5. Juni 2023, 16:37 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Erdhörnchen, die in der Arktis leben, haben eine der längsten Winterschlafphasen des Tierreiches. Wie die Tiere es schaffen, die XXL-Ruhepause zu überleben und warum Männchen mittlerweile sogar die Paarungszeit verschlafen, verrät PETBOOK.
Das arktische Erdhörnchen fasziniert Biologen seit Langem. Das Hörnchen hält nämlich den längsten Winterschlaf der Tierwelt. Bis zu acht Monate des Jahres verbringt es schlafend in einer Höhle. Nicht mal der Siebenschläfer, der gemäß seinem Namen sieben Monate schläft, kommt an das Schlafbedürfnis des Erdhörnchens heran. Immer häufiger passiert den Tieren, die auch arktisches Ziesel genannt werden, jedoch etwas, dass für die Population katastrophale Folgen haben könnte: Die Männchen werden nicht mehr rechtzeitig genug wach, um die Fortpflanzung aktiv wahrzunehmen. Das zeigen die Ergebnisse einer Langzeitstudie. Demnach verschlafen die männlichen Erdhörnchen die Paarungszeit geradezu.
Fruchtbare Zeitfenster der Erdhörnchen verschieben sich
Helen Chmura und Kollegen der Alaska University Fairbanks in den USA haben in einer Untersuchung über den Zeitraum von 25 Jahren herausgefunden, dass weibliche arktische Ziesel immer früher im Jahr aufwachen. Alle 10 Jahre kamen die Tiere 4 Tage früher ans Tageslicht. Während des untersuchten Zeitraums waren das insgesamt 10 Tage, die die weiblichen Erdhörnchen früher erwachen.
Der Grund dafür sei die klimatische Veränderung des Permafrostbodens, der bei den Tieren den Winterschlaf auslöst, schlussfolgern die Forscher. Im Herbst gefror er langsamer, im Frühling taute er schneller auf. Dies löste eine Veränderung der Prozesse bei den Erdhörnchen aus. So bereiteten sie sich später auf die Winterruhe vor und warfen daher auch die „innere Heizung“ früher an, um aufzuwachen. Allerdings passten sich nur die Weibchen den Gegebenheiten des Klimawandels an und hielten einen kürzeren Winterschlaf. Die Erdhörnchen-Männchen folgten jedoch den gleichen Abläufen wie zuvor und verschliefen teilweise die Paarungszeit.
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Paarungszeit verschlafen – nächste Gelegenheit für Erdhörnchen-Liebe erst im nächsten Jahr
Warum diese Verschiebung von einigen Tagen für das Erdhörnchen so dramatisch ist, hängt mit der Lebensweise der Tiere zusammen. Zum Winterschlaf fahren die Tiere ihren Stoffwechsel komplett herunter und kühlt sich von bis zu 39,4 Grad Körpertemperatur auf bis zu -3 Grad herunter. Die Atmung der Tiere reduziert sich auf nur einmal pro Minute. Das Herz schlägt dann nur noch bis zu 5-mal pro Minute, anstatt bis zu 200 Mal im Sommer. Insgesamt zwei Drittel des Jahres verbringen die arktischen Erdhörnchen in diesem Stadium. Viel Zeit für die Fortpflanzung bleibt da nicht.
Daher beginnen die Tiere im Frühling nach dem Aufwachen direkt mit der Paarung. Diese findet normalerweise im Mai statt. Durch den langen Winterschlaf haben die Tiere auch einen relativ straffen Zeitplan für Fortpflanzung und Aufzucht der Jungen. Die weiblichen Tiere gebären spätestens bis Ende Juni 5 bis 10 Junge. So haben die jungen Ziesel ausreichend Zeit, aufzuwachsen und Fett für ihre erste, eigene Winterruhe anzusetzen. Da die männlichen Ziesel nun jedoch später aus dem Winterschlaf aufwachen als die Weibchen, ist es möglich, dass die fruchtbare Periode der Weibchen bereits beendet ist. Sie haben dann kein Interesse mehr an der Paarung, weil sie sich bereits auf die nächste XXL-Schlafperiode vorbereiten.
Wie schaffen es Erdhörnchen, den Winterschlaf zu überleben?
Mithilfe eines Prozesses, den Wissenschaftler „Supercooling“ getauft haben, schafft es das Erdhörnchen bei einer Körpertemperatur unter null Grad, dass sein Blut nicht friert. Dabei helfen spezielle Proteine, welche es erlauben, dass Blut auch bei Minustemperaturen flüssig bleibt. So schaffen sie es, ihre Gehirnfunktion zu erhalten und alle zwei Wochen ihre normale Körpertemperatur wiederherzustellen, um nicht hirntot zu werden. Normalerweise bauen sich auch die Muskeln bei Tieren ab, die lange Winterschlaf halten. Dabei werden Aminosäuren aus den Muskeln freigesetzt, die dann über Stoffwechselprodukte wie Stickstoff über die Nieren ausgeschieden werden.
Bei Erdhörnchen läuft dieser Prozess aber anders ab, wie eine Studie 2021 im Fachmagazin „Nature Metabolism“ belegen konnte. Sarah Rice und Kollegen der Unviersität Alaska Fairbanks, konnten nachweisen, dass die schädlichen Stoffwechselprodukte sich wieder zu Aminosäuren zusammensetzten. Anschließend bilden diese Proteine, welche die Muskeln der Tiere wieder unterstützen und versorgen. Dieser Prozess, der auf biochemischen Reaktionen beruht, könnte laut den Forschern auch Auswirkungen für die Humanmedizin haben. Etwa um Muskelschwund bei Krebspatienten oder alten Menschen entgegenzuwirken.
Die Erkenntnisse um die arktischen Erdhörnchen sind für die Medizin spannend. Allerdings wäre es für die Erhaltung der Art wichtig, dass die Männchen ihre Lebensgewohnheiten in der Arktis an den Klimawandel anpassen. Ansonsten schützen ihre biochemischen Prozesse sie zwar während des Winterschlafes, aber nicht davor, dass die Weibchen sie ignorieren, weil sie für die Paarung einfach zu spät kommen.
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Quellen
- Chmura, H. E., Duncan, C., Burrell, G., Barnes, B. M., Buck, C. L., & Williams, C. T. (2023). Climate change is altering the physiology and phenology of an arctic hibernator. Science, 380 (6647), 846-849.
- Rice, S. A., Ten Have, G. A., Reisz, J. A., Gehrke, S., Stefanoni, D., Frare, C., … & Drew, K. L. (2020). Nitrogen recycling buffers against ammonia toxicity from skeletal muscle breakdown in hibernating arctic ground squirrels. Nature metabolism, 2 (12), 1459-1471.
- Bryan S McLean, Urocitellus parryii (Rodentia: Sciuridae), Mammalian Species, Volume 50, Issue 964, 21 September 2018, Pages 84–99