
5. Februar 2025, 17:24 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wie ein Tiger aussieht, weiß jedes Kind: Orangefarbenes Fell mit schwarzen Streifen. Doch wussten Sie, dass viele Tiere – inklusive der Großkatzen selbst – Tiger als Grün wahrnehmen? PETBOOK-Redakteurin und Biologin, Saskia Schneider, erklärt, was dahintersteckt.
Uns stechen Tiger mit ihrem orangefarbenen Fell und den schwarzen Streifen sofort ins Auge. Mancher fragt sich daher vielleicht: Wie kann es sein, dass die Tiere sich unbemerkt an ihre Beute heranschleichen, wenn man sie doch schon von Weitem aus dem grünen Blätterwerk herausstechen sieht. Doch viele Tiere sehen die Welt ganz anders als wir. So erscheint der Tiger seinen Beutetieren nicht orange, sondern grün, und besitzt damit die perfekte Tarnung im dichten Dschungel. Doch wie kann das sein?
Viele Säugetiere sehen nur zwei Farben
Die meisten Säugetiere – und übrigens auch Tiger selbst – nehmen weniger Farben wahr als Menschen. Wir besitzen in unserer Netzhaut drei Farbrezeptoren, auch Zapfen genannt. Damit können wir die Farben Blau, Grün und Rot wahrnehmen. Die meisten Säugetiere besitzen nur zwei Zapfentypen. Man spricht daher auch vom dichromatischen Sehen. Im Endeffekt nehmen sie die Welt dadurch vor allem in Blau- und Grüntönen wahr, sehen aber kein Rot. 1
Doch was bedeutet das konkret? Hier ein Beispiel: Während sich für uns ein orangefarbener Ball optisch gut von einem grünen Hintergrund abhebt, können viele Tiere – darunter auch Hunde und Katzen – Rot- und Grüntöne nur schwer voneinander unterscheiden. Ähnlich wie bei einer Rot-Grün-Sehschwäche beim Menschen. Für sie ist der orange Ball im grünen Gras nur schwer auf Anhieb auszumachen.
Auch Hunde können kein Rot sehen
Das kann übrigens jeder Hundebesitzer einmal selbst mit seinem Vierbeiner ausprobieren. Denn erstaunlich viele Bälle für Hunde haben eine orange oder rote Farbe. Aber nicht, weil unsere Haustiere diese gut sehen können, sondern weil wir Menschen den Ball dann besonders schnell im Gras wiederfinden.
Hunde orientieren sich beim Ballspiel eher an dessen Bewegung. Hierbei sind sie uns Menschen im Sehen voraus. Steht der Ball still, haben sie allerdings Probleme, ihn ausfindig zu machen. Viele Besitzer fragen sich dann, warum der Hund den Ball nicht findet – schließlich sehen wir das kleine runde Ding meterweit entfernt! Hier setzen Hunde dann meist ihre Nase ein, denn für sie unterscheidet sich die Farbe des Balls kaum von der des Rasens.
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Warum können nur wenige Säugetiere Rot sehen?
Für uns Menschen ist der Sehsinn mit Abstand der wichtigste. Das ist bei vielen Tieren aber anders. Für Hunde etwa ist der Geruchssinn der wichtigste. Für Katzen sind es neben dem Geruchs- vor allem der Hör- und Tastsinn. So kommen blinde Katzen oft hervorragend zurecht. Ihre anderen Sinne gleichen den Verlust der Sehkraft aus.
Weil für uns Menschen das Sehen so wichtig ist, war es evolutiv auch von Vorteil, trichromatisches Sehen zu entwickeln. Diese Fähigkeit hatten bereits unsere Vorfahren, und viele Menschenaffen verfügen ebenfalls über drei Zapfen in der Netzhaut. Es kommt uns aber zum Beispiel beim Früchtesammeln zugute, denn viele Pflanzen machen durch Gelb- und Rottöne auf ihre reifen Früchte aufmerksam. Manche Tiere, wie Insekten oder Reptilien, nutzen diese Farben als Warnung, weil sie giftig sind.
Darum sind Tiger für viele Tiere grün
Beim Tiger verhält es sich also so wie mit dem orangefarbenen Ball. Viele seiner Beutetiere nehmen sein Fell als grünlich wahr. Somit verschwimmt es im Blätter- und Buschwerk des Dschungels und die großen Raubkatzen können sich unentdeckt an ihre Beute heranschleichen. Dies wurde sogar mittels Computersimulation in einer Studie aus dem Jahr 2019 belegt. Dafür erzeugten englische Forscher Aufnahmen von Tigern, so wie ihre Beutetiere sie wahrnehmen. Auf den ersten Blick sind die grünen Raubkatzen darauf kaum zu erkennen. 2
Warum sind Tiger dann aber nicht einfach „richtig“ grün? So würden auch Lebewesen mit trichromatischem Sehen die Raubkatzen weniger schnell bemerken. Diese Frage beantwortet John Fennel, Leiter der Studie, im Wissenschaftsmagazin „Livescience“. Obwohl grüne Tiger wahrscheinlich noch schwerer zu entdecken wären, arbeitet die Evolution einfach nicht mit den Zutaten, die für die Herstellung von grünem Fell notwendig sind. „Im Wesentlichen ist es einfacher, Braun- und Orangetöne aufgrund der biomolekularen Struktur des Tieres zu produzieren“ als Grüntöne, erklärt der Dozent für Tiersensorik und Biometrie an der Bristol Veterinary School.

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Menschliches Sehvermögen ist für Säugetiere ungewöhnlich
Sein Kollege, Dr. Laszlo Talas, fasst zusammen: „Die Farben der Natur ergeben für uns nicht immer einen Sinn, weil wir sie mit menschlichen Augen betrachten. Die Farben von Tieren sollten in dem Kontext beurteilt werden, in dem sie leben: ihre Umgebung, ihre Beute, ihre Raubtiere und ihre Partner.“
Fennel fügt hinzu: „Man sollte sich daran erinnern, dass das menschliche Sehvermögen bei Säugetieren sehr ungewöhnlich ist. Wir haben ein extrem scharfes Sehvermögen und unsere Augen sind trichromatisch, was bedeutet, dass wir drei Arten von Farbrezeptoren in unseren Augen haben – die meisten anderen Säugetiere sind Dichromaten mit nur zwei Rezeptoren, die es ihnen nicht ermöglichen, Grün von Rot zu unterscheiden.“ 3