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Haisuppe und „Finning“

Sterben Haie durch Jagd auf ihre Flossen bald aus? Expertin: »70 Prozent haben wir schon verloren

Die Situation der Haie ist bereits mehr als angespannt. So ist bereits 70 % der Hochseehai-Population verschwunden.
Die Situation der Haie ist bereits mehr als angespannt. So ist bereits 70 % der Hochseehai-Population verschwunden. Foto: Getty Images
Dennis Agyemang
Redakteur

2. Oktober 2023, 14:42 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Denkt man an die Weiten der Meere, so kommen einem schnell auch Haie in den Sinn. Doch um die Jäger der Meere steht es nicht gut, denn mittlerweile sind sie zu den Gejagten geworden. Der Grund: ihr Fleisch – insbesondere ihre Flossen werden immer beliebter.

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Die Situation der Haie ist kritisch. Experten schlagen bereits Alarm, da bereits 70 Prozent der Hochseehai-Populationen verschwunden sind. Das Ausmaß sei schon jetzt deutlich spürbar und katastrophal, so viele Hai- und Meeres-Experten. Sollten wir diese Topräuber verlieren, so habe es zur Konsequenz, dass das ganze Ökosystem zusammenbricht, sagt Dr. Iris Ziegler von der internationalen Hai- und Artenschutzorganisation „Sharkproject“ im Gespräch mit PETBOOK.

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»Haie werden weltweit gefangen – vor allem von der EU-Flotte

PETBOOK: Ein wichtiger Grund, warum auf Haie weltweit Jagd gemacht wird, sind ihre Flossen. Diese werden im südostasiatischen Raum beliebte Haifischflossensuppe verwendet. Besonders beliebt ist diese Suppe in Hongkong, Japan und Taiwan. In mehreren Ländern gibt es daher Kampagnen, dass man diese – an sich geschmacksneutrale Speise – nicht mehr essen soll. Ist das sogenannte „Finning“ noch immer ein Thema?

Dr. Iris Ziegler: „Das ist nach wie vor ein Riesenthema, denn die wertvollen Flossen sind nach wie vor der Hauptgrund für den Fang der Haie. Dieser wird zwar sehr oft nur als „Beifang“ bezeichnet. Haie werden aber tatsächlich gezielt gefangen, um die Haifischflossen nach Südostasien exportieren zu können – für diese berühmte Suppe. Konsumiert wird sie in Südostasien, in Europa dagegen so gut wie gar nicht. Vielleicht mal in einem China-Restaurant, aber das ist eher selten. Gefangen werden die Haie aber weltweit – vor allem auch von der EU-Flotte. Die ist weltweit eine der größten Hai-Fangflotten überhaupt und das hauptsächlich um der Flossen willen, auch wenn in der EU und auf EU Schiffen das echte „Finning“ tatsächlich verboten ist.“

»EU-Flotte fängt jährlich um die 50.000 Tonnen Blauhai

Warum ist die EU-Flotte einer der Hauptakteure, wenn diese Flossen innerhalb der EU doch kaum konsumiert werden?
„Weil es ein super Geschäft ist. Die EU-Flotte, das sind vor allem die Spanier und die Portugiesen, hat dieses Geschäft vor ca. 30 Jahren für sich als Marktlücke und attraktive Geschäftsoption entdeckt. Seitdem läuft das so und hat unvorstellbare Ausmaße angenommen … Allein im Atlantik werden durch die EU-Flotte jährlich um die 50.000 Tonnen Blauhai gefangen. Und das ist nur die Menge, die berichtet wird. Es gibt da noch eine riesige Dunkelziffer, von der kein Mensch wirklich weiß, wie hoch sie ist. Man muss dazu sagen, dass auf dem Meer bisher kaum Überwachung stattfindet und nur auf ca. 5 Prozent aller Fangfahrten sind unabhängige Beobachter an Bord. Das heißt: nur das, was in den Häfen gemeldet wird, geht dann auch in die Statistiken ein.“

Ein Haufen frischer Haifischflossen in einem grünen Korb auf einem Fischmarkt
Beliebte Beute: Haifischflossen, die recht lukrativ verkauft werden können. Foto: Getty Images

„Humane Tötungsmethoden oder Betäubung vor dem Töten sind in der Fischerei komplette Fehlanzeige“

In einigen Artikeln heißt es, dass bei der Haijagd häufig den Haien die Flossen einfach abgeschnitten werden und sie danach noch lebend wieder zurück ins Meer geschmissen werden
Ja, das ist das sogenannte „Finning“. Das gibt es nach wie vor und es ist ein Riesenproblem, obwohl es offiziell verboten ist. Offiziell macht es die EU-Flotte zwar nicht, aber was illegalerweise passiert, weiß kein Mensch. Gefangen werden die Haie aber trotzdem in riesigen Mengen, hauptsächlich wegen ihrer Flossen. Offiziell müssen die Flossen am Tierkörper verbleiben und dürfen erst im Hafen abgetrennt werden. Das Fleisch wird dann entweder zu Fischmehl verarbeitet oder nach Südamerika exportiert, um dort zum Beispiel in Brasilien an die Schulkantinen verramscht zu werden.

Aber man muss dazu eines wissen: Dem Hai ist es ehrlich gesagt egal, ob er die Flossen an Bord abgeschnitten bekommt, während er noch lebt und dann ins Meer zurückgeworfen wird, um dort qualvoll zu verenden, oder, ob er an Bord samt Flossen langsam erstickt und ebenso qualvoll verendet. Humane Tötungsmethoden oder gar Betäubung vor dem Töten sind in der Fischerei komplette Fehlanzeige.

Bisher gibt es noch kein internationales „Finning“-Verbot

Man sollte des Weiteren wissen, dass von den größten Haifang-Nationen weltweit, die wirklich signifikante Mengen fangen, noch nicht einmal alle tatsächlich ein „Finning“-Verbot haben. Viele andere haben es zwar offiziell verboten, aber inwieweit das wirklich umgesetzt wird, ist dann eine andere Frage. Ehrlich gesagt ist aber „Finning“ bei Weitem nicht das einzige Thema. Das gesamte Ausmaß des weltweiten Haifischfangs und die komplett unzulänglichen Berichte, wie viele Haie, wo und wann gefangen werden, sind das eigentliche Riesenproblem.

Was sind denn noch weitere große Probleme?
Tatsächlich ist die Fischerei als Hauptproblem für die Haie. Klimawandel und Verschmutzung sind zwar ebenfalls ein Problem, aber Nummer eins der Gründe für den Verlust der Artenvielfalt im Meer und den Rückgang der Haifisch-Bestände ist wirklich die Fischerei. In der Fischerei muss man zwei Themen unterscheiden: erstens, den gezielten Fang. Das ist das, was die EU-Flotte und auch einzelne Länder wie z. B. Indonesien oder Japan machen. Und zweitens haben wir natürlich die Beifang-Thematik. Also, dass Haie als Beifang in riesigen Mengen in der Thunfischfischerei mittels Ringwaden, Langleinenfischerei oder Treibnetzen, sowie in der gesamten Bodenschleppnetzfischerei verenden. Da sind sie kein gezielter, aber ein oftmals sehr gerne gesehener Beifang, da sie sich sehr gut verkaufen lassen, insbesondere die Flossen.

Die Politik muss aktiv werden

In beiden Bereichen haben wir das gleiche Problem, dass es kein effektives Management oder nachhaltige Maßnahmen gibt. Zudem fehlen uns oftmals zuverlässige Daten bezüglich der Arten, der Mengen und wo welche Haie von welchen Schiffen gefangen werden. Die berichteten Angaben sind zumeist sehr vage und es wird meist nur eine ungefähre Anzahl pro Jahr angegeben, die dann als „nachhaltig“ eingestuft wird. Bis auf wenige Ausnahmen ist das alles mehr oder weniger unkontrolliert.

Und da, wo Haie tatsächlich nur als Beifang eingestuft werden – das ist der Regelfall auch wenn sie gezielt gejagt werden – dann gelten lediglich  Mitigation-Maßnahmen. Also Maßnahmen die die Beifangmengen reduzieren oder die Überlebenschancen des Beifangs verbessern sollen, sofern der Beifang tatsächlich nicht an Bord behalten und verkauft wird sondern wieder freigelassen wird. Aber auch dabei werden nur selten verpflichtende Maßnahmen umgesetzt, um die Überlebenschancen von freigelassenen Haien wirklich zu erhöhen und keinesfalls wenn diese Maßnahmen zu einer potentiellen Reduzierung an Fangmenge für die eigentlichen Zielart führen könnte.

Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Unsere Forderungen sind, dass es ein verpflichtendes, wirksames und nachhaltiges Management für alle Hai-Arten gibt, die gezielt gejagt werden. Mit Fangquoten, mit Zuteilung von Quoten, mit Wiederaufbauplänen, mit strategischen Plänen, wie viele Haie wann gefangen werden dürfen und dass ein solches Management einem ökosystembasierten Ansatz verpflichtet sein muss. Es müssen dabei alle betroffenen Hai- und Rochenarten, zusammenfassend als Elasmobranchier oder Plattenkiemer bezeichnet, berücksichtigt werden. Das ist unsere klare Forderung, weil sonst werden wir die Haie bald verlieren, mit katastrophalen Auswirkungen! Wir haben heute schon über 70 Prozent der Bestände an Hochseehaien verloren und Dreiviertel aller Hochseehaiarten steht inzwischen auf der Roten Liste der bedrohten Arten – sind also gefährdet, stark bedroht oder unmittelbar vom Aussterben bedroht.

„Bloß nicht auf Nachhaltigkeitssiegel wie das MSC-Siegel vertrauen!“

Sie haben eben erwähnt, dass Haifischflossensuppe auf dem europäischen Markt keine große Sache ist – weshalb ein Boykott hier in Deutschland keine große Tragweite hätte. Was kann ich also als Individuum tun, um Haien zu helfen?
Konkret kann jeder zwei oder drei Dinge tun. Zum einen, wenn Sie Fisch kaufen und konsumieren, bitte darauf achten, dass Sie nur Fisch aus Fischereien kaufen, die mit Fangmethoden arbeiten, wo es möglichst wenig Hai-Beifang gibt. Das ist bei Thunfisch zum Beispiel die sogenannte Angelruten-Methode oder auch die Handleinen-Methode. Das muss aber explizit auf dem Etikett draufstehen. Oder eben gar keinen Seefisch mehr essen, sondern dann lieber den Fischkonsum auf pflanzenfressende Arten – so wie den guten alten Karpfen – beschränken. Der wäre perfekt oder eben insgesamt lieber weniger Fisch essen.

Wenn man Thunfisch oder Schwertfisch isst, dann sollte man darauf achten, auf welche Art und Weise er gefangen wurde. Es gibt zum Beispiel eine große Fischerei auf den Malediven, die ausschließlich mit Angelruten und Handleinen arbeitet und der Fang daher wirklich als nachhaltiger Thunfisch bezeichnet werden kann, den man beruhigt essen kann. Bei allen anderen Fangmethoden ist Vorsicht geboten. Bloß nicht auf Nachhaltigkeitssiegel wie das MSC-Siegel (weißer Fisch auf blauen Grund, zertifiziert nachhaltige Fischerei) vertrauen. Die sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.

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»Wir brauchen viel mehr Stimmen, die sich für Meeresschutz und ein Haifischflossen-Handelsverbot einsetzen

Und dann wäre da noch die Politik: Nächstes Jahr sind EU-Parlamentswahlen. Wir brauchen in der EU viel mehr Stimmen, die sich für Meeresschutz, Haischutz und ein Handelsverbot für lose Haifisch Flossen starkmachen. Die sind nämlich noch immer der Haupttreiber für diese maßlose Ausbeutung der Haie. Es gibt eine erfolgreiche EU-Bürgerinitiative mit der Forderung für ein Handelsverbot von Haifischflossen in der EU, worauf die EU-Kommission nun reagieren muss und entscheiden muss, ob sie dieses umsetzen wird. Dafür braucht es aber noch muss Druck seitens des EU-Parlamentes. Das können wir nur schaffen, indem da mehr progressive Kandidaten sitzen und nicht nur die Konservativen, wie die CDU/CSU, oder die FDP, die meinen, die Ernährungssicherheit sicherstellen zu müssen und deswegen „fangt noch mehr“ Parolen unterstützen. Ansonsten gilt: aufklären und weitersagen, denn es fehlt generell an einem Bewusstsein für das Thema und die Tragweite der Problematik in der Bevölkerung.

Was für Folgen hätte es für das Ökosystem, wenn Haie aussterben würden?
Das wäre eine Katastrophe! Wir haben jetzt schon ein Riesenproblem und es wird uns einholen, denn wenn die Haie als größte Raubfische weg sind, bricht das ganze Ökosystem zusammen. Wir sehen es teilweise schon heute, denn an 20 Prozent – also an jedem fünften Riff – gibt es heute schon keine Haie mehr – mit katastrophalen Auswirkungen! In der Hochsee haben wir sogar das Problem, dass 70 Prozent der Hochseehaibestände weg sind und in der Tiefsee weiß sowieso kein Mensch, was da wirklich los ist. Denn auch dort gibt oder besser gesagt gab es Haie – nur wissen wir nicht, wie es dort um die Bestände bestellt ist. Im Zweifel eher noch schlechter, aber auch dort sind die Haie unverzichtbar für dieses besonders empfindliche Ökosystem.

„Haie sind die Gesundheitspolizei im Meer“

Was bedeutet das für die Hochsee, wenn die Haibestände nur noch in kleiner Menge da sind?
Wenn sie nur noch in kleiner Menge da sind, dann können sie ihre Rolle im Ökosystem nicht mehr wahrnehmen. Die Haie stehen an der Spitze des Nahrungsnetzes. Sie sorgen dafür, dass mittlere Prädatoren nicht überhandnehmen. Die würden sonst wieder darunterliegende Klassen leer fressen und das ganze System aus der Balance bringen. Dabei werde die marinen Ökosystems eh schon durch den Klimawandel massiv aus der Balance gebracht. Haie sorgen dafür, dass alte Tiere entnommen werden und dass sich Krankheiten nicht ausbreiten können, weil kranke Tiere direkt entnommen werden. Das heißt, Haie sind, sozusagen, die Gesundheitspolizei im Meer. Da sind sich inzwischen alle einig, Haie und andere Spitzenprädatoren wie Orcas und Pottwale – und auch davon haben wir ja nicht mehr viele – sind extrem wichtig für die Gesundheit unserer Meere.

Großen Haie haben nämlich noch eine wichtige Funktion im Rahmen der sog. „Blue Carbon Storage“. Durch ihre Vertikal-Bewegung, da sie ja ständig von der Oberfläche bis n die Tiefsee herunterschwimmen, transportieren sie CO₂ von der Oberfläche in die Tiefsee, wo es gespeichert und dem Kreislauf entzogen wird. Wenn sie auf natürliche Weise sterben, ohne dass sie dem Meereskreislauf entnommen werden, nehmen sie das in ihren Körpern gespeicherte CO₂ ebenfalls mit in die Tiefsee und entziehen es dem Kreislauf dauerhaft. Das ist also eine ganz wichtige Funktion, die diese großen Tiere im Meer erfüllen.

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Es gibt aber noch weitere Funktionen: Beispielsweise der Tigerhai. Der sorgt dafür, dass Seegraswiesen nicht permanent von den Schildkröten beweidet werden. Die würden die ansonsten schnell leer fressen. Wenn die Schildkröten aber wissen, dass der Tigerhai da ist, dann sind sie vorsichtig und gehen nur ab und zu mal raus zum Knabbern. Wenn der Hai weg ist, dann fressen sie so lange bis sie satt sind und dann ist die Seegraswiese tot. Seegraswiesen sind extrem wichtige CO₂-Speicher. Also insgesamt sind die Meere ein sehr diffiziles, vernetztes System – aber nur wenn es komplett ist, funktioniert es und dafür brauchen wir eben die Haie.

Themen Haie Meerestiere
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