise zu Dutzenden stranden.

Ob die Strandungen insgesamt weltweit zugenommen haben, vermag ich nicht zu sagen. Heute weiß man natürlich mehr über Strandungen und kann sie leichter beobachten, nicht zuletzt durch die Satellitenbeobachtungen, mit denen man solche Strandungen auch dokumentieren kann. Dadurch, dass sich der Mensch auch immer weiter ausgebreitet hat, ist es natürlich auch wahrscheinlicher, dass Strandungen entdeckt werden, als in früheren Jahrzehnten. Möglicherweise sind früher viele Strandungen komplett unentdeckt geblieben. Generell ist aber klar, dass die Wale heute natürlich mit enormen Umweltproblemen zu kämpfen haben: mit Fischerei, Unterwasserlärm, Verschmutzung durch Umweltgifte usw. Der gesundheitliche Zustand von vielen Populationen und das Stress-Niveau, dem die Tiere ausgesetzt sind, ist ganz anders als noch vor Jahrzehnten. Das macht die Tiere anfälliger für Strandungen.“

Der Unterwasserlärm verdoppelt sich in den Meeren von Jahrzehnt zu Jahrzehnt

Wie genau macht der Lärm unter Wasser den Tieren zu schaffen?
„Die Tiere leben am physiologischen Limit. Das sind Tiefseetaucher. Die gehen üblicherweise auf 500 oder 1000 Meter tief, manchmal auch tiefer. Teilweise harren die Wale in dieser Tiefe eine Stunde und länger aus. Dann ist es beim Wiederhochkommen eine Notwendigkeit, dass sie sehr, sehr langsam auftauchen. Der Lärm, der mit solchen Militär-Sonaren verbunden ist, führt dazu, dass die Tiere panisch werden und zu schnell nach oben schwimmen. Dabei erleiden sie die Taucherkrankheit, bei der sich Gasblasen im Blut bilden, was zur Verstopfung der Arterien führt. Zudem wird das Gehör schwer geschädigt und das sind genau die Schäden, die bei diesen gestrandeten Schnabelwale nachgewiesen sind. Es gibt inzwischen dutzende Fälle, die mit militärischen Übungen koinzidieren.

Die Zahlen deuten darauf hin, dass sich der Unterwasserlärm in den Meeren pro Jahrzehnt immer weiter verdoppelt hat. Das geht an den Walen nicht spurlos vorbei. Welche Strandungen jetzt im Einzelnen mit Unterwasserlärm zu tun haben oder menschengemachten Lärm, ist oft schwierig herauszufinden. Bei der Strandung kürzlich in Schottland war es so, dass sowohl seismische Untersuchungen stattgefunden haben, als auch militärische Übungen oder zumindest Militärschiffe in der Gegend waren. Die Betreiber von solchen Schiffen wollen natürlich nichts damit zu tun haben und die Beweislast liegt dann oft bei den Wissenschaftlern.“

In einem Rennen gegen die Zeit versuchten Einsatzkräfte, 46 noch lebende Meeressäuger zurück ins Meer zu transportieren.
In einem Rennen gegen die Zeit versuchten Einsatzkräfte im Juli 2023, 46 noch lebende Meeressäuger zurück ins Meer zu transportieren – leider vergebens. Foto: picture alliance/dpa/Department of Biodiversity, Conservation and Attractions/

„Die Tiere werden im Meer dauerhaft beschallt“

Für viele ist das sicher eine abstrakte Vorstellung, aber wie laut ist es denn im Meer? Haben Sie da einen Vergleich?
Es gibt verschiedene Stufen des Lärms. Die Erste ist Lärm, der eine Störung darstellt. Vergleichbar mit einer viel befahrenen Straße neben dem Haus. Da geht der Puls hoch und das Stresslevel steigt. Dann gibt es Lärm, der zu Gehörschwellenverschiebungen führt. Das ist der „Disco-Effekt“, den wir erleiden, wenn wir in einem lauten Konzert oder in der Disco sind. Dann piept es im Ohr oder wir haben hinterher so ein dumpfes Gefühl. Das ist eine physiologische Folge des lauten Schalls. Das tritt bei Walen und Delfinen auch ein. Man weiß bei vielen der Tiere zwar noch nicht genau, wie gut sie hören und in welchem Bereich. Aber für einige ist nachgewiesen, dass 160 Dezibel und aufwärts schon so laut ist, dass es zu solchen Verletzungen kommen kann.

Das hört sich für viele sehr weit weg an. Haben Sie ein Beispiel, das hier in der Nähe legt?
Wenn in der Nordsee Windkraftanlagen gebaut werden, wird dabei ein Fundament – ein Stahlrohr von vielleicht zehn Metern Durchmesser – in den Meeresboden gerammt. Und zwar mit einem Hammer, in der Größe eines Hochhauses. Dabei sind der Lärm und der Schall so laut, dass nachweislich alle Schweinswale in einem Umkreis von 8 bis 20 Kilometern Reißaus nehmen. Das ist besonders dann ein Problem, wenn dort der Schweinswal seine Nahrung gefunden oder dort seine Jungen aufgezogen hat. Das betrifft unter anderem die Schweinswale in der Nord- und Ostsee, die auch in den deutschen Gewässern heimisch sind. Und wir bauen da eine Windkraftanlage nach der anderen. Die Tiere haben dann einfach ein Problem, weil sie dauerhaft beschallt werden.

„Man könnte vieles anders und wesentlich leiser machen“

Bleiben wir mal bei Windparks. Ist der Lärm, den die Blätter der Windräder im Wind machen, auch im Wasser zu hören?
Das scheint ein relativ kleines Problem zu sein und ist bisher ganz wenig untersucht. Genau kann man das eigentlich nicht sagen, aber es ist definitiv kein Vergleich zur Bautätigkeit. Der kritische Faktor beim Bau von Windkraftanlagen, also zumindest in flachen Gewässern wie der Nordsee ist, dass das Fundament in den Boden gerammt wird. Das könnte man anders und wesentlich leiser machen. Beispielsweise mit Schwerkraftfundamenten oder anderen Technologien. Dort würde man die Pfeiler versenken, oder einrütteln, anstatt sie reinzuhämmern. Das sind Technologien, die ausgereift sind, aber die Industrie hat sich da eben auf das Rammen eingeschossen.

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Gibt es Forderungen an die Politik, die Sie als Wissenschaftler haben, um den Lärm in den Meeren einzuschränken?
„Ja, Forderungen gibt es eine ganze Menge. Die betreffen insbesondere seismische Untersuchungen, von denen wir sagen, die dürfen nur dann vonstattengehen, wenn nachgewiesen ist, dass der Lärm im Zaum gehalten wird. Es gibt Technologien, die Schallkanonen ersetzen können. Das gilt für viele Aktivitäten, bei denen Lärm tatsächlich vermieden werden kann. Beim Bau von Windkraftanlagen kann man etwa den Schall herunter dämmen. Auch dort können andere Technologien eingesetzt werden, die den Lärm von vornherein vermeiden. Das fordern wir natürlich von Politik und Wirtschaft.

Was den Lärm von Schiffen angeht, weiß man, dass ein kleiner Anteil der weltweiten Schiffsflotte einen ziemlich großen Anteil am Unterwasserlärm hat. Nur etwa 15 % der Schiffe machen rund 50 % des Lärms aus. Da geht es jetzt darum, solche Schiffe aus dem Dienst zu nehmen, insbesondere wenn sie schon besonders alt sind. Auch dort könnte man technologisch eine Menge unternehmen, um Schiffe leiser zu machen. Zudem wäre bei Schiffen eine Geschwindigkeitsbegrenzungen wichtig – allein schon wegen des Risikos der Kollisionen mit Walen, aber auch der Lärmentwicklung. Darüber wird bereits diskutiert und Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es teilweise schon. Die wurden in den USA zum Beispiel politisch durchgesetzt. In der Straße von Gibraltar gibt es bereits eine freiwillige Geschwindigkeitsbegrenzung. Das reicht aber natürlich nicht, das sollte man obligatorisch machen.

Themen Meerestiere Wale
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