31. Juli 2024, 13:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Was wird bis zu 5 Meter lang, erreicht die Geschlechtsreife mit 150 Jahren und kann über 500 Jahre alt werden? Richtig, der Grönlandhai. Wie er das fertigbringt, will nun eine Studie aufgedeckt haben.
Der Grönlandhai (Somniosus microcephalus), manchmal auch Eishai genannt, ist, wie sein Name schon verrät, in der Region Grönland und den arktischen Meeren zu finden. Die Tierart ist bislang jedoch nur wenig erforscht. Allerdings ist das, was man schon über sie weiß, unglaublich spannend. So sind diese Haie höchstwahrscheinlich die ältesten Wirbeltiere auf unserem Planeten und können über 500 Jahre alt werden. Eine Studie hat nun herausgefunden, wie das möglich sein soll.
Wissenschaftler datieren Grönlandhaie anhand von „Zeitkapsel“ im Auge der Tiere
Doch wie kann man eigentlich das Alter der Eishaie ermitteln? Dies hatte sich ein Team aus Wissenschaftlern rund um Julius Nielsen, Biologe an der Universität Kopenhagen und dem Grönland-Institut für Natürliche Ressourcen, zur Aufgabe gemacht. Sie wollten mehr über den geheimnisvollen Grönlandhai herausfinden und konnten in einer Untersuchung von 2016 belegen, dass die Tiere wahrscheinlich bis zu 500 Jahre alt werden. Dies fanden sie mithilfe einer Radiokarbon-Datierung von Isotopen in den Augen von Grönlandhaien heraus, anhand derer sie ihr Alter errechneten.
Die Biologen suchten unter anderem nach den radioaktiven Spuren der Nukleartests in den 1950er- und -60er-Jahren. Diese wurden während des Kalten Krieges von der Sowjetunion und den USA durchgeführt. Die radioaktiven Partikel gelangten auch in die Weltmeere – insbesondere das Bikini-Atoll ist noch stark von den Auswirkungen gekennzeichnet – und belastete auch die Meerestiere. Bei Grönlandhaien findet sich in im Auge quasi eine Zeitkapsel für einen Zustand der Meere vor ihrer Geburt. Denn diese sind bereits im Mutterleib fertig ausgeprägt und verändern sich danach nicht mehr. Darin finden sich also Abstriche von Ereignissen, wie den Atomtests, die sich klar datieren lassen.
Die Wissenschaftler können so Rückschlüsse ziehen, welche Proteine und Verunreinigungen die Muttertiere der Grönlandhaie während der Schwangerschaft zu sich nahmen. Die Forscher untersuchten dazu 28 weibliche Tiere und konnten durch die vorhandenen radioaktiven Spuren Berechnungen zum Alter der Fische anstellen.
Ältester Grönlandhai könnte Zeitgenosse von Kolumbus und Michelangelo sein
Bereits zuvor hatte man herausgefunden, dass die Tiere sehr langsam wachsen und sich das Wachstum besonders im Alter noch einmal auf unter einen Zentimeter pro Jahr verlangsamt. Für die Kolosse mit bis zu fünf Metern Länge ein erstaunlich langsamer Prozess. Untersucht wurden ausschließlich weibliche Grönlandhaie, denn diese können größer als die Männchen werden. Die 28 beschriebenen Exemplare hatten eine Länge zwischen 82 Zentimetern und 5,02 Metern. Bei dreien der kleineren Exemplare konnten die Wissenschaftler deutliche Anzeichen der Nukleartests im Gewebe der Augen datieren und damit nachweisen, dass sie zur Zeit der Tests oder kurz danach geboren wurden.
So gelang es den Forschern auch bei den beiden größten Exemplaren ein ungefähres Alter zu errechnen. Danach seien die Tiere mindestens 335 und 392 Jahre alt gewesen. Sie könnten aber auch bereits 410 und 512 Jahre alt gewesen sein.1
Dies würde bedeuten, dass der älteste, weibliche Grönlandhai bereits am Leben war, als Michelangelo im Jahr 1504 seine Statue „David“ der Öffentlichkeit präsentierte und Christoph Kolumbus nach seiner letzten Expedition auf Jamaika gestrandet war. Dass diese rechnerisch mögliche Spanne noch so groß ist, zeigt auch, wie wenig Daten es über die scheuen Tiere aus der Arktis gibt.
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Wie Grönlandhaie so alt werden können
Doch warum Grönlandhaie die wahrscheinlich ältesten Wirbeltiere der Welt sind, konnte lange nicht geklärt werden. Es gab einige Theorien, wie ihren langsamen Stoffwechsel, der beinahe einschläft, wenn sie sich in bis zu Minus 1,8 Grad kaltem Salzwasser bewegen. Auch ihre minimalen Bewegungen und relative Trägheit galten als Faktoren.
Doch Ewan Camplisson, Doktorant an der University of Manchester in Großbritannien, meint, nun endlich die Antwort auf diese Frage gefunden zu haben. Bei einer Tagung der Society of Experimental Biology Conference in Prag stellte er seine Ergebnisse aus dem Eismeer vor. „Bei den meisten Arten verändert sich der Stoffwechsel, wenn sie altern“, sagte Camplisson in der Pressemitteilung dazu. „Wir wollen herausfinden, ob Grönlandhaie auch dieses traditionelle Zeichen des Alterns zeigen oder ob sich ihr Stoffwechsel im Laufe der Zeit nicht verändert.“
Dazu nutzte der Forscher Stoffwechselenzyme, die bei der Forschung aus Proben der Muskeln von Eishaien gesammelt hatten und untersuchte sie mit einem Spektralphotometer, das einen „Fingerabdruck“ bestimmter Stoffe mithilfe von Licht erzeugt. Mit der auch für Kriminalfälle genutzten Technik fand Camplisson heraus, dass sich die Stoffwechselenzyme bei Grönlandhaien im Laufe des Lebens weder abnutzen noch degenerieren. Dies ist bei anderen Lebewesen inklusive des Menschen eins der wichtigsten Merkmale für Alterungserscheinungen.
Wahre Spätstarter – Eishaie sind mit 150 Jahren geschlechtsreif
Der Grönlandhai zeige diese aber einfach nicht und sei eigentlich auch nicht für das Leben in der Arktis gemacht. Denn bei höheren Temperaturen zeigte sich in der Untersuchung von Camplisson auch eine vermehrte Stoffwechselaktivität bei den Haien. Nun will der Forscher noch weitere „unkaputtbare“ Enzyme der Eishaie analysieren und hofft, mit seiner Forschung zum Schutz der Art beitragen zu können.
„Ein weiblicher Grönlandhai wird wahrscheinlich nicht geschlechtsreif, bevor er 150 Jahre alt ist. Mit so einer langen Generationszeit wird die Spezies eine viel kleinere Chance haben, sich an menschengemachte Veränderungen ihrer Umgebung anzupassen“, so Camplisson weiter. Denn laut den Daten der Studie aus 2016 konnte belegt werden, dass Tiere mit weniger als drei Metern Länge noch keine hundert Jahre alt sind. Erst ab einer Länge von vier Metern erreichen die Tiere jedoch die Geschlechtsreife. Also rechnerisch im Alter von 150 bis 156 Jahren.
Nicht nur das Alter des Grönlandhais weiterhin mysteriös
Zudem war lange unklar, wie sich Grönlandhaie überhaupt vermehren. Über einhundert Jahre lang gingen Forscher davon aus, dass die Tiere bis zu 1800 weiche, befruchtete Eier legen. Dies konnte jedoch in einer Untersuchung von 2020 widerlegt werden. Die Tiere sind Ovovivipare, das heißt, ihre Eier schlüpfen noch im Mutterleib und die Nachkommen werden dann lebend geboren. Wie viele Grönlandhaie das Licht der Welt erblicken, ist von der Größe des Muttertieres abhängig. Im Durchschnitt kommen 200 bis 324 Tiere mit einer Länge von 35 bis 40 Zentimetern auf die Welt.2
Anders als bei vielen anderen Meerestieren, scheint es bislang zudem unklar, welche Wassertiefe der Grönlandhai bevorzugt. So wurde er bereits in flachen Gewässern mit weniger als 30 Metern Tiefe, aber auch in einer Tiefe von 2992 Metern im Unterwassergebirge des Mittelatlantischen Rückens, wo die Nordamerikanische und die Eurasische Kontinentalplatten aufeinanderstoßen, gesichtet.
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Grönlandhaie nutzen Ammoniak als Frostschutzmittel
Seit 2022 ist der Grönlandhai von der Nordwestatlantischen Fischereiorganisation (NAFO) geschützt, denn immer wieder landet er in den Netzen von Fischern. Denn aufgrund des langsamen Wachstums und der späten Geschlechtsreife ist es sehr wahrscheinlich, dass Grönlandhaie zu den bedrohten Tierarten gehören und geschützt werden müssen.3
Zusätzlich gelten sie in einigen Ländern, wie zum Beispiel Island, leider noch immer als Delikatesse. Die aus dem Grönlandhai zubereitete Speise Hákarl, welche vor dem Verzehr monatelang in einem Erdloch verrottet, wurde 2023 auf der Plattform „Taste Atlas“ zur am schlechtesten bewertete Speise in Europa gekürt. Das Ranking im Überblick lesen Sie bei TRAVELBOOK: Die (un-)beliebtesten Speisen Europas – auch deutsche unter den Verlierern.
Aber warum ist der Grönlandhai – der wohl auch dem Beinamen „Gammelhai“ alle Ehre macht – so ungenießbar? Dies liegt in der Tatsache begründet, dass das Tier für seine Körpergröße relativ kleine Nieren hat. Daher lagern sich Giftstoffe wie Ammoniak ungefiltert während des gesamten, langen Lebens der Tiere in ihren Körpern an. Für die hat dies aber auch einen positiven Effekt: So wirkt das Ammoniak in ihrem Blut wie ein natürliches Frostschutzmittel, das sie vor den arktischen Wassertemperaturen schützt.4