17. Mai 2024, 6:48 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Quallen werden als Haustiere im Aquarium immer beliebter. Die filigranen Nesseltiere sind ein echter Hingucker. Aber eignen sich Quallen überhaupt zur privaten Haltung? PETBOOK sprach mit einem Experten über die anspruchsvollen Bedürfnisse der Meeresbewohner.
Wer ihnen im Meer begegnet, sieht meist zu, schnell wegzukommen – der Kontakt mit Quallen kann schließlich unangenehm enden. In heimischen Wohnzimmern jedoch haben sich die Nesseltiere zu einem Trend entwickelt. Immer mehr Menschen halten die wirbellosen Wesen in Aquarien, erfreuen sich an ihrer Eleganz und dem Hauch des Exotischen, der die Haustiere umgibt. Doch sind Quallen wirklich für ein Leben im Aquarium geeignet? Welche Besonderheiten sind bei der Haltung zu beachten und wie lange leben Quallen überhaupt? PETBOOK sprach mit einem Experten darüber.
Was sind Quallen?
Quallen gehören, wie etwa auch Korallen, zur Gruppe der Nesseltiere. Sie bestehen zu etwa 98 Prozent aus Wasser und haben weder Knochen noch Herz und Hirn. Auch Blut fließt in ihnen nicht. Aufgebaut sind sie in drei Schichten: Außen werden sie von einer Haut umschlossen, danach folgt eine elastische, zweite Schicht, die aus gallertartigen Masse besteht. Sie verleiht Quallen ihre typische, glibberige Konsistenz. Die dritte Schicht im Inneren bildet ein Hohlraum mit dem Magen der Tiere. 1
Die äußere Hautschicht ist von Sinneszellen durchzogen, die Reize wie Licht und Temperatur wahrnehmen. Da Quallen kein Gehirn haben, könne sie die Reize jedoch nicht so verarbeiten wie andere Lebewesen. Doch manche dieser Reize rufen automatische Reaktionen hervor, durch die Quallen beispielsweise jagen oder Feinde abwehren können. 2
Zu den Quallen zählen etwa die giftigen Würfelquallen und die ungefährlicheren Schirmquallen, die es auch in Nord- und Ostsee gibt. Die sogenannte Rippenqualle zählt zwar ebenfalls zu den Quallenarten, bildet aber keine Nesselzellen. Das macht sie zu einer untypischen, „nicht echten“ Qualle.
Wo leben Quallen?
Rund 2500 Quallenarten sind derzeit bekannt. Sie leben fast überall in den Meeren, wobei ihre Artenvielfalt offenbar abnimmt, je kälter die Region ist, in der sie vorkommen. Lediglich die Ohrenqualle lebt in Meeren zwischen dem 70. nördlichen und dem 40. südlichen Breitengrad.
Die giftigen Würfelquallen, zu denen auch die gefährlichste Qualle der Welt, die australische Seewespe, gehört, kommen dagegen überwiegend in tropischen und subtropischen Gebieten vor.3 An deutschen Küsten trifft man meist auf Ohren-, Feuer- oder Blaue Nesselquallen. Auch die Seestachelbeeren genannten Quallen sind mitunter in heimischen Meeren zu finden. 4
Von Ohrenquallen droht Schwimmern keine Gefahr, wogegen die Nesselhaare, die unter anderem Feuer- und Kompassqualle besitzen, bei Berührung Gifte freisetzen. Sie können Hautreizungen verursachen.
Quallen bewegen sich überwiegend, indem sie ihren Schirm zusammenziehen und wieder loslassen. Dadurch befördern sie sich per Rückstoß nach oben. Anschließend sinken sie wieder ein Stück nach unten. Dennoch sind Quallen Meeresströmungen ausgesetzt und lassen sich meist treiben.
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Kann man Quallen im Aquarium halten?
Ja, einige Arten sind auch für die Aquarienhaltung geeignet, sagt Alexander Dressel, Quallenexperte aus der Nähe von Fulda in Osthessen. Er kennt sich aus mit den Nesseltieren, hält nicht nur zahlreiche Sorten, sondern züchtet die Tiere auch professionell: Im kleinen Ort Künzell betreibt er sein Unternehmen „Jellyfish Farm“, die eigenen Angaben zufolge größte Quallenzucht Europas.
Von dort aus verschickt er Quallen hauptsächlich an Zoos, Tierparks und Großaquarien in aller Welt. Dressels Quallen schweben durch Becken auf allen Erdteilen außer Australien. Er züchtet und hält unter anderem Ohren- und japanische Kompassquallen, Mangrovenquallen und Rippenquallen. Einblicke in seine Quallenwelt gewährt er auch online, etwa auf Instagram.
Quallenzucht, so Dressel, ist durchaus knifflig. Damit sich die Tiere fortpflanzen können, muss alles stimmen: Wasserqualität, Temperatur, Salzgehalt, Strömung. Daher seien Quallen als Aquarientiere auch nicht einfach zu halten. „Wer sich allerdings kundig macht, den Tieren eine geeignete Umgebung schafft und sich wirklich vor dem Kauf damit beschäftigt, was genau die gewünschte Quallenart benötigt, kann sie auch zu Hause halten.“ Mit der richtigen Vorbereitung „ist Quallenhaltung keine Raketenwissenschaft“.
Welche Quallen eignen sich für die Aquarienhaltung?
In heimischen Aquarien werden meist Ohren- oder Mangrovenquallen gehalten, sagt Quallenzüchter Alexander Dressel. Mangrovenquallen etwa benötigen keine Strömung im Becken, sie liegen meist am Boden wie etwa Korallen. Ohrenquallen gelten als besonders attraktiv für Aquarien, weil sie in der Strömung schwimmen.
„Wichtig ist, dass man vor dem Kauf einer Qualle überlegt, welche Art es denn sein soll“, so Dressel. Denn je nach Art benötigt das Tier einen exakt auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmten Salzgehalt des Wassers, Temperatur, Wasserwerte und eine gleichmäßige Strömung. Auch die Ernährung sei speziell, normales Flockenfutter, wie es etwa Fische bekommen, ist für Quallen ungeeignet.
Ebenso stellen die Tiere hohe Anforderungen an Becken und Umgebung. Daher heißt es oft, die Tiere seien für Anfänger nicht geeignet. Auch Menschen, die noch keine Erfahrungen mit Meerwasseraquarien und deren Eigenheiten gemacht haben, sollten auf die Quallenhaltung besser verzichten, ist oft zu lesen. „So drastisch würde ich das nicht sagen“, sagt dazu Alexander Dressel. „Allerdings sollten sich Anfänger unbedingt Rat und Unterstützung bei Experten, in Foren und aus Büchern holen.“
Was benötigen Quallen im Aquarium?
Wer sich eine Qualle ins heimische Wohnzimmer holen möchte, muss sich als Erstes von der gewohnten, rechteckigen Aquarienform verabschieden. „Die Becken für Quallen sind rund“, sagt Züchter Alexander Dressel.
Da Quallen eine leichte bis mittlere, aber vor allem ununterbrochene Strömung benötigen, muss das Becken zwingend rund sein. Nur darin lässt sich die dauerhafte Strömung, die Quallen benötigen, nachempfinden. „In einem eckigen Durchschnittsbecken würde die Qualle von der Strömung, die dort nur in eine Richtung läuft, in die Ecke getrieben, käme nicht mehr raus und würde dort sterben.“
„In Quallenbecken kommt außer der Qualle nichts hinein“
Doch das ist nicht alles: Auch im Hinblick auf Dekoration müssen sich Quallenhalter bei der Einrichtung des Aquariums umstellen: Pflanzen, Steine, besonderer Bodengrund oder gar versunkene Modellschiffchen haben im Zuhause des Tiers nichts zu suchen. „In Quallenbecken kommt außer der Qualle nichts hinein“, betont Dressel.
„Keine Steinchen, keine Pflanzen, absolut nichts.“ Der Grund: Die Tiere könnten sich an Steinen, Kanten oder spitzen Pflanzenteilen verletzen und infolgedessen sterben. Trotz Verzichts auf Dekorationen darf das Aquarium nicht zu klein sein. Wenigstens 20 Liter seien empfehlenswert, so Dressel.
„Ich rate zu einem Durchmesser von mindestens rund einem Meter.“ Mit Wasser und Unterschrank komme das Gebilde dann auf rund 250 Kilogramm Gesamtgewicht. „Das müsste die Decke einer Wohnung aber eigentlich aushalten.“
Viele Qallen-Aquarien gibt es als Set
Die Beleuchtung muss ebenfalls auf die Quallenart abgestimmt sein, die Tiere benötigen ein spezielles Lichtspektrum, das dem in ihrem Lebensraum ähnelt. Zu helles Licht mögen sie nicht, zudem fördert es das Algenwachstum. Daher ist auch der Standort des Beckens wichtig: Vor einem großen Südfenster sollte es nicht platziert werden.
Übrigens: Die meisten Quallen-Aquarien aus dem Fachhandel sind als Set inklusive Zubehör wie Lampen, Filter und anderer Technik erhältlich. Die Anzahl der Quallen pro Becken richtet sich unter anderem danach, wie groß sie werden und wie viel Platz das Aquarium bietet. Die Verkäufer können dazu Auskunft geben.
Pumpe, Filter, Salzgehalt
Damit die Qualle im Becken optimale Bedingungen vorfindet, muss unter anderem eine Pumpe installiert werden, die das Wasser im runden Becken in Bewegung hält. Dadurch soll die Meeresströmung imitiert werden.
Zudem benötigt man eine Filteranlage, die laut Quallenzüchter Dressel am besten außerhalb des Beckens angebracht wird. Sie reinigt das Wasser, wie in einem Fischaquarium, von unerwünschten Rückständen und Futterresten und sorgt dafür, dass lebensnotwendige Bakterien und andere Stoffe im Wasser sind.
Die richtigen Wasserwerte müssen exakt eingehalten werden, die Einstellung erfordert Erfahrung und Genauigkeit. Keinesfalls dürfen Qualle einfach in gesalzenes Leitungswasser gegeben werden. Das Wasser solle möglichst sogenanntes Reinwasser sein, das mit speziellem Salz für Meerwasserbecken angereichert wird.
Werte müssen durchgehend überprüft werden
„Der Salzgehalt muss zur Qualle passen, je nach Tier kann er bei drei bis dreieinhalb Prozent liegen.“ Auch andere, im Meer vorkommende und dringend benötigte Spurenelemente müssen im Wasser vorhanden sein. Und auch die Temperatur muss stimmen. Die meisten Aquarienquallen, wie etwa die Ohrenqualle, benötigen recht kühles Wasser um 20 Grad Celsius. Die Temperatur muss individuell eingestellt und geregelt werden. Schwankungen der Wasserwerte vertragen die Tiere nicht, sie müssen schnell behoben werden.
Wichtig: Hat man das Aquarium mit Wasser und Salz befüllt und laufen Filter, Pumpe und anderes Zubehör, muss der Quallenkauf dennoch einige Wochen warten. Das Wasser benötigt etwa einen Monat, um die notwendigen Bakterien und Stoffe zu bilden, die die Qualle zum Leben braucht.
Wer das nicht möchte, kann bereits fertiges Meerwasser kaufen, sollte das vor dem Einsetzen der Qualle aber auch mindestens einen Tag „einlaufen“ lassen. Während der Lebensphase der Qualle sollten Wasserqualität und Mineralisierung regelmäßig überprüft werden.
Futter am besten selbst züchten
Beim Futter sind Quallen ebenfalls nicht leicht zufriedenzustellen, wie Züchter Alexander Dressel weiß. Flockenfutter, wie es zahlreiche Aquarienfische bekommen, ist nicht ihr Ding. Zwar gibt es Fertigfutter für die Nesseltiere, das etwa als gefrorene Tabs erhältlich ist.
Wenn man die Fütterung wegen Abwesenheit mal Nachbarn oder Freunden überlassen muss, sei das ok. So richtig begeistert ist Experte Dressel allerdings davon nicht. „Am besten züchtet man das Quallenfutter selbst“, rät er. Sogenannte Artemia-Eier seien dazu optimal geeignet.
Die Eier gibt es bei spezialisierten Händlern und im Aquarien-Fachhandel. Gibt man sie in ein kleines, möglichst flaches Gefäß, schlüpfen aus ihnen – bei passendem Salzgehalt und richtiger Wassertemperatur – schnell winzige Krebse. Sie dienen als Lebensfutter für die Quallen. 5
Quallen fressen gerne Uhrzeitkrebschen
Wer in seiner Kindheit Yps-Hefte gelesen hat, kenne die Tierchen noch unter einem anderen Namen, wie Dressel sagt: „Das sind die berühmten Uhrzeitkrebschen.“ Die Menge des Futters richtet sich nach dem Besatz. Doch wie in einem Fischaquarium gelte auch bei Quallen: Bloß nicht zu viel Futter auf einmal ins Becken geben.
Quallen fressen oft nicht alles auf, daher kann die Wasserqualität schnell unter übrig gebliebenem Futter leiden. Daher gilt auch für Quallen-Aquarien, dass der Filter regelmäßig gereinigt werden muss. Auch das Becken sollte in Abständen sauber gemacht und gegebenenfalls ein Teil des Wassers gewechselt werden.
Quallen werden nicht sehr alt
Wer sich eine Qualle zulegt, sollte wissen: Selbst bei besten Wasserwerten kann man sich nicht mehrere Jahre an dem Tier erfreuen. Quallen leben je nach Art lediglich zwischen sechs und zwölf Monaten – älter werden sie nicht.
Da sie meist schon einige Monate alt sind, wenn sie im Zielaquarium ankommen, hat man also nicht allzu lange etwas von seinem Tier. Das sollten Quallenfreunde bedenken, denn die Anschaffungskosten für Becken, sämtliches Zubehör und die Tiere selbst sind nicht zu unterschätzen.
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So viel kostet es, Quallen im Aquarium zu halten
Zwischen 1000 und 3000 Euro müssten Anfänger einkalkulieren, bis sie alles haben, was ihre Qualle benötigt. Die Tiere selbst sind, je nach Art, für 25 bis 100 Euro zu haben, so Dressel. Dafür seien die Futterkosten vergleichsweise gering, denn die Tiere fressen nicht viel. Auch die Stromkosten hielten sich im Vergleich zu anderen Aquarien oder Terrarien in Grenzen.
Bedenken, dass sich eine Qualle in ihrem Becken vielleicht nicht wohlfühlen könnte und lieber im Meer leben würde, müssten sich Quallenhalter nicht machen, so Züchter Alexander Dressel. Er ist sich sicher: „Quallen merken gar nicht, wenn sie in einem Aquarium leben.“
Zwar könne man einer Qualle anhand ihres Wachstums und ihres Äußeren ansehen, ob die Bedingungen im Becken optimal sind. „Und das müssen sie auch, es ist schließlich ein Lebewesen, keine Lavalampe.“ Wohlfühlen sei dafür aber nicht der richtige Begriff, denn die Qualle erlebe und erfahre solche Eindrücke nicht. Das liege unter anderem daran, dass sie kein Gehirn hat, das solche Eindrücke verarbeiten kann.