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Studie zeigt

Gartenvögel lernen beim Revierwechsel von ihren „neuen Nachbarn“

Auch Vögel ziehen um – das nennt man Revierwechsel. Um sich in der neuen Umgebung schnell zurechtzufinden, schauen sie sich einiges bei ihren Artgenossen ab
Auch Vögel ziehen um – das nennt man Revierwechsel. Um sich in der neuen Umgebung schnell zurechtzufinden, schauen sie sich einiges bei ihren Artgenossen ab Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

18. November 2024, 15:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Im Leben eines Gartenvogels steht immer wieder der Umzug in ein anderes Revier an. Doch wo gibt es die besten Futterquellen und wie gelangt man an von Menschen hingestellte Snacks im Futterautomaten? Um das herauszufinden, beobachten die Tiere einfach ihre „neuen Nachbarn“. Das zeigt eine Studie, die das Sozialverhalten von Meisen untersuchte.

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Leben Vögel nicht gerade in großen Sozialverbänden zusammen, kümmern sie sich in der Regel um ihren eigenen Kram. Es gibt aber eine Situation in ihrem Leben, in der Gartenvögel sich gezielt Verhaltensweisen von ihren Artgenossen abschauen: beim Revierwechsel. Das zeigt eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie an der Universität Konstanz. Es ist das erste Experiment, das die seit Langem vertretene Annahme bestätigt, dass es für Tiere in neuen Lebensräumen vorteilhaft ist, gezielt von anderen zu lernen. Die Ergebnisse wurden am 14. November 2024 im Fachmagazin „Plos Biology“ veröffentlicht.

Milchdiebstahl brachte Kohlmeisen in den Fokus der Wissenschaft

Eigentlich ist es nichts Neues, dass sich Tiere von ihren Artgenossen Verhaltensweisen abschauen. Biologen nennen dies „soziales Lernen“. Doch anscheinend gibt es Situationen, die begünstigen, dass sich ein bestimmtes Verhalten besonders schnell innerhalb einer Art verbreitet. Aufmerksam darauf wurde die Wissenschaft in den 1920er-Jahren, denn damals sorgte ein bestimmtes Verhalten von Kohlmeisen für Aufsehen in der Bevölkerung: Die Vögel öffneten gezielt Foliendeckel von Milchflaschen, um an den Inhalt zu gelangen.

Zuerst wurde dies von Bewohnern einer kleinen Stadt in England gemeldet. Doch bald stellten Menschen in ganz Europa fest, dass ihre Milchflaschen von den Meisen geplündert wurden. Das Verhalten verbreitete sich so rasant, dass die Forscher es für unwahrscheinlich hielten, dass die Vögel unabhängig voneinander dieselbe Idee hatten, um an den Inhalt der Flaschen zu gelangen. Das Verhalten musste sich unter den Populationen verbreitet haben – aber wie? Lernten die Vögel vielleicht voneinander? 1

Gibt es einen Faktor, der soziales Lernen beschleunigt?

Erst 2015 lieferte eine Untersuchung der Oxford-Universität die Antwort. Diese zeigte, dass Kohlmeisen sich untereinander beibrachten, wie man an Futter in einer verschlossenen Box kommt, indem sie die Lösung voneinander abschauten. Damit war erstmals bestätigt, dass die Vögel ihre „Diebeskunst“ an ihre Artgenossen weitergegeben hatten. 2

Heute mag diese Erkenntnis auf uns nicht überraschend wirken. Wissen wir doch, wie clever Krähen darin sind, Futterautomaten zu knacken oder Puzzle zu lösen. Die Wissenschaftler interessierte aber noch eine andere Frage: Gibt es einen Faktor, der soziales Lernen beschleunigt und es den Vögeln dadurch ermöglicht, effizienter zum Erfolg zu kommen?

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Meisen lernten, Futterautomaten zu öffnen

Die Theorie der Wissenschaftler war, dass die Tiere ihre soziale Lernstrategie vor allem dann ändern sollten, wenn sie mit neuen Umgebungen konfrontiert werden, erklärt Michael Chimento, Postdoktorand und Erstautor der Studie, in einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts. Bislang habe das aber noch niemand bei Tieren experimentell nachgewiesen.1

Um diese Frage zu beantworten, entwarf das Team um Studienleiterin Prof. Lucy Aplin eine automatisierte Futterbox. Dabei konnten die Meisen nur ans Futter gelangen, wenn sie entweder eine rechte oder eine linke Tür betätigten. Die Forscher brachten diesen Mechanismus jeweils einer Meise bei. Dabei lernte ein Teil der Meisen den Automaten durch die linke Tür zu öffnen und der andere Teil durch die rechte.

Anschließend setzten sie die Kohlmeisen in eine Gruppe von Artgenossen, die sich das Verhalten schnell abschauten. Nun gab es also Vogelgruppen, die die linke Tür benutzten, um an Futter zu gelangen und Gruppen, die die rechte Tür benutzten. Was aber würde passieren, wenn die Vögel der einen in die andere Gruppe wechselten? Würden sie ihre gelernte Strategie weiter verfolgen oder würden sie ihre Artgenossen beobachten und das Verhalten anpassen?

Zugezogene Meisen beobachten ihre Nachbarn genau

Tatsächlich beobachteten Vögel, die in die neue Umgebung „umzogen“, zunächst ihre Nachbarn. Dabei entdeckten sie nämlich, dass diese durch die andere Tür eine noch viel schmackhaftere Leckerlei erhielten. „Wichtig ist, dass die Neuankömmlinge nicht wussten, dass eine bessere Belohnung auf sie warten würde“, erklärt Michael Chimento. „Sie konnten die Veränderung nur erkennen, indem sie entweder ihre Artgenossen beim Benutzen der Box beobachteten oder selbst die andere Seite ausprobierten.“

Dies führte dazu, dass 80 Prozent der Kohlmeisen ihre Taktik, den Futterautomaten zu öffnen, sofort änderten, nachdem sie in der neuen Voliere waren. Anstatt also ihre erlernte Methode anzuwenden, kopierten die zugezogenen Meisen schon beim ersten Versuch die Lösung der ansässigen Tiere. Für Chimento ein eindeutiger Beweis für soziales Lernen. „Natürlich können wir die Vögel nicht fragen, woher sie ihre Informationen haben“, führt er aus. „Die Verhaltensmuster weisen aber eindeutig darauf hin, dass die Neuankömmlinge die anderen von Anfang an sehr genau beobachteten“. 1

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Revierwechsel musste für Gartenvögel glaubwürdig sein

Dabei sei es für die Vögel wichtig gewesen, dass der „Umzug“ in ein fremdes Revier möglichst glaubwürdig war. Denn zu Beginn des Experimentes änderten nur 25 Prozent der Kohlmeisen ihre Strategie, wenn sie in eine andere Voliere kamen. Erst als die Wissenschaftler das Laub in den Volieren austauschten und damit den visuellen Effekt der neuen Umgebung verstärkten, begann der Großteil der Kohlmeisen, ihre neuen Nachbarn aufmerksam zu beobachten.

Es ist damit der erste Beweis dafür, dass Zuwanderung einen starken Einfluss darauf hat, wie Tiere voneinander lernen. Und in der realen Welt kann dies für die Vögel von großer Bedeutung sein, wie Aplin, Hauptautorin der Studie, erklärt: „In der Natur ziehen die Tiere oft von einer Umgebung in eine andere. Daher brauchen sie eine Strategie, um herauszufinden, welche Verhaltensweisen am neuen Ort gut und welche schlecht sind.“

Wenn Sie also das nächste Mal umziehen, denken Sie an die cleveren Vögel und beobachten Sie doch mal, was Ihre neuen Nachbarn so machen. Vielleicht lassen sich gute Restaurantempfehlungen so schneller finden als im Internet.

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Quellen

  1. ab.mpg.de, „Gartenvögel lernen nach einem Umzug von ihren neuen Nachbarn“ (aufgerufen am 18.11.2024) ↩︎
  2. exc.uni-konstanz.de, „Mechanisms underlying heterogeneity in social learning between individuals and groups“ (aufgerufen am 18.11.2024) ↩︎
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