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Lebende Fossilien

Studie zeigt, warum bei manchen Tieren die Evolution scheinbar stillsteht

Ein Nautilus, klassischer Vertreter der lebenden Fossilien, auf dem Meeresgrund
Unter anderem die als Nautilus bekannten Wesen zählen zu den lebenden Fossilien, die sich über Jahrmillionen kaum verändert haben Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

15. März 2024, 16:44 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Von manchen Tieren wie zum Beispiel Krokodilen heißt es, sie seien lebende Fossilien. Doch was bedeutet das eigentlich? Und warum steht die Evolution bei manchen Arten scheinbar seit Millionen Jahren praktisch still? Eine bahnbrechende Studie liefert Antworten.

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Was haben Schnabeltier, Quastenflosser und Krokodil gemeinsam? Auf den ersten Blick wohl nicht viel. Allerdings gelten alle diese Tiere als sogenannte lebende Fossilien. Denn diese Tiere haben sich seit Jahrmillionen scheinbar nicht mehr verändert. Das Schnabeltier beispielsweise zählt zu den Säugetieren, obwohl es auch viele Charakteristika von Reptilien und Vögeln trägt. Dieser Ursäuger gilt als Schnittstelle zwischen den heute existierenden Tierfamilien. Warum die Evolution bei diesen Tieren jedoch scheinbar stillsteht, wusste man lange nicht. Eine Studie hat sich dem Thema gewidmet und liefert viele Antworten, wirft aber auch neue Fragen auf.

Umfassende Analyse von lebenden Fossilien geht bis in die Ur-Zeit zurück

Chase Brownstein und Daniel MacGuigan vom Ökologischen und Evolutionsbiologischen Institut der Yale Universität in den USA haben mit ihren Kollegen 478 Genome von Kieferwirbeltieren aus Jura, Kreide und der Jetzt-Zeit verglichen. Die Studie erschien im Fachmagazin „Evolution“.

Der Begriff Kieferwirbeltier oder auch Kiefermäuler umfasst etwa 99,8 Prozent aller heute existierenden Wirbeltiere, mit Ausnahme von ein paar Fischen. Anhand dieser Genom-Sequenzen begannen die Forscher ihre Analyse, um endlich zu klären, warum sich manche Tiere seit 200 Millionen Jahren nicht verändert haben. Denn, dass es lebende Fossilien gibt, wusste bereits Charles Darwin 1859. Der Evolutionsforscher konnte allerdings nicht erklären, warum das so ist.

Warum entwickeln sich manche Tiere nicht weiter?

Ein evolutionärer Stillstand, auch Stase genannt, ist extrem ungewöhnlich. Normalerweise ist nichts so sicher wie Veränderung und entsprechend Anpassung an Lebensräume, die sich ebenfalls wandeln. Und genau da liegt laut den Wissenschaftlern der Yale-Universität der Punkt. Viele der Tiere, die wir als lebende Fossilien kennen, entwickeln sich einfach nicht weiter.

Manche bilden sogar die Kategorie der Brückentiere. Als solche werden sie von Forschern beschrieben, wenn sie nicht eindeutig einer der Familien Säugetier, Vogel, Fisch, Reptil oder Amphibium zugeteilt werden können. Sie stellen Bindeglieder zu evolutionärer Geschichte her und lassen Einblicke in die Entwicklung allen Lebens zu. Das Schnabeltier als Ursäuger, das aber auch Charakteristika von Vogel und Reptil trägt, ist eines davon.

Knochenhechte haben die langsamste Zellteilung aller Tiere

In einer umfänglichen genetischen Analyse konnten die Wissenschaftler aufzeigen, dass manche der lebenden Fossilien sehr langsame Veränderungen in der DNA aufweisen. Ganz besonders haben sie sich den sieben verschiedenen Arten der Knochenhechte gewidmet.

Laut den Daten sind die Tiere diejenigen, die ihre DNA von allen Wirbeltieren so gut wie gar nicht verändern oder erneuern. Dies konnten sie anhand von Funden aus Jura und Kreidezeit belegen, die zeigen, dass die Knochenhechte seit über 200 Millionen Jahren gleich aussehen und auch kaum Abweichungen bei der DNA aufweisen.

Normalerweise verändern sich Tierarten im Laufe der Evolution zu verschiedenen Arten, die genetisch irgendwann so unterschiedlich sind, dass sie keine Nachkommen mehr bilden können. Die verschiedenen Arten der Knochenhechte besitzen hingegen auch nach Millionen von Jahren eine so geringe Varianz im Genmaterial, dass sie problemlos untereinander Hybride zeugen können. Allerdings zeigte sich auch dort kaum kein Austausch von Genmaterial in den Zellkernen. Hybride gibt es also, sie können jedoch nicht zu einer neuen Art werden.

Den einen Mechanismus, wie lebende Fossilien die Evolution austricksen, gibt es nicht

Allerdings konnten die Forscher in ihrer Untersuchung auch zeigen, dass viele der lebenden Fossilien zwar eine langsame Erneuerung der DNA aufwiesen, andere aber nicht. Allerdings lebten diese in Gebieten, in denen während des Zeitraums des evolutionären Stillstandes auch wenig Veränderungen des Lebensraums vorkamen.

Manche, wie das Schnabeltier oder die Tuatura-Echse aus Neuseeland, lebten so lange isoliert, dass sie schlicht keine weitere Anpassung an ihren Lebensraum brauchten. Das trifft auch auf viele Fische, Krokodile oder Schildkröten zu. Allerdings finden sich bei ihnen auch weitere verlangsamte Prozesse, besonders bei der Zellerneuerung.

Wie die Forscher die fehlende genetische Variation erklären

Die DNA besteht aus Basenpaaren, die von verschiedenen Aminosäuren gebildet werden. Dabei bilden in der Regel drei Aminosäuren verschiedene lebenswichtige Eiweißstoffe.

Allerdings gibt es auch noch eine vierte Stelle der DNA, wo eigentlich eine hohe genetische Abweichung stattfindet, jedoch zunächst keine Veränderungen im Organismus bewirkt. Diese Bereiche nennen sich auch „vierfach transfizierte Stellen“ oder 4D-Stellen. An dieser Stelle setzt meist die Mutation, sprich die Veränderung von Zellen, an, daher gelten sie als „Evolutionstreiber“ in Lebewesen. Bei lebenden Fossilien scheinen diese jedoch wie eingefroren.

So wird bei vielen Knochenhechten, Stören und Schwertfischen der Grundbaustein für evolutionäre Anpassung einfach nicht gelegt. Denn ihre 4D-Stellen sind äußerst selten vorhanden und betreffen größtenteils unwichtigen Stellen der DNA, die praktisch keine genetischen Informationen übermitteln.

So sei es laut den Yale-Forschern auch zu erklären, dass sich die sieben verschiedenen Arten von Knochenhechten auch 200 Millionen Jahre nach der Trennung der Arten immer noch paaren und Nachwuchs produzieren können. Gerade bei diesen Tieren fanden sie kaum eine Varianz der Artenvielfalt, und Individuen, die sich alle extrem ähnlich sahen.

Auch interessant: Das älteste Tier der Welt gab es schon vor 700 Millionen Jahren

Wissenschaftler vermuten effektive DNA-Reparatur

Viele Mutationen entstehen durch Fehler beim Kopieren der DNA. Werden diese nicht vom Körper entdeckt und repariert, können so ganz neue Informationen und Merkmale in Lebewesen entstehen.

Bei den lebenden Fossilien scheinen diese Reparaturmechanismen besonders effektiv so sein, sodass insgesamt einfach weniger genetische Mutationen entstehen. Bereits in den letzten Jahren gab es einige Studien zu Stören, die einzelne Zellkerne auf eine einzigartige Weise reparierten, ohne sie dabei zu verändern.

Daher formulierten Brownstein, MacGuigan und ihre Kollegen die These, dass diese nahezu perfekte Reparatur dazu beitragen könnten, dass die Gene der Tiere wie fixiert sind und nur sehr geringe Mutationen zulassen.

Müssen wir den Begriff „lebende Fossilien“ neu denken?

Allerdings werfen diese detaillierten Blicke in die Evolution auch viele neue Fragen auf. Zum Beispiel galt der Quastenflosser bislang als der bekannteste Vertreter der lebenden Fossilien, der sich seit über 400 Millionen Jahren nicht verändert hat. Allerdings weisen diese Ur-Fische laut den Daten ähnliche molekulare Evolutionsraten wie die meisten anderen Wirbeltiere auf.

„Bei anderen Wirbeltieren, die zuvor als lebende Fossilien charakterisiert wurden, wie Lungenfischen und Brückenechsen, finden wir keine extrem langsamen Genomisierungsraten“, ordnen die Wissenschaftler die Erkenntnisse selbst sein. Dies ließe darauf schließen, dass äußere Faktoren wie stabile ökologische Verhältnisse oder Isolation auf Inseln eine Rolle bei dem Überleben dieser alten Linien spielen könnten.

Der Zusammenhang zwischen den außerordentlich niedrigen genetischen Veränderungen und dem evolutionären Stillstand muss also noch weiter untersucht werden. Vor allem die Mechanismen hinter der DNA-Reparatur könnte jedoch für die Humanmedizin und vor allem für die Krebsforschung höchst interessant sein.

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