16. September 2024, 16:12 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es sind besorgniserregende Ergebnisse, die eine neue Studie einer schwedischen Universität offenlegt. So hat der Gebrauch von Medikamenten und Drogen einen weitaus größeren Einfluss auf die Tierwelt als bisher angenommen. Demnach sollen Rückstände, die in die Natur kommen, gerade für Fische und Vögel verheerende Folgen haben.
Die Ergebnisse einer neuen Studie aus Schweden klingen wie aus einem Endzeit-Horror-Film. So sollen Rückstände von handelsüblichen Medikamenten, aber auch Drogen, die über das Abwasser in der Natur landen, furchtbare Folgen für Natur und Ökosysteme haben. Laut der Studie konnten 61 verschiedene Arzneimittel in weltweiten Flusswasser-Proben nachgewiesen werden. Besonders Fische und Vögel sollen davon betroffen sein. Konkret berichten die Forschenden von Meth-süchtigen Fischen, aggressiven Vögeln und neuen Gefahren für die Natur und die darin lebenden Tiere.
Rückstände von Antidepressiva verändern das Verhalten von Fischen und Vögeln
In der Studie, die im Fachmagazin „Nature Sustainability“ erschien, berichten die Forschenden, dass die Einnahme von Medikamenten und Drogen auch einen großen Einfluss auf die Umwelt und das Verhalten von Tieren hat. So konnten die Wissenschaftler gleich mehrere Phänomene beobachten. Etwa, wie Flussbarsche, die durch Rückstände von Antidepressiva im Wasser ihre natürliche Angst vor Raubtieren verloren und ihnen sogar entgegenschwammen.
Und auch bei Vögeln zeigten sich im Rahmen von Versuchen beunruhigende Ergebnisse. So zeigten Starenweibchen, denen Antidepressiva in der Konzentration verabreicht wurde, wie sie in Abwasserkanälen zu finden ist, ein unnormales Verhalten. Für sie wurden potenzielle Partner unattraktiver. Männchen hingegen wurden merklich aggressiver und sangen weniger, als ihre unbehandelten Artgenossen.
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Antibabypille sorgte für lokales Aussterben
Im Wasser konnten auch Rückstände der Antibabypille gefunden werden, die sich scheinbar nicht aus dem Abwasser filtern lassen. Diese Hormonreste hatten zur Folge, dass es bei einigen Fischpopulationen zu einer so großen Geschlechtsumkehr kam, dass extrem viele männliche Fische weiblichen Organen bildeten und das mit verheerenden Folgen!
Laut den Forschern führte dies zu einem Bestandseinbruch, was ein lokales Aussterben zur Folge hatte.
Im Wasser konnten die Wissenschaftler zudem diverse Rückstände von illegalen Drogen finden, die nachweislichen Einfluss auf die dort lebenden Fische hatten. So entwickelten Fische, die diesen Rückständen ausgesetzt waren, eine regelrechte Drogensucht. Diese Beobachtung deckt sich mit einer früheren Studie von Wissenschaftlern der Tschechischen Agraruniversität Prag. Sie fanden heraus, dass Fische durch drogenhaltiges Abwasser zu „Passiv-Junkies“ werden. So konnten die Forscher nachweisen, dass einige tschechische Gewässer geringe Spuren an Methamphetamin enthalten, welche die dortigen Fische aufnehmen.
Forellen entwickelten eine Drogensucht
„Wo es Meth-Süchtige gibt, da gibt es auch Umweltverschmutzung durch Meth“, erklärte damals Pavel Horký, einer der Studienforscher, der sich mit dem Einfluss von Drogen im Wasser auf Fische beschäftigte.1 Denn auch hier landen Drogen-Rückstände in der Natur. Tests mit Bachforellen zeigten, dass die Fische recht schnell eine Sucht entwickelten und dass die süchtigen Forellen in einem Aquarium mit künstlicher Strömung sich meistens auf der Seite mit den Drogen aufhielten.
Aber auch die neue Studie aus 2024 zeigt, dass sich Spuren von Drogen im Wasser finden lassen. So konnten demnach in etwa 43 Prozent der untersuchten Standorte Rückstände von mindestens einer illegalen Droge nachgewiesen werden und das in einer Konzentration, die über dem unbedenklichen Wert für die ökologische Gesundheit liegt.
Rückstände von pharmazeutischen Wirkstoffen können über Umwege auf unserem Teller landen
„Pharmazeutische Wirkstoffe werden in Gewässern auf der ganzen Welt gefunden“, erklärt Michael Bertram. Er ist ein Assistenzprofessor an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften. „Auch in Organismen, die wir essen könnten“. So konnten die Macher der Studie zeigen, dass pharmazeutische Abfälle und Drogenrückstände erhebliche Folgen für Tiere und die Natur haben. Außerdem stellen sie für sie – und im Umkehrschluss auch uns Menschen – eine wachsende Bedrohung dar.
Daher kommen die Forschenden zum Fazit, dass die Pharmaindustrie die Entwicklung von Medikamenten dringend reformieren müsse, um sie umweltfreundlicher zu machen. Denn „es gibt einige Wege, wie diese Chemikalien in die Umwelt gelangen können“, erklärt Bertram. „Ein Weg ist die unzureichende Behandlung von Pharmazeutika, die bei der Herstellung von Medikamenten freigesetzt werden.“2
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„Wenn ein Mensch eine Pille schluckt, wird nicht das gesamte Medikament in unserem Körper abgebaut“
Und weiter: „Eine andere ist die Einnahme. Wenn ein Mensch eine Pille schluckt, wird nicht das gesamte Medikament in unserem Körper abgebaut, so dass es über unsere Ausscheidungen direkt in die Umwelt gelangt“. Das gelte gleichermaßen für Stoffe wie Koffein, Antidepressiva und Antipsychotika, aber auch illegale Drogen wie beispielsweise Kokain und Methamphetamin.
Erschreckend sei hier zu beobachten, dass genau die Eigenschaften, die von Menschen besonders geschätzt werden, im Umkehrschluss der Umwelt umso mehr schaden. So seien Arzneimittel speziell darauf ausgelegt, bei niedrigen Dosen ihre Wirkungen zu entfalten. Doch genau das mache Medikamente und Drogen zu besonders gefährlichen Umweltschadstoffen.
Daher lautet der dringende Appell der Forscher: Medikamente müssten künftig so konzipiert werden, dass sie nach dem Gebrauch leichter abgebaut werden können. Zudem müsse die Abwasserbehandlung ausgebaut werden, um zu verhindern, dass Wirkstoffe in die Umwelt gelangen.