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Im Golf von Mexiko

Erstmals Fentanyl in lebenden Delfinen nachgewiesen

Großer Tümmler im Golf von Mexiko
Drogen und Medikamente, die im Meer landen, beeinflussen auch die dortigen Lebewesen. Davon sind vor allem Tiere am Ende der Nahrungskette wie Delfine betroffen, in denen Forscher nun erstmals Spuren von Fentanyl nachwiesen. Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

9. Dezember 2024, 17:38 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Nicht nur Müll, auch Medikamente landen in unseren Meeren und beeinflussen die darin lebenden Tiere. US-amerikanische Forscher wiesen nun erstmals Fentanyl in lebenden Delfinen im Golf von Mexiko nach. Doch woher stammt die Droge und was macht sie mit den Tieren? PETBOOK fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen.

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In unseren Meeren landet nicht nur Müll, sondern auch Arzneimittel. Wissenschaftler haben jetzt erstmals verschiedene Medikamente – darunter auch Fentanyl – in lebenden Delfinen nachgewiesen. Dafür arbeitete ein Team von Dozenten und studentischen Forschern der Texas A&M University-Corpus Christi (TAMU-CC) mit der National Oceanic and Atmospheric Administration und der Precision Toxicological Consultancy zusammen. Untersucht wurde vor allem das Fettgewebe von Großen Tümmlern im Golf von Mexiko. Das Besondere dabei war, dass der Großteil der Proben von lebenden Tieren stammte. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „iScience“ veröffentlicht. 1

Delfine als Bioindikatoren

Pharmazeutische Wirkstoffe sind zu neuen Mikroverunreinigungen geworden und stellen ein wachsendes globales Problem dar, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Um zu untersuchen, welche Auswirkungen diese auf Lebewesen haben, wählt man am besten Tiere, die sich relativ am Ende der Nahrungskette befinden. Denn bei ihnen reichern sich Stoffe, wie etwa Arzneimittel, in hohen Konzentrationen an.

„Delfine werden in der Schadstoffforschung oft als Bioindikatoren für die Gesundheit des Ökosystems verwendet, da ihr lipidreicher Speck Schadstoffe speichern und relativ minimalinvasiv an lebenden Tieren beprobt werden kann“, erklärt Dr. Dara Orbach, Assistenzprofessorin für Meeresbiologie am TAMU-CC und Leiterin des Projekts im Wissenschaftsmagazin „Phys.org“.

Delfine mit Fentanyl nach Drogen-Razzia

Die Idee zu der Studie entstand, als das Team einen toten Delfin in der Baffin Bay in Südtexas fand, wie Dr. Orbach erläutert. Dies war genau ein Jahr nach der größten Razzia mit flüssigem Fentanyl in der Geschichte der USA im angrenzenden Bezirk. „Die Mississippi-Delfine machten 40 Prozent unserer gesamten pharmazeutischen Nachweise aus, was uns zu der Annahme veranlasst, dass dies ein seit Langem bestehendes Problem in der Meeresumwelt ist“, so Orbach weiter.

Um dieses Problem näher zu untersuchen, wählte das Team drei Orte rund um den Golf von Mexiko aus. Dabei sammelten die Forscher Gewebeproben von Großen Tümmlern (Tursiops truncatus), eine Delfinart, die in allen Ozeanen verbreitet ist. Sie besitzen eine lipidreiche Speckschicht, in der sich Substanzen und Gifte besonders gut anreichern. Zudem kann man dieses Gewebe relativ minimalinvasiv entnehmen und muss die Tiere dafür nicht extra narkotisieren.

Um das Vorhandensein von pharmazeutischen Schadstoffen im marinen Ökosystem zu untersuchen, analysierten die Wissenschaftler insgesamt 83 Proben des Delfin-Fettgewebes. Zusätzlich werteten sie auch zwölf historische Gewebeproben von bereits verstorbenen Tieren aus, die aus dem Jahr 2013 stammten.

Ein Drittel der Delfine hatte Medikamente im Gewebe

Insgesamt konnten die Forscher 25 verschiedene Arzneimittel nachweisen, die aus der Humanmedizin stammen. Dabei legten sie ein besonderes Augenmerk auf die folgenden drei Drogen:

  • Fentanyl: ein Opioid-Analgetikum gegen starke Schmerzen, das hundertmal wirksamer ist als Morphin
  • Carisoprodol: ein Muskelrelaxans bei schmerzhaften Muskel-Skelett-Verletzungen
  • Meprobamat: ein Beruhigungsmittel und Anxiolytikum zur Behandlung von Angststörungen

Bei 30 der Delfine fanden die Forscher Arzneimittel im Gewebe. Dabei kam Fentanyl in den Delfinen mit Abstand am häufigsten vor. Es wurde bei 18 der lebenden Tiere und in allen Proben verstorbener Delfine von 2013 gefunden.

Arzneimittel in Meeren womöglich seit Langem ein Problem

Damit liefert die Studie den ersten Nachweis von Arzneimitteln des Menschen in lebenden, frei schwimmenden Meeressäugern, wie Dr. Dara Orbach im Beitrag von „Phsy.org“ betont. Die Daten belegen, dass narkotische (Opiat-)Analgetika und Skelettmuskelrelaxantien die Spitze von Meeresräubern erreichen können.

Vor allem die historischen Proben von 2013 waren belastet. Dies zeigt, dass die Umweltverschmutzung durch Arzneimittel möglicherweise ein seit Langem bestehendes Problem sei, das weitgehend übersehen wurde, schlussfolgern die Forscher in ihrer Studie.

Welche Auswirkungen hat Fentanyl auf Delfine?

Die Konzentration von Fentanyl lag unter der sogenannten LD50. Das ist die Dosis, ab der 50 Prozent der Tiere sterben würden. Die Forscher gehen daher davon aus, dass es keine akute Gefahr für eine Vergiftung der Delfine durch das Fentanyl oder andere Arzneimittel gibt. Ob und wie sich Medikamente im Körper von Meeressäugern anreichern und welche Effekte dies hat, ist bisher noch wenig untersucht, wie die Wissenschaftler anmerken.

Im Allgemeinen kann man sagen, dass die unsachgemäße Anwendung von Arzneimitteln schädliche Auswirkungen wie Antibiotikaresistenz, Sucht, Überdosierung und auch den Tod zur Folge haben kann. Solche Effekte wurden bereits für Landsäugetiere nachgewiesen. Zudem können Medikamente auch zu Verhaltensänderungen führen oder Schäden in der Niere verursachen.

Aber nicht nur die Delfine sind von diesem Effekt betroffen. Denn auch wir verzehren Fische und Meeresfrüchte, die mit Arzneimitteln kontaminiert sein können. So bestehe die reale Gefahr, dass Menschen indirekt viele Arzneimittel aus Trinkwasser und Lebensmitteln zu sich nehmen könnten, schreiben die Forscher. Dies könnte ein Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen.

Woher kommt das Fentanyl in Delfinen?

Zu bewerten, woher das Fentanyl im Gewebe der Delfine stammt, ginge über den Rahmen dieser Studie hinaus, schreiben die Forscher. „Unsere ungezielte Analyse wurde jedoch an einem Delfin durchgeführt, der innerhalb eines Jahres nach der größten Razzia mit flüssigen Fentanyl-Drogen in der Geschichte der Vereinigten Staaten im angrenzenden Bezirk gefunden wurde“, heißt es weiter.

Inwiefern der Handel mit der Droge für die Kontamination der Meere eine Rolle spielt, kann nur spekuliert werden. Häufig wird die Droge in Mexiko produziert und dann in die USA geschmuggelt. So beschlagnahmten Sicherheitskräfte Anfang Dezember 2024 mehr als eine Tonne Fentanyl, wie unter anderem der „Spiegel“ berichtete.

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Weitere Untersuchungen dringend notwendig

Welche Auswirkungen das Fentanyl auf Meeressäuger wie Delfine, aber auch auf den Menschen hat, müssen dringend weiter untersucht werden, um das Risiko besser einschätzen zu können. Bisher wurden lebende Tiere bei der Untersuchung von Arzneimitteln im Wasser nicht berücksichtigt. Zudem wird bei Tests meist gezielt nach bestimmten Stoffen gesucht.

Die Forscher empfehlen stattdessen ungezielte Analysen von Schadstoffen, insbesondere bei Meeresräubern, die am Ende der Nahrungskette stehen. Nur so könne man den Gesundheitszustand der Meeresumwelt umfassend bewerten. Medikamente wie Fentanyl sollten jedoch weiterhin gezielt in Delfinen analysiert werden, um zu untersuchen, ob und wie sich ihr Vorkommen verändert.

„Die chronische Exposition gegenüber Arzneimitteln und ihre kumulativen Auswirkungen auf Meeressäuger sind noch nicht vollständig verstanden, aber ihr Vorkommen in drei Delfinpopulationen im Golf von Mexiko unterstreicht die Notwendigkeit groß angelegter Studien, um das Ausmaß und die Quellen der Kontamination zu bewerten“, sagt Orbach.

Die Forschungsergebnisse zeigen, wie notwendig es sei, neu auftretende Schadstoffe betont proaktiv zu überwachen, so Orbach weiter. Das gelte speziell in Regionen mit großer menschlicher Bevölkerung sowie großen Fischerei- oder Aquakultur-Industrien.

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Quellen

  1. Ocampos, A. I. et al, (2024) „Pharmaceuticals in the Blubber of Live Free-Swimming Common Bottlenose Dolphins (Tursiops truncatus)“. DOI: 10.1016/j.isci.2024.111507 ↩︎

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