29. November 2024, 12:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Orcas sind begabte Jäger und arbeiten im Team. Zu ihrer Beute gehören normalerweise Robben oder kleinere Fische. Meeresbiologen konnten jetzt erstmals beobachten, dass die Schwertwale auch Jagd auf die größten Haie der Welt machen. Dabei haben sie eine besondere Jagdstrategie entwickelt, um die mehr als doppelt so großen Fische zu erlegen.
Normalerweise jagen Orcas Meeressäuger wie Robben, Schildkröten oder Fische. Aber auch Haie gehören zum Beutespektrum der auch Schwertwale genannten Tiere. Doch das, was Wissenschaftler jetzt beobachtet haben, ist weltweit einzigartig. In einer Studie beschreiben Meeresbiologen aus Mexiko erstmals, wie eine Gruppe von Tieren im Golf von Kalifornien Jagd auf Walhaie macht. Mit bis zu 20 Metern Länge gehören sie zu den größten Fischen der Welt.
Doch wie schaffen es Orcas, die Tiere zu erlegen, die immerhin doppelt so groß wie sie sind, und welchen Vorteil hat es, diese riesigen Fische zu jagen? PETBOOK fasst die spannenden Ergebnisse der im Fachmagazin „Frontiers“ erschienenen Studie zusammen.
Forscher beobachteten Orcagruppe über sechs Jahre
Schwertwale gelten als die Spitzenprädatoren in unseren Ozeanen. Aus vielen Studien und Beobachtungen ist bekannt, dass sich einzelne Gruppen auf bestimmte Beutetiere wie etwa Thunfische spezialisieren und eigene Jagdstrategien entwickeln. Dabei arbeiten die intelligenten und sozialen Tiere meist im Team. So schaffen es Orcas, auch große Beutetiere wie Haie zu erlegen.
Auch bei dem Angriff auf Walhaie arbeiten die geschickten Jäger zusammen. Das konnte Erick Higuera Rivas, Meeresbiologe und leitender Autor der Studie, mit seinem Team nun erstmals dokumentieren. Dafür trugen die Wissenschaftler über sechs Jahre hinweg Foto- und Videomaterial zusammen und analysierten die Aufnahmen.
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Orcas haben eigene Jagdstrategie entwickelt
Walhaie sind – wie ihr Name vermuten lässt – Haie in der Größe eines Wals. Es wird geschätzt, dass die Tiere bis zu 20 Meter lang werden können und mehr als 34 Tonnen wiegen. Gefährlich sind sie allerdings nicht. Sie ernähren sich von Kleinstlebewesen wie Plankton.
Walhaie leben vor allem in tropischen und subtropischen Gebieten. Im Golf von Kalifornien gibt es Stellen, an denen die Tiere nach Nahrung suchen, während sie noch jung und kleiner sind, schreiben die Forscher in ihrer Studie. In dieser Lebensphase sind die Haie anfälliger für Raubtiere wie Orcas.
Die Schwertwale scheinen dafür eine eigene Jagdstrategie entwickelt zu haben. „Wir zeigen, wie Orcas eine kollaborative Jagdtechnik auf Walhaie an den Tag legten“, zitiert das Wissenschaftsmagazin „PhysOrg“ Studienleiter Erick Higuera Rivas. Dabei greifen die Wale gezielt den Beckenbereich der Haie an.
„Bei der Jagd arbeiten alle Gruppenmitglieder zusammen“
Verletzungen in diesem Bereich führen schnell dazu, dass die Walhaie ausbluten. Vermutlich ist der Körper der Tiere hier weniger geschützt, wie die Forscher schreiben. So befinden sich dort weniger Muskeln und Knorpel, was einen leichteren Zugang zur Aorta ermöglicht.
„Bei der Jagd arbeiten alle Gruppenmitglieder zusammen und schlagen den Walhai, um ihn auf den Kopf zu stellen“, beschreibt Higuera Rivas die Strategie der Orcas. „In dieser Position geraten die Haie in einen Zustand der tonischen Unbeweglichkeit und können sich nicht mehr aktiv bewegen oder durch Abtauchen in tieferes Wasser entkommen.“
Orcas haben es vor allem auf Organe der Haie abgesehen
Indem sie den großen Hai so unter Kontrolle halten, können sich die Orcas leichter dem Beckenbereich nähern. Dort würden sie vor allem die Organe entnehmen, die für sie ernährungsphysiologisch wichtig sind. Denn der Körper der Walhaie besteht größtenteils aus Knorpeln und Muskeln. Beides enthält nicht viele Nährstoffe.
Die Meeresbiologen vermuten, dass die Tiere es vor allem auf die Leber der Walhaie abgesehen haben. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Ernährung von Orcas. Doch bisher gab es keine fotografische Beobachtung, wie die Wale das Organ verzehrten, merken die Forscher an.
„Orcas könnten auch andere Organe wie Magen und Darm fressen, aber wir wissen es nicht zu 100 Prozent“, erklärt Meeresbiologin und Studienautorin Francesca Pancaldi im Wissenschaftsmagazin „Sciencealert“. „Ich habe persönlich gesehen, dass dieselbe Orcagruppe gezielt nur die Leber anderer Haiarten im Golf von Kalifornien gefressen hat. Auch aus anderen Publikationen wissen wir, dass Orcas auf dieses Organ abzielen, weil es reich an Lipiden, Omega-3-Fettsäuren und anderen Nährstoffen ist.“
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Walhaie sind gefährdet
Das Jagdverhalten ist bisher einzigartig für die Orcas im Golf von Kalifornien. Ob auch andere Gruppen von Schwertwalen diese Fähigkeit besitzen, ist bisher nicht bekannt. Das Thema sollte jedoch dringend weiter erforscht werden, da Walhaie auf der Roten Liste der bedrohten Arten als gefährdet eingestuft werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die Population in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Grund dafür ist vor allem die direkte Befischung. 1
Sollten sich weitere Orcas auf die Jagd nach Walhaien spezialisiert haben, könnten sie theoretisch dazu beitragen, dass die großen Fische aus dieser Region verschwinden, mahnen die Forscher. Trotzdem sei es sehr beeindruckend, wie die Schwertwale strategisch und intelligent zusammenarbeiten, um nur an einen ganz bestimmten Bereich der Beute zu gelangen, sagt Higuera Rivas abschließend. „Es zeigt, was für großartige Raubtiere sie sind.“