Direkt zum Inhalt wechseln
logo Das Magazin für alle Tierbesitzer und -liebhaber
„Löwin“ in Berlin unterwegs?

So einfach ist es (leider) in Deutschland, Großkatzen zu halten

Eine Löwin liegt entspannt in einem bewaldeten Gebiet
Dass eine Löwin frei in Deutschland herumläuft, ist ungewöhnlich, aber leider nicht unwahrscheinlich, denn es gibt zu wenige Hürden für die Haltung von Großkatzen (Symbolbild) Foto: Getty Images
Louisa Stoeffler
Redakteurin

21. Juli 2023, 16:36 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Ganz Berlin und Brandenburg waren am 20. und 21. Juli in Aufruhr wegen einer angeblich entlaufenen Löwin. Es herrscht allgemeines Unverständnis darüber, woher das Tier stammt und ob es wirklich eine Wildkatze ist. Dies schien zunächst durchaus möglich. Denn tatsächlich ist es leider sehr einfach, Großkatzen in Deutschland zu halten.

Artikel teilen

In der Nacht zum 20. Juli 2023 ging bei der Polizei die Meldung ein, dass eine vermeintliche Löwin in Kleinmachnow in der Nähe von Berlin unterwegs sei. Dies versetzte die Gemeinde und die umliegenden Städte tagelang in Alarmbereitschaft. Eine Großkatze, die scheinbar niemand vermisste und nachts im Wald ein Wildschwein erbeutete? Viele fragten sich daraufhin, wie es sein konnte, dass die hier nicht heimische Art durch den Wald streifte, auch wenn die Echtheit der Meldung schon bald in Zweifel gezogen wurde und sich als falsch entpuppte. Klar war jedoch schnell: Aus einem Zoo oder Wildtiergehege war „die Löwin“ nicht ausgebrochen. Es hätte sich also um ein Tier aus Privathaltung gehandelt haben können. Tatsächlich ist das in Deutschland gar nicht so unwahrscheinlich. Denn es gibt kein Verbot der Haltung von Wildkatzen im Privatbereich. Was Tierschützer und Wildtierforscher darüber denken.

Anders als in den USA gibt es in Deutschland kein Verbot, Großkatzen als „Haustiere“ zu halten. Es ist also grundsätzlich erlaubt, die Tiere hier im Garten oder sogar dem Keller zu haben. Besonders dann, wenn sie aus Nachzuchten stammen. Wie die Tierrechtsorganisation Peta PETBOOK auf Anfrage mitteilt, gibt es nur in neun Bundesländern eine Gefahrtier- oder Giftgesetz-Verordnung, die die Haltung von gefährlichen Wildtieren beschränkt. „In Berlin gibt es eine solche Verordnung, in Brandenburg nicht“, weiß Dr. Yvonne Würz, die Senior Fachreferentin Zoo und Zirkus von Peta, zu berichten. Der Deutsche Tierschutzbund erklärt, dass Deutschland einer der größten Absatzmärkte für Exoten weltweit sei. Während es innerhalb Deutschlands zwar verboten ist, heimische Wildtiere einzufangen, dürfen Tierbestände in Asien, Afrika und Südamerika für den deutschen Heimtiermarkt geplündert werden.

„Ob es sich im konkreten Fall nun um eine gefährliche Großkatze handelte oder nicht, ändert nichts am grundsätzlichen Problem“, urteilt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Die ‚Löwin‘ und der immense Aufwand dieser teuren Suchaktion seien schon jetzt Sinnbild für eine inkonsequente und verfehlte Politik im Bereich Wildtierhandel und Heimtierschutz.

Dr. Yvonne Würz beurteilt die Lage in Deutschland als einen regelrechten „Flickenteppich an Regelungen“. Das bedeute, in Brandenburg dürfe man völlig legal einen Löwen halten, sofern man die gesetzlich vorgeschriebenen Haltungsbedingungen einhalte. Für einen Löwen müsse man lediglich ein 200 qm großes, gut strukturiertes und ausbruchsicheres Gehege vorweisen. „Auch der Erwerb ist legal, sofern es sich nicht um einen Wildfang handelt und artenschutzrechtliche Bestimmungen eingehalten werden. Aus Gründen des Tierschutzes und zum Schutz der Bevölkerung braucht es deshalb endlich ein bundesweites Heimtierschutzgesetz, das unter anderem die Privathaltung von exotischen Wildtieren verbietet.“

Auch interessant: Nach Verbot in USA – was passiert mit Raubkatzen in Privathaltung? 

„Tiger und Löwen sind in Deutschland problemlos legal erwerbbar“

Zudem sei der Handel mit Wildtieren fast gänzlich unreglementiert, mit der Ausnahme von wenigen streng geschützten Arten. Der Schutz bedrohter Tierarten ist zwar in dem internationalen Vertragswerk CITES, besser bekannt als das Washingtoner Artenschutzabkommen, geregelt. Dieses soll den Handel mit geschützten Arten regulieren, ist aber leider nicht sehr effektiv. 

„Selbst Tiger und Löwen sind in Deutschland problemlos legal erwerbbar, sofern sie in Gefangenschaft geboren wurden. Jedes Jahr werden außerdem rund 300.000 Reptilien aus fernen Ländern nach Deutschland importiert, viele von ihnen sind Wildfänge“, sagt Dr. Yvonne Würz. Ein Problem sei auch: Je geschützter und seltener ein Tier sei, umso größer sei das Interesse innerhalb der Szene, diesen Exoten im heimischen Wohnzimmer zu halten. Studien belegten auch, dass Exoten wie Reptilien häufig an durch Haltungsfehler verursachten Erkrankungen leiden oder sterben. Zudem komme es seit rund zwei Jahrzehnten immer häufiger zu Ausbrüchen von Großkatzen, Giftschlangen und anderen Wildtieren aus Privathaltungen und Zirkusbetrieben. 

„Trotz unzähliger Warnungen hat die Politik nicht reagiert, sondern dem Irrsinn freien Lauf gelassen und es versäumt, die Haltung exotischer Wildtiere zu beschränken“, sagt Dr. Yvonne Würz. Daher fordere Peta Bundesminister Özdemir und die Ampel-Koalition auf, bei der aktuellen Überarbeitung des Tierschutzgesetzes die Haltung von exotischen Wildtieren in Privathand und im Zirkus endlich zu verbieten. Dem kann sich Thomas Schröder nur anschließen. „Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu größeren Einsätzen von Polizei, Feuerwehr und Wildtierexperten, um entkommene Giftschlangen, Löwenbabys oder andere Wildtiere einzufangen und zu versorgen. Die Regierung muss nun endlich handeln und sowohl Tier als auch Mensch entsprechend schützen!“

Woher stammen die nachgezüchteten Tiger und Löwen in privater Hand?

Nadine Ronco Alarcón, Referentin für Bundespolitik bei Vier Pfoten Deutschland, weiß PETBOOK mehr über die Zucht von Großkatzen in Europa zu berichten. Und welche Ausmaße das Problem hat. In den letzten Jahren seien mehrere Fälle aufgefallen, in denen Löwen- und Tigerbabys involviert waren. Diese sollen in Südosteuropa gezüchtet und illegal gehandelt worden sein. „Die betroffenen Länder waren Kosovo, Nordmazedonien, Serbien, Albanien und Montenegro.“

Die Vier Pfoten Stiftung für Tierschutz habe sich mit diesem Problem an die lokalen Behörden in diesen Ländern gewandt und sie aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Besonders in Anbetracht der Biodiversitätsstrategie für 2030 der EU sei dies besonders wichtig. Dieser fordere die EU auf, den kommerziellen Handel mit gefährdeten Arten zu beenden. Seit 2018 beschäftige sich die Vier Pfoten Stiftung für Tierschutz zudem mit der kommerziellen Großkatzenzucht und dem Handel der Tschechischen Republik.

„Zunehmend verfestigte sich die Annahme, dass die Tschechische Republik ein Hotspot in Europa für den legalen und illegalen Handel mit Tigern ist. Die Behörden erkannten dies an und äußerten gegenüber Vier Pfoten ihren Willen für die notwendigen Veränderungen“, weiß Nadine Ronco Alarcón PETBOOK weiter zu berichten. Nach eigenen Angaben spielte Vier Pfoten eine Rolle bei der Entwicklung neuer Gesetze. Diese führten strengere Kontrollen für die private Haltung und ein Moratorium für die kommerzielle Zucht ein. Im Jahr 2021 wurde zudem ein EU-Tiger-Leitfaden zur Beendigung des kommerziellen Handels in und aus der Europäischen Union verfasst. Für diesen habe sich die Tschechische Republik gemeinsam mit der Slowakei bei Expertentreffen der EU-Mitgliedsstaaten erfolgreich eingesetzt.

Auch interessant: Liger – die Kreuzung aus Löwe und Tiger

Kann die Haltung von Großkatzen in Deutschland je artgerecht sein?

Die Arbeit von Vier Pfoten führte schließlich zur Verabschiedung des Leitfadens durch die Europäische Kommission im April 2023. „Die Freigabe der EU-Leitlinien für Tiger wird, wenn sie von den Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt wird, ein entscheidender Schritt sein, um den Handel mit in Gefangenschaft gehaltenen Tigern und ihren Teilen besser zu kontrollieren.“ Vier Pfoten erhofft sich außerdem, durch die Regelung „den Handel mit Tigern zu kommerziellen Zwecken, einschließlich der Privathaltung, im Wesentlichen zu beenden.“ Denn Großkatzen seien Wildtiere, die sich durch besondere Bedürfnisse und komplexe Verhaltensweisen auszeichnen. Eine artgemäße Unterbringung und Pflege dieser Wildtiere sei kaum möglich. 

„Wildtiere können in Gefangenschaft nie ihren natürlichen Bedürfnissen gerecht gehalten werden“, ordnet auch Dr. Yvonne Würz die Situation für PETBOOK ein. Denn Großkatzen gehörten zu den Tierarten, die besonders stark und den artwidrigen Bedingungen leiden. „Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass die Raubtiere häufig Verhaltensstörungen entwickeln und in den beengten Gehegen ständig dieselben Strecken auf und ab laufen (sogenanntes ‚Pacing‘).“

Zudem lebten Löwen in der Natur in Rudeln mit 4 bis 40 Tieren. Auch das arttypische Sozialverhalten könne also in Gefangenschaft nicht erfüllt werden, ebenso wie das Jagdverhalten. „Dieses massive Tierleid gilt gleichermaßen für Zoo-, Zirkus- und Privathaltungen. Peta fordert deshalb, dass Wildtiere wie Großkatzen grundsätzlich nicht mehr in Gefangenschaft gehalten werden sollten, mit Ausnahme von anerkannten Auffangstationen.“

Mehr zum Thema

Petition gegen Haltung von Großkatzen in Deutschland ins Leben gerufen

Auch Tierschützerin und Influencerin Victoria Müller spricht sich für PETBOOK gegen die Haltung von Wildtieren in Deutschland aus. „Wie der Name schon sagt, gehören Wildtiere nicht in die Wohnung oder in ein Gehege. Sie sollten in ihrem natürlichen Lebensraum bleiben. Das unterscheidet sich maßgeblich von domestizierten Tieren wie Hunden. In Deutschland kann man relativ problemlos Wildtiere privat halten und das ergibt aus diversen Gründen einfach wenig Sinn. Zum einen kann die Sicherheit nicht gegeben werden, denn diese Tiere können ausbrechen und in der Vergangenheit gab es schon einige Großeinsätze wegen Schlangen oder Raubkatzen. Außerdem kann die Haltung nicht artgerecht erfolgen, denn artgerecht ist die Freiheit.“

PETBOOK fragte Victoria Müller auch nach der Petition gegen die Haltung von Großkatzen, die sie prompt ins Leben gerufen hat. „Ich wünsche mir, dass das Thema grundlegend mehr Aufmerksamkeit bekommt. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass es in der Nachbarschaft Krokodile geben könnte und dass die Haltung dieser Tiere nicht verboten ist. Dafür möchte ich sensibilisieren und natürlich die Politik dazu bewegen, endlich aktiv zu werden.“

Aktuell stehe eine Novellierung des Tierschutzgesetzes aus. Hier könnten jetzt entsprechende Paragrafen verankert werden, weiß Victoria Müller PETBOOK weiter zu erzählen. „Ich fordere ein Haltungsverbot von Wildtieren und exotischen Tieren, auch aus Nachzucht, für Privatpersonen. Außerdem muss es auch in Deutschland Positivlisten für Heimtiere geben. Eine Positivliste für Haustiere ist eine offizielle, gesetzlich geregelte Liste von Tierarten, die als sicher und artgerecht für die Haltung in privaten Haushalten angesehen werden. Es kann nicht sein, dass Menschen Tiere halten, die im Wohnzimmer, Keller oder in einem Gehege nichts zu suchen haben.“

Günstige Flüge buchen - Skyscanner Anzeige
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale- Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für diesen .
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.