11. Juni 2024, 15:48 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die isländische Regierung hat dem letzten aktiven Walfangunternehmen des Landes eine neue Walfanglizenz ausgestellt und somit die umstrittene Jagd auf Wale auf weitere fünf Jahre verlängert. Experten und Tierschützer sind entsetzt.
Island gehört neben Japan und Norwegen zu einem der wenigen Länder, das weiterhin kommerziellen Walfang erlaubt – mit Fangquoten und Lizenzen. Am 11. Juni sollte darüber entschieden werden, ob die Hvalur, die letzte dort noch verbliebenen Walfang- und Holdinggesellschaft, eine neue Lizenz für die nächsten fünf Jahre erteilt wird.1 Trotz Warnungen von Experten und Tierschützern stellte die isländische Regierung nun eine neue Walfanglizenz aus.2
Experte spricht von schwerem Rückschritt
So darf das umstrittene Unternehmen Hvalur in der Jagdsaison 2024 noch 128 Finnwale erlegen. Das sind 33 Tiere weniger als im vorigen Jahr. Eine Entscheidung, die vielerorts für blankes Entsetzen sorgt. So auch bei Diplom-Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung für Meeresschutz. Gegenüber PETBOOK äußert der Wal-Experte seinen Unmut: „Die Entscheidung der isländischen Regierung, dass das Unternehmen von Kristján Loftsson erneut Finnwale zu kommerziellen Zwecken töten darf, ist ein schwerer Rückschritt für den Schutz gefährdeter Meerestiere.“
Auch wenn in Island seit 2022 schärfere Regeln für den Walfang gelten, steht dieser noch immer unter massiver Kritik. Zwar darf dort nur noch der Finnwal getötet werden, doch auch dieser gilt mittlerweile als gefährdet, da er lange kommerziell wegen seines Öls und Fleischs gejagt wurde.3
Darum steht der Walfang in der Kritik
Im Jahr 2023 gab es wegen der Tierschutzbedenken sogar einen temporären Stopp, was viele Tierschützer hoffen ließ. Doch dann verkündete Ernährungsministerin Svandís Svavarsdóttir am 31. August 2023 in einem Livestream, dass der Walfang auf Island weitergehe (PETBOOK berichtete).
Umweltveränderungen wie Lebensraumverlust, Giftstoffe im Wasser und Auswirkungen des Klimawandels fachen die bedrohliche Situation dieser Wale, die übrigens nach Blauwalen die zweitgrößten Meeressäuger sind, weiter an. Kritisiert wird von Experten aber auch, dass es unmöglich sei „einen Wal auf humane Art und Weise zu töten“. Mit diesen Worten zitiert das ZDF Patrick Ramage vom Tierschutzfonds IFAW (International Fund for Animal Welfare).
Auch interessant: Studie zeigt erstmals, dass auch Wale Gesichtsausdrücke haben
»Es ist die Obsession eines einzelnen Mannes
Waljagd bedeute in jedem Fall massives Tierleid und sei daher immer automatisch auch Tierquälerei, so der Experte weiter. „Es ist brutal, es ist unnötig, weil kein Isländer mehr Walfleisch isst. Loftsson exportiert nach Japan und hat finanziell große Einbußen.“ Mit Loftsson meint der Naturschützer den bekannten Walfänger Kristján Loftsson. Dieser ist der Erbe der letzten Walfanggesellschaft Islands. Das Unternehmen heißt „Hvalur“, was auf isländisch so viel wie „Wal“ bedeutet und wurde von seinem Vater nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet.4
Bereits als kleiner Kristján sei er mit auf die Jagd gefahren. Daher wird davon ausgegangen, dass es dem mittlerweile betagten und durchaus vermögenden Unternehmer hier nicht mehr um Materielles geht. „Loftsson ist das egal, er ist Milliardär. Er gibt Unsummen aus, um seine Walfangindustrie zu betreiben, die keinen Gewinn abwirft“, erklärt Patrick Ramage dem Magazin „Spektrum“ die festgefahrene Situation.5
Selbst in Japan sinkt die Nachfrage nach Walfleisch, sagen Experten
„Es ist die Obsession eines einzelnen Mannes“, der hier ein teures Hobby ohne ernsthafte Gewinnabsichten betreibe. Die Nachfrage nach Walfleisch sei ohnehin so gering, dass die Kosten nicht gedeckt werden könnten, weiß der Experte. „Das Fleisch der erlegten Wale kann er ausschließlich nach Japan exportieren, doch dort sinkt seit Jahren die Nachfrage kontinuierlich. Selbst die japanischen Walfänger haben inzwischen große Mühe, ihr Walfleisch loszuwerden.“
Und was sagt Kristján Loftsson zu diesen Vorwürfen? Handelt es sich bei seiner Waljagd wirklich nur um ein teures Hobby eines Milliardärs auf dem Rücken der Wale? Nein, sagt Loftsson. Er bestreitet gleich in mehreren Interviews beharrlich große, finanzielle Einbußen zu haben. „Wir können nicht nachvollziehen, was mit dem Fleisch passiert, sobald er es nach Japan gebracht hat. Es ist schwierig, es auf dem dortigen Markt zu verfolgen“, hält Ramage dagegen.
Experte zeichnet eine düstere Prognose
Über die Entscheidung, der isländischen Regierung, dem Unternehmen eine neue Lizenz auszustellen, sagt Meeresbiologe Ulrich Karlowski, dass dies nicht nur ein schwerer Rückschritt für den Schutz gefährdeter Meerestiere sei, sondern auch ein Schlag ins Gesicht der isländischen Tourismusindustrie. Denn „viele Menschen kommen auf die Insel, um hier Meeressäuger in freier Wildbahn in einer beeindruckenden Natur erleben zu können.“
Aber nicht nur das. Die neue Lizenz sei auch eine Entscheidung gegen die Ziele des UN-Übereinkommens zur biologischen Vielfalt und der UN-Klimaschutzkonvention. Denn „beide wollen das globale Massenaussterben und die Klimakrise stoppen. Unstrittig ist, dass Großwale hier als lebende CO₂-Speicher und Gärtner in der Welt des Meeresplanktons eine unverzichtbare Rolle spielen.“
Tierschützer sind entsetzt
Abgesehen davon zeigten zahlreiche Studien, dass die Harpunierung von Großwalen ein grausamer, langwieriger und keinesfalls humaner Tötungsvorgang seien, wie von der Walfangindustrie behauptet wird, mahnt Wal-Experte Ulrich Karlowski gegenüber PETBOOK.
Aber auch bei der Tierschutzorganisation Humane Society International, zeigt man sich darüber „enttäuscht“, dass die isländische Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Bjarkey Olsen Gunnarsdottir „die eindeutigen wissenschaftlichen Beweise ignoriert hat, die die Brutalität und Grausamkeit des kommerziellen Walfangs belegen, und es erlaubt, dass Wale ein weiteres Jahr lang getötet werden“.
Nach temporärem Stopp Walfang auf Island geht weiter! Tierschützer vermuten politische Gründe
Nach mehreren Vorfällen „Attackieren“ Orcas wirklich Boote aus Langeweile? Experte ordnet ein
Seit 52 Jahren in Gefangenschaft Biologe warnt: „Den Orca Lolita auf sich allein gestellt freizulassen, wäre eine Katastrophe“
So rechtfertigt die Regierung ihre Entscheidung
Die isländische Regierung scheint allerdings von der Situation ein anderes Bild zeichnen zu wollen. So habe man die Entscheidung keineswegs auf die leichte Schulter genommen, sondern habe die neue Jagdlizenz auf Grundlage von Experteneinschätzungen vergeben. „Diese Entscheidung steht im Einklang mit der Empfehlung des Instituts für Meeres- und Binnengewässer-Forschung von 2017 und berücksichtigt die Faktoren zum Schutz von Ökosystemen der internationalen Walfangkommission.“